"Klarer Missbrauch" Kurioser Fahrtabbruch bei Deutscher Bahn: Jurist wird deutlich
Ein ICE-Zugführer ließ alle Passagiere aussteigen – der Zug sei zu dreckig. Ein Anwalt spricht von "Missbrauch" und gibt betroffenen Passagieren Tipps.
Zwei Tage nach einem ungewöhnlichen Vorfall auf der ICE-Strecke München-Hamburg übt ein Anwalt scharfe Kritik am Verhalten von Mitarbeitern der Deutschen Bahn: Diese hatten den Schnellzug kurz nach Pfingsten wegen angeblicher Verschmutzung in Nürnberg, also nur eine Station nach dem Start, gestoppt. Gleichzeitig zeigt ein Fahrgastverband Verständnis für das frustrierte Zugpersonal.
Der Vorfall ereignete sich am Dienstagmorgen, als das Zugpersonal alle Reisenden des ICE 886 zum Aussteigen aufforderte. Begründung: Der Zug sei zu "dreckig". Fotos des Innenraums, die ein Linkedin-Nutzer daraufhin veröffentlichte, ließen zumindest in diesem Wagen jedoch keinen überdimensionierten Dreck erkennen, was bei den Fahrgästen für Verwunderung gesorgt haben soll.
Jurist zweifelt am Verhalten der ICE-Mitarbeiter
Professor Christian Solmecke, ein von Medien gern befragter Anwalt aus Köln, bewertet den Fahrtabbruch scharf. "Aus rechtlicher Sicht ist ein Fahrtabbruch wegen normaler Verschmutzung nicht haltbar", erklärt er gegenüber "Ippen.Media" am Donnerstag. "Die Beförderungsbedingungen der Bahn erlauben dies nur bei einer konkreten Gefährdung der Sicherheit."
Die Aussage der Bahn, die Entscheidung über die Weiterfahrt liege beim Personal, sei nur die halbe Wahrheit. Das Zugpersonal dürfe seine Kompetenz nicht willkürlich oder aufgrund "sachfremder" Motive ausüben. Solmecke weiter: "Wenn hier aus Verärgerung über den Zustand des Zugs, wie berichtet, durch das Zugpersonal ein 'Zeichen' gesetzt werden sollte, ist das in meinen Augen ein klarer Missbrauch dieser Kompetenz zulasten der Fahrgäste."
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Für den Juristen ist derweil klar: Den betroffenen Fahrgästen stehe eine pauschale Entschädigung nach EU-Recht zu, die je nach Verspätungshöhe unterschiedlich ausfalle. "Da die Bahn den Ausfall aber, so sieht es derzeit aus, schuldhaft verursacht hat, könnten Reisende zusätzlich Schadensersatz für belegbare Folgekosten wie verpasste Flüge oder notwendige Hotels fordern", so der Rechtsanwalt.
Fahrgastverband schlägt sich auf Seite der Mitarbeiter
Deutlich mehr Verständnis für die Reaktion des Zugpersonals äußert der Fahrgastverband Pro Bahn. Dessen stellvertretender Bundesvorsitzender Professor Dr. Lukas Iffländer erklärte dem Portal: "Täglich kommen Züge dreckig und defekt wieder aus dem Werk, und das Zugpersonal muss damit irgendwie klarkommen. Dass es dann irgendwann mal reicht, wenn der Ausnahmezustand zum Alltag wird, darf nicht verwundern."
Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa hatte eine Bahnsprecherin von einem Einzelfall gesprochen, den man im Unternehmen außerordentlich bedauere: "Unser Anspruch ist, dass ein Fernreisezug bei einer Fahrt durch ganz Deutschland hohe qualitative Standards erfüllt. Dies war bei dieser Fahrt leider nicht gegeben."
Die Weiterfahrt im ICE 886 sei nach Einschätzung des Bordpersonals nicht zumutbar gewesen. Wie genau die Verschmutzung ausgesehen hat, und wie viele Reisende sich bei Fahrtende in Nürnberg im Zug befanden, teilte die Sprecherin auf Anfrage nicht mit. Den Fahrgästen sei eine Stunde später eine alternative Reisemöglichkeit angeboten worden. Zudem könnten Reisende auch in diesem Fall Entschädigungen beantragen, hieß es.
- merkur.de: "Klarer Missbrauch zu Lasten der Fahrgäste": Jurist geht nach Fahrtabbruch mit der Bahn hart ins Gericht
- Eigene Berichterstattung
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa