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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Naturphänomen 2.600-Meter-Berg droht ins Tal zu stürzen – Forscher in Sorge
Ein Berg im Allgäu droht ins Tal zu stürzen. Professor Michael Krautblatter ist Experte für Hangbewegungen und erklärt, wieso das überhaupt möglich ist.
Im Norden Deutschland, im Süden Österreich – dazwischen ein großer Riss: Das ist die Lage am Hochvogel in den Allgäuer Alpen. Der fast 2.600 Meter hohe Berg, einer der berühmtesten im Allgäu, bricht gerade entzwei.
Seit Jahren verbreitert sich der Riss immer mehr, Forscher beobachten und vermessen ihn permanent, um warnen zu können, wenn Felsen in die Tiefe rauschen. Einer der Wissenschaftler ist Michael Krautblatter. Er forscht an der Technischen Universität in München und kennt die Lage am Hochvogel genau.
Im Gespräch mit t-online schildert er, ob und wann es zum großen Bergsturz kommen könnte – und wie man sich den dann vorstellen muss.
Herr Krautblatter, der Hochvogel droht, auseinanderzubrechen – zumindest ist das der Eindruck, wenn man den Gipfel betrachtet. Wie wahrscheinlich ist das Worst-Case-Szenario am Hochvogel?
Michael Krautblatter: Bei uns ist es ähnlich wie beim Wetter. Wir können zwei bis drei Tage vorher gute Vorhersagen machen. Weil wir sehen, wenn sich die Spaltung am Südgipfel beschleunigt. Was wir nicht sagen können, ist, dass der Abbruch etwa im nächsten Jahr im September passieren würde. In unserem Projekt "AlpSenceBench" geht es um die Zuverlässigkeit der Vorhersage unserer Frühwarnsysteme. Dafür haben wir den Hochvogel sehr aufwändig instrumentiert. All diese Messgeräte kommunizieren miteinander und schicken uns Warnungen ins Münchner Institut der TU.
Wenn wir zwei bis drei Tage, bevor der halbe Gipfel abstürzt, eine Beschleunigung des Vorgangs sehen, von einem Zentimeter pro Tag auf einen Zentimeter pro Stunde, würden wir einen Alarm auslösen. Dieser erreicht die Bergwacht, den Alpenverein, um die Wege zu sperren, die Talgemeinden Hinterhornbach in Tirol und Hindelang auf bayerischer Seite. Dieses Frühwarnsystem bereiten wir seit Langem vor.
Der ganze Gipfel ist voller Messinstrumente. Warum gibt es keine genauere Prognose?
Der Hochvogel reagiert sehr empfindlich auf Starkniederschläge. Wenn es zwei, drei Tage stark regnet, dann bewegt sich der Hauptspalt des Hochvogels fünf- bis sechsmal so schnell wie normal. Leichte Erdbeben hätten wohl einen ähnlichen Effekt. Momentan ist der Riss gut 40 Meter lang, acht Meter tief und drei Meter breit. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Kluft um 30 Zentimeter verbreitert.
Was passiert im Katastrophenfall, wenn ein Teil des Gipfels wegbricht?
Wir gehen von sechs bis sieben Teilen dieses abgespaltenen Massivs aus. Wenn diese etwa 260.000 Kubikmeter Fels abstürzen, fallen sie in zwei Wildbäche in einem bereits gesperrten Bereich. In den nachfolgenden Jahren könnten sich dann daraus große Murenabgänge [ein Erdrutsch, Anm. d. Redaktion] bilden und würden im schlimmsten Fall auf Tiroler Seite das Hinterhornbachtal erreichen, nicht aber den besiedelten Teil.
Wie stabil ist nach dem Abbruch die andere Hälfte des Gipfels?
Wenn dieses Widerlager nicht mehr vorhanden ist, gehen wir davon aus, dass wir keinen ganzen Absturz des Restgipfels sehen, sondern einen Absturz in mehreren Phasen. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren wird der Hochvogel wohl nicht zur Ruhe kommen.
Zur Person
Professor Michael Krautblatter forscht an der Technischen Universität in München im Fachgebiet "Analyse, Monitoring und Frühwarnung von Hangbewegungen". Er forschte unter anderem bereits an der Universität Oxford und untersucht an der TU Naturgefahren, Hangbewegungen und Permafrostsysteme. Einer der Berge, die er besonders intensiv beobachtet, ist der Hochvogel im südlichen Allgäu.
Das Worst-Case-Szenario ist also, dass der Hochvogel dann nicht mehr vorhanden ist?
Solange der abgespaltene Teil noch steht, messen wir am anderen Teil mit dem Gipfelkreuz noch keine Deformationen. Wenn der Abbruch erfolgt, fehlt allerdings ein komplettes Widerlager, ein stützendes Element für den Restgipfel.
Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf das Geschehen am Hochvogel?
Wir sind doch erstaunt, wie der Hochvogel auf Starkniederschläge reagiert, was wir bisher nicht vermutet hatten. Auch Blitzschläge ungeahnten Ausmaßes registrieren wir über unsere Messgeräte dort oben. Diese zeigen uns auch, verglichen mit anderen Aufzeichnungen, dass sich diese Starkregen in den letzten hundert Jahren verdoppelt haben. Damit steigt auch die Gefahr des Hochvogel-Abbruchs.
- Interview mit Michael Krautblatter