Skandalpolitiker im Wahlkampf Aiwangers Triumph und das "ekelhafte Butterbrotpapier"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Während Söder gerade über seine Zukunft entscheidet, lässt Aiwanger sich feiern wie ein Popstar. Ein Besuch beim Termin des wohl umstrittensten Wahlkämpfer Bayerns.
Es muss wahrlich ein Spektakel für Hubert Aiwanger gewesen sein. Während im Hintergrund noch die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt schwelt, betreibt der Freie-Wähler-Chef und Vize-Ministerpräsident von Bayern tosenden Wahlkampf. Der Ort dafür ist denkbar klug gewählt: ein kleines Festzelt in Kefersloh, im Speckgürtel von München. Bereits vor der Ankunft Aiwangers am Sonntagvormittag ist es gerammelt voll. Ausgerechnet der Wiesn-Wirt Lorenz Stiftl richtet die Feier aus. Auch wenn er selbst offenbar nicht da war.
Etliche Bayern sind gekommen, um den Skandalpolitiker live zu sehen. Es fließt Bier. Und als Aiwanger kommt, wird er gefeiert wie ein König. Vom Sicherheitsdienst wie von einer Prätorianergarde umringt, von Anhängern und Pressevertretern bedrängt, kommt Aiwanger durch den Haupteingang ins Zelt. Er stellt sich erst einmal auf eine Bierbank, winkt der Menge, genießt sichtlich die ihm entgegenschlagende Solidarität.
Auf dem Weg in Richtung Bühne schlängelt er sich zum Defiliermarsch durch die Reihen der Bierbänke. Möglichst nahbar sein, möglichst viele Hände schütteln. Immer wieder ertönen Jubelrufe, manche brüllen "Hubert, Hubert". Ein Heimspiel für den umstrittenen Politiker. Groß kündigt Otto Bussjäger, stellvertretender Landrat und ebenfalls von den Freien Wählern, Aiwanger an.
Hubert Aiwanger: "von Saulus zu Paulus"
Vor Beginn des Festes hatte Bussjäger zu t-online gesagt, er werde auf jeden Fall hinter Aiwanger stehen. Der Skandal um das, wie er sagt, "ekelhafte Butterbrotpapier" könne daran nichts ändern. "Hier wurde Saulus zu Paulus." Aiwanger sei Paulus. Dass Aiwanger sich nicht erinnern könne, ob er, wie ihm vorgeworfen wurde, in der Schule früher den Hitlergruß gezeigt hat, sei dennoch "Harter Tobak und keine Jugendsünde". Kurz darauf erklimmt "Hubert" die Bühne.
Zu diesem Zeitpunkt weiß niemand vor der Bühne, ob Aiwangers steile Politik-Karriere weitergehen wird. Gestolpert war er über die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt, das zu Schulzeiten in seiner Tasche gefunden wurde. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete, das Pamphlet stamme aus der Feder Aiwangers. Der dementierte. Sein Bruder gab kurz darauf bekannt, er habe das Machwerk verfasst. Im Zuge der Berichterstattung meldeten sich ehemalige Mitschüler und Lehrer Aiwangers, gaben an, er hätte im Unterricht den Hitlergruß gezeigt, antisemitische Witze gemacht.
Das hatte Markus Söder in Zugzwang gebracht. Im Zuge der Affäre hatte er Aiwanger 25 Fragen zur Causa Flugblatt geschickt. Die wurden genauso brav wie inhaltslos beantwortet. An zu viel könne Aiwanger sich nicht erinnern. Kurz darauf wird Söder bekannt geben: Er hält an Aiwanger fest. Zu diesem Zeitpunkt ist jedoch noch alles offen. Viele in der Republik, in Bayern und dem Festzelt fragen sich: Wird Söder weiter an Aiwanger festhalten? Völlig unklar. Auch ist unklar, ob Aiwanger über die Entscheidung vorab informiert wurde. Zwar gibt er hinterher an, von seinem Verbleib in der Bayern-Spitze erst im Festzelt von Journalisten erfahren zu haben. Bei seiner Wahlkampfrede ist ihm jedoch kein Zweifeln, kein Zögern, keine Sorge anzusehen. Immer wieder geht er während seines Auftritts auf den Skandal ein. Reue? Fehlanzeige.
"Die Schmutzkampagne ist gescheitert"
"Das war ein schmutziges Machwerk", brüllt Aiwanger der Menge entgegen. Die jubiliert. "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden." Doch in Wirklichkeit hätten die Vorwürfe die Partei nur gestärkt. "Wir haben ein sauberes Gewissen." Die "Schmutzkampagne" gegen ihn sei "gescheitert". Er geht sogar zum Angriff über. Es hätten sich einige seiner Gegner dadurch "enttarnt", angeblich werden viele gezwungen sein, "sich zu entschuldigen". Wen er meint: unklar. Zum exakt gleichen Zeitpunkt hält Markus Söder seine Konferenz über die politische Zukunft Aiwangers. Der ist jedoch thematisch schon viel weiter.
Rund eine halbe Stunde lang wettert er gegen die Ampel, für Verbrenner, für die Heimat. Bei jeder Redepause brandet dem 52-Jährigen Jubel entgegen. Am Ende seiner Rede ist er völlig durchgeschwitzt. Ohne Manuskript hat er sich in Rage geredet, die Zuschauer feiern ihn dafür. Gemeinsam singt man noch die Bayernhymne und die Deutsche Nationalhymne. Dann muss Aiwanger aber auch schon dringend weiter. Der nächste Wahlkampftermin steht schon an. Ein t-online Reporter kann ihm noch eine Frage zuwerfen: Ob ihn Söders Entscheidung überrasche. Offenbar nein. "Das bestätigt, was ich schon immer gesagt habe". Dann fährt er weg. Aiwanger hat über die Flugblatt-Affäre triumphiert.
- Reporter vor Ort
- Eigene Recherchen