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Allgäu: Dieser Berg ist bei Wanderern beliebt – und droht ins Tal zu stürzen


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Gipfel bricht auseinander
Dieser Berg im Allgäu droht ins Tal zu stürzen


Aktualisiert am 07.08.2024Lesedauer: 8 Min.
Der Gipfel des Hochvogel im Allgäu (Archivbild): Durch den Gipfel zieht sich ein großer Riss, der immer breiter wird.Vergrößern des Bildes
Der Gipfel des Hochvogel im Allgäu (Archivbild): Durch den Gipfel zieht sich ein großer Riss, der immer breiter wird. (Quelle: Theresa Frimberger)
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Jedes Jahr wagen Tausende Wanderer den Weg hinauf zum Hochvogel. Ein riskantes Unterfangen. Doch es ist nicht der Riss am Gipfel, der Respekt einflößt.

Groß wie ein Swimmingpool ist das Becken, in welches das Wasser des Bärgündelsbachs einige Meter in die Tiefe rauscht. Und obwohl Ruben und David am anderen Ende des Beckens stehen, sprenkeln die Wasserspritzer meterweit bis zu ihnen hinüber und nieseln auf ihre Haut, während die beiden Wanderer gerade Pause machen. Einen viel besseren Ort, um die Idylle und Natur im Allgäu zu genießen, hätte man hier, etwas überraschend nach einer Kurve auf dem Wanderpfad zum Hochvogel, nicht finden können. Aber plötzlich wird es dunkel.

Eine gute Stunde sind die beiden schon zu Fuß unterwegs, gestartet aus dem Hintersteiner Tal, in das man nur nach einer 15-minütigen Busfahrt aus dem Weiler Hinterstein kommt, der eh schon von der nächstgelegenen Stadt Sonthofen eine halbe Stunde entfernt ist. Ihr Ziel ist heute das Prinz-Luitpold-Haus und morgen der Gipfel des Hochvogels, einer der berühmtesten und berüchtigtsten Berge der Region. Ein Grund dafür: Sein Gipfel bricht langsam auseinander, hat einen riesigen Riss mitten hindurch.

Felssturz und Gewitter: Risiko für Wanderer in den Alpen

Das sind hier eben die Kalkalpen, sagt Walter Schmid, der Wirt im Giebelhaus im Hintersteiner Tal, wo der Anstieg auf den Berg beginnt. Und anders als das Gestein in den Dolomiten sei der Fels hier nicht von Dauer. Der Riss, der sei bei den Alteingesessenen hier in der Region kaum ein Thema. Touristen abschrecken würde er ohnehin nicht – eher sei er faszinierend, ziehe noch ein paar Wanderer mehr an. Gefahren, die gibt es am Berg immer, ob am Hochvogel oder anderswo. Und auch hier kann der Riss im Gipfel schnell zum kleinsten Problem werden.

David ist nicht zum ersten Mal auf der Route unterwegs. Vor sechs Jahren sei er bereits mit seinem Vater auf dem Weg zum Gipfel gewesen, an dessen Stelle ist nun Ruben, ein Freund aus der gemeinsamen Heimat Fürth, zum Wandern bei ihm zu Besuch. Die Bergtour ist für ihn "der Höhepunkt des Jahres", sagt David, der inzwischen im Allgäu wohnt. Das enge Tal, das der Bärgündelsbach in die Berge geschnitten hat und das manchmal zur Schlucht wird, gibt erst auf halbem Weg den Blick auf den Gipfel frei.

Ein Wald, der, je weiter man den Blick nach oben schweifen lässt, immer spärlicher wird, erstreckt sich auf dem Hang vor einem. Es folgen Wiesen, die immer weniger grün und zunehmend grau werden, ganz oben dann eine Felswüste, blanker Stein, der sich gefühlt unendlich weit weg bis zum Gipfel ragend in den Himmel streckt. Das ist der Hochvogel. Vom Riss sieht man hier noch nichts.

Die Spalte im Hochvogel im Allgäu verbreitert sich

Seit Jahrzehnten weiß man, dass es im Hochvogel eine Spalte gibt. Vor 20, 30 Jahren konnte man mit einem großen Sprung noch hinüberspringen, heißt es im Allgäu. Heute ist sie gut 40 Meter lang, acht Meter tief und drei Meter breit, vergrößert sich jährlich um ein paar Zentimeter. Dass die Stelle wirklich zum Problem werden könnte, zeigte sich 2014.

Damals berichteten Bergsteiger, dass der Riss sich immer weiter auftue. Hubschrauber flogen den Gipfel daraufhin ab, um den Berg zu prüfen. Untersuchungen zeigten, dass der Gipfelbereich – ungefähr in Nord-Süd-Richtung verlaufend – "von zumindest zwei Spaltensystemen durchzogen" werde, wie der Deutsche Alpenverein berichtet. Der DAV kennt sich am Berg aus, die Sektion Donauwörth betreibt dort den Bäumenheimer Weg, der aus Hinterhornbach im Süden des Bergs zum Gipfel hinaufführt. Oder besser: führte.

Denn seit feststeht, dass der Riss im Gipfel so tief, weit und brüchig ist, wurde einer der Wege auf den Berg gesperrt. Und nun bleibt dort nicht mehr viel übrig, außer zu warten, dass Teile davon ins Tal stürzen. Für David und Ruben ist der Riss auf ihrem Weg nach oben dennoch nur eine Randnotiz. Sie kommen aus dem Norden in Richtung Grenzgipfel, es ist die dem Riss abgewandte Seite. "Der Berg ist ganz besonders, einer der größten in der Gegend", sagt David.

Wie schnell ein Gewitter in den Bergen in Bayern aufziehen kann

Er und Ruben sind weiter den Berg hinaufgestiegen, haben eine Weide erreicht, wo der Schotter immer mehr die Wiese ablöst. Kurz hat es geregnet, dann wurden die Wolken wieder heller, Prinz-Luitpold-Haus und Hochvogel sind immer im Blick. Eine leichte Windböe lässt die beiden aufblicken.

Sie drehen sich um, schauen das Tal hinab. Wieder wird es dunkel über den Gipfeln auf der anderen Seite. Sie gehen weiter, blicken eine Minute später erneut in die gleich Richtung: Wieder ein Windzug, die Wolken rücken näher, der Himmel verdunkelt sich. "Wollen wir uns besser beeilen?", fragt David. Mindestens eine halbe, womöglich sogar eine ganze Stunde haben die beiden noch bis zu ihrer heutigen Unterkunft.

Wenig vorher hat David noch erzählt von seinen Wanderungen in den Bergen. Davon, wie sein Begleiter damals entschied, nicht bis zum Gipfel am Hochvogel zu gehen. Wie er sich bei einem Abstieg zu sehr beeilte, stürzte und sich verletzte. Ruben berichtet von einem Freund, der alleine in den Bergen unterwegs war und tödlich verunglückte. Sie haben versucht, sich für diese Tour so gut zu wappnen, wie es geht, tragen beide jeweils über zehn Kilogramm an Ausrüstung und Verpflegung in ihren Rucksäcken den Berg hinauf.

Schrecksee: Ein Instagram-Hotspot in den Alpen

Wandern wird immer beliebter, Bilder von vollen Bergbahnen und Gipfelrestaurants, verstopften Straßen Richtung Berge am Wochenende und unzählige Instagram-Posts von den beliebtesten Flecken zwischen Gipfel und Tal belegen das. Wie beschwerlich der Weg hinauf sein kann, sieht man auf den Fotos oft nicht – und einigen scheint das tatsächlich nicht klar zu sein. Auch an diesem Tag fragen viele den Fahrer im Bus auf der Fahrt durch das Hintersteiner Tal nach den besten Wegen, manche von ihnen in einfachen Turnschuhen für das alpine Gelände gerüstet. Die Erzählungen der Bergretter passen zu solchen Beobachtungen.

Auch sie bekommen immer mehr zu tun: Allein am Wochenende, bevor David und Ruben zum Hochvogel hinaufwollen, sammeln sich drei Meldungen von tödlichen Unglücken in den bayerischen Alpen. Vielleicht brauche es einen "Bergführerschein", überlegt David. Aber nicht jedes Unglück ist auf Leichtsinn zurückzuführen. Das weiß auch er. Und darum ist es trotz akribischer Vorbereitung vor allem eines, das ihm Sorge bereitet: Der Natur, dem Berg und dem Wetter ausgesetzt zu sein. Im Gewitter, da fühlt er sich unwohl. Doch jetzt ist es plötzlich da.

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Das Prinz-Luitpold-Haus ist Quartier für Wanderer am Hochvogel

Noch bevor David und Ruben ihr Nachtquartier erreicht haben, peitscht der Wind die Wolkendecke über die Hänge des Hochvogels, am frühen Nachmittag wird es so dunkel, als stünde die Nacht kurz bevor. Ein paar Dutzend Tropfen und ein Grollen in der Ferne warnen noch vor, bevor es richtig kracht und die beiden dem Platzregen völlig ausgeliefert sind. Die beiden beschleunigen noch einmal, das Luitpold-Haus wenige Minuten voraus.

Weiter den Berg hinunter hat gut ein Dutzend Wanderer Zuflucht in der Alpe Bärgündele gesucht. Noch vor einer halben Stunde, als David und Ruben hier vorbeikamen, entspannten sich Ausflügler unter den Sonnenschirmen, wenig später schafften die Sennerinnen ihre Tafeln mit dem Angebot des Tages ins Innere. Jetzt beherbergt das Steingemäuer unter seinem Metalldach die Schutzsuchenden, die es sich in der Stube bequem gemacht haben. Obwohl diese offenbar frisch mit hellem Holz vertäfelt wurde, wird es auch drinnen dunkel, als die Wolken den Himmel zuziehen.

Die vom Regen erzwungene Pause nutzen die Wanderer zur Brotzeit. Es wird gefachsimpelt. Ein Gast erzählt von seinen 1.000 Bergtouren bis zu seinem ersten Sturz vor vier Wochen. Den Riss im Gipfel kennt er, oft war er am Berg. Der Permafrost ist das Problem, sagt er, den "Kitt der Berge" nennt er ihn. Weil der jetzt taut, brechen die Gipfel auseinander.

Warum die Klimaerwärmung Berge zum Brechen bringt

Was hier auf der Hütte gesagt wird, ist in Bayern weit bekanntes Wissen. "Geht der Permafrost verloren, verlieren die Berge zusätzlich an Stabilität", teilte etwa Umweltminister Thorsten Glauber mit. Die Klimaerwärmung lässt diesen Frost nun schmelzen, bislang festgefrorene Felsbrocken lösen sich nun voneinander. Am Hochvogel ist das besonders spektakulär.

Wissenschaftler der Technischen Universität München überwachen den Gipfel und dessen Bewegungen. So wollen sie rechtzeitig davor warnen können, wenn es wirklich zu einem großen Felssturz kommen sollte. Um die Lage im Griff zu haben, haben die Forscher den Berg komplett verkabelt und mit Messinstrumenten ausgestattet. Aber was passiert eigentlich, wenn der Gipfel bricht?

Genau weiß das niemand. Sicher ist nur, gefährdet ist die österreichische Seite, nicht die deutsche. Und auch dort fühlt man sich nicht unsicher, wie Martin Kärle im Gespräch mit t-online erzählt. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Hinterhornbach, auf dessen Gebiet die Südflanke des Hochvogels liegt. Tatsächlich, ein paar Betroffene gäbe es wohl, einzelne Hütten liegen im möglichen Absturzbereich, wenn auch die meisten davon nicht bewirtschaftet sind.

Was bei einem Felssturz am Hochvogel passiert

Bewohntes Gebiet würden die Felsen aber nicht erreichen, zu tief im Tal liegt der Fuß des Berges. Ist auch hier der Berg mit dem Riss im Gipfel einfach eine Attraktion? Ganz so locker wie auf deutscher Seite kann man die Lage hier tatsächlich nicht sehen. Denn der mögliche Felssturz hält ein paar Wanderer aus dem Dorf fern, berichtet Kärle.

Nicht etwa, weil das Dorf in Gefahr schwebe. Aber ausgerechnet der gesperrte Weg auf den Hochvogel, der Bäumenheimer Weg, der aus Hinterhornbach hinaufführt, ist für den Bürgermeister der schönste nach oben. Die Alternativroute, die man auch von hier aus noch nach oben gehen kann, führe vor allem durch Geröll.

Auf der deutschen Seite ist das Gewitter inzwischen weitergezogen. David und Ruben haben das Prinz-Luitpold-Haus erreicht, nass, aber wohlauf, wie David zwei Tage später am Telefon berichtet. Tief im Hintersteiner Tal ist der Empfang gleich null, wer mit den Leuten dort sprechen will, muss sie begleiten. Zumindest das Prinz-Luitpold-Haus ist per E-Mail zu erreichen.

Auch dort glaubt man, dass der Riss im Gipfel ein Anreiz für viele sei, noch einmal zum Hochvogel hinaufzusteigen, bevor er abstürzt, berichtet Hüttenwirtin Ulrike Erd. "Auf die Zeit danach bin ich gespannt, auch auf die Frage, ob man dann noch auf den Gipfel wandern kann", schreibt sie. Das Gestein um die Hütte sei "recht brüchig", da höre man immer wieder "einzelne Steine oder auch mehrere herunterpoltern". Wie es sich dann jedoch anfühlt, wenn der Berg wirklich einmal abstürzt, könne sie sich nicht vorstellen.

Wettervorhersage: Eine wichtige Information in den Bergen

Klar, der Hochvogel sei ihr Hausberg, viele Wanderer erkundigten sich nach den Routen auf den Gipfel und danach, was machbar sei. Eine Entscheidung, die auch bei David und Ruben am nächsten Morgen ansteht. Schon am Vortag hatten die beiden Wanderer Zweifel. Die Wettervorhersage ließ sie um Unklaren, erneut hätte es zu Gewittern kommen können, eine Situation, in der David auf keinen Fall am Gipfel sein wollte.

Und tatsächlich: "Der Himmel sah so düster aus, dass wir uns dazu entschieden haben, nicht nach oben zu gehen", berichtet er später am Telefon. Wie kommt er damit klar, Planung, Packen, Anreise, schon am Vortag fast 1.000 Höhenmeter Aufstieg zum Luitpold-Haus, um das eigentliche Ziel dann doch nicht zu erreichen?

"Gerade dann Nein zu sagen, zeigt für mich eine größere Stärke, als das Risiko einzugehen", sagt er. "Es war die richtige Entscheidung." Er habe von Wanderern gehört, die vom Blitz erschlagen worden seien. Schon am Tag zuvor sei er "regelrecht entsetzt" davon gewesen, wie schnell das Gewitter aufzog: "Das war wie im Zeitraffer." Und man brauche am Berg eben eine "innere Flexibilität". Denn erfolgreich sei die Tour nicht, wenn man es auf den Gipfel schafft, habe Ruben gesagt. Es gehe um eine schöne Zeit auf der Wanderung.

Den Riss haben die beiden damit wieder einmal nicht selbst gesehen. Aber was den Aufstieg zum Risiko machen kann, bekamen sie dennoch zu spüren. Dem Reiz der Berge nehme das aber nichts, sagt David. Er will wiederkommen – und es einmal auf den brechenden Gipfel schaffen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • DAV Sektion Donauwörth: Sperrung Bäumenheimer Weg
  • Bayerisches Umweltministerium: Pressemitteilung vom 17. Dezember 2021
  • Gespräch mit Walter Schmid, Giebelhaus
  • Gespräch mit Carolin und Sophie Schmid, Alpe Bärgündele
  • Gespräch mit Max Hillmeier, Tourismusdirektor im Kurort Bad Hindelang
  • Gespräch mit Martin Kärle, Bürgermeister Hinterhornbach
  • Gespräche mit Wanderern
  • Allgäuer Zeitung: "Dieser Allgäuer vertreibt Müllsünder und Wildcamper am Schrecksee"
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