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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entertainer spricht über Kritik Gottschalk: "Eine Autorität wie mich pinkelt man gerne an"
Thomas Gottschalk bittet zur Lesung seines Buchs "Ungefiltert" nach München – doch gelesen wird dort kaum. Stattdessen schwelgt er in nostalgischen Erinnerungen.
Eine Viertelstunde lang hat der 74-Jährige mit den immer noch blonden Locken im Münchner Arri-Kino gescherzt, geplaudert und gestichelt – als plötzlich ein kollektives Aufatmen samt anschließendem Applaus im Publikum ertönt. Grund hierfür ist jedoch kein Witz und keine Anekdote des Mannes auf der Bühne, sondern ein Techniker, der nach anfänglichen Tonproblemen das Mikrofon richtig eingestellt hat, sodass die Stimme des Stargasts nun endlich den kompletten Kinosaal erfüllt.
"Wie? Ihr habt mich bisher gar nicht richtig gehört?", ruft Thomas Gottschalk einen Moment lang sichtlich irritiert. Doch dann knippst der Entertainer wieder sein unverwüstliches Lächeln an, das 154 Sendungen lang genauso zu "Wetten, dass..?" gehört hat wie Top-Quoten und gnadenloses Überziehen. "Und es hat sich keiner beschwert? Ja, so seid ihr!"
Gottschalks Buch erntet vernichtende Kritiken
Keine Frage, die Besucherinnen und Besucher im Arri-Kino meinen es gut mit Thomas Gottschalk, der hier am Dienstagabend sein neues Buch "Ungefiltert" vorstellte. Dieses ist in weiten Teilen der Öffentlichkeit gar nicht gut angekommen: Nach dem Erscheinen in der vergangenen Woche regnete es vernichtende Kritiken auf den einstigen Sunnyboy des deutschen Fernsehens hinab.
- Lesung in München: Thomas Gottschalk: "Naja, wer will mich noch?"
Zu viel Nörgelei an der Jugend, zu viel Gejammer über eine sich verändernde Welt und zu viel "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!"-Attitüde. Das waren noch die freundlicheren unter den Vorwürfen gegen die "Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann" – so der Untertitel des Buchs.
"Es ist einfach so, dass man eine Autorität wie mich gerne anpinkelt", sagt Gottschalk in München, offenbar unbeeindruckt von der heftigen Kritik – einerseits. Andererseits beschwert er sich: "Es ist ungerecht, wenn man mir unterstellt, dass hier ein alter, weißer Mann steht, der auf nichts mehr Lust hat und nur noch Leute beschimpft."
Gottschalk schwärmt von früher
Tatsächlich macht Thomas Gottschalk an diesem Abend lediglich in jenen kurzen Phasen einen lustlosen Eindruck, in denen er aus seinem Buch vorliest. Ganz anders sieht es aus, sobald er ins Plaudern kommt, Fragen aus dem Publikum beantwortet, Anekdoten erzählt und in Erinnerungen schwelgt. Passend dazu beginnen die Ausführungen meist mit Gottschalks Lieblingswort. Nämlich: früher.
Früher also habe man sich keine Gedanken übers Gendern machen müssen, sagt der 74-Jährige, der wie zu besten "Wetten, dass..?" -Zeiten ein waghalsiges Outfit in Form eines grün-grauen Samtanzugs trägt. Früher sei auch das "Mädchen-Anquatschen" leichter gewesen, klagt er. "Heute musst du sie antindern. Und meistens kommt dann nicht die, die du angeschrieben hast."
"Früher habe ich erst geredet und dann gedacht. Heute denke ich erst, und dann sage ich nichts mehr – das bringt doch auch nichts."
Thomas Gottschalk
Früher war natürlich auch das Fernsehen besser. "Das hat immer Spaß gemacht", sagt Gottschalk. "Heute dagegen schauen die Leute Fernsehen, um sich zu ärgern." Und überhaupt: "Früher habe ich erst geredet und dann gedacht. Heute denke ich erst, und dann sage ich nichts mehr – das bringt doch auch nichts."
Gottschalk kündigt Rückzug aus dem Fernsehen an
Auf die Frage einer Frau, wie lange er noch Fernsehen machen wolle, antwortet Gottschalk erst: "Wenn ich richtig geschminkt bin, geht's schon noch ein bisschen." Zwei Sätze später kündigt der 74-Jährige, der aktuell noch die RTL-Show "Denn sie wissen nicht, was passiert" moderiert, dann jedoch an: "Mit 75 werde ich mich vom Samstagabend verabschieden." Schließlich dürfe er inzwischen die meisten seiner Gags nicht mehr machen, bedauert er. "Und die meisten Gäste würde ich auch nicht mehr kennen." Anders als früher.
Damals gaben sich auf der "Wetten, dass..?"-Couch die Größen aus Politik und Showbusiness ein Stelldichein. "Wenn ein Paul McCartney neben dir sitzt, dann denkst du schon: Ist das möglich, dass der Thomas Gottschalk aus Kulmbach jetzt neben einem echten Beatle sitzt?" Ebenfalls unvergesslich sei der Auftritt von Michael Jackson gewesen. "Er war für mich ein Beispiel eines Menschen mit zwei Persönlichkeiten. Sobald er auf der Bühne stand, hat er performed wie eine Eins. In Wirklichkeit war er aber ein scheues Reh, das mir wirklich leidgetan hat."
Späterer Papst beschwerte sich einst über Gottschalk
Besonders beeindruckt habe ihn Papst Johannes Paul II. – "eine sehr charismatische Persönlichkeit", sagt Gottschalk. Wobei er mit einem anderen Papst Ende der 1970er-Jahre noch in Konflikt geraten war, und zwar bei seinem Job als Radiomoderator beim Bayerischen Rundfunk. Seinerzeit habe sich Joseph Ratzinger – damals Erzbischof von München und Freising und später Papst Benedikt XVI. – beim Rundfunkdirektor über ihn beschwert. Der Grund: "Ich habe die Fronleichnamsprozession auf die Autobahn nach Nürnberg umgeleitet und die Autofahrer vor Weihrauchnebel gewarnt."
Einige Sprüche ("Diese Wurstigkeit, die junge Leute haben, hat besser zu meinem Charakter gepasst") und Scherze über sein Alter ("Ich sehe immer noch jünger aus als Günther Jauch") später ist Thomas Gottschalk schließlich am Ende seiner Lesung angelangt, in der wenig gelesen, aber viel geplaudert wurde. Geduldig signiert er anschließend noch sein Buch, über das er zuvor gesagt hat: "Das Besondere ist, dass ich jedes Wort selbst geschrieben habe. Das heißt, der Wahrheitsgehalt ist relativ hoch."
- Reporter vor Ort