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München

München: "Reichsbürger"-Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht


"Reichsbürgerprozess" in München
"Nichts ist, wie es scheint" – nur der erste Verhandlungstag war lang

Von Sarah Koschinski

18.06.2024Lesedauer: 4 Min.
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REICHSBUERGER-PROZESS/MUENCHENVergrößern des Bildes
Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht in München: Am Dienstag erschienen die acht Angeklagten samt ihren Verteidigern.

Am Dienstag hat in München der Prozess gegen sogenannte "Reichsbürger" begonnen. Am ersten Verhandlungstag wurde vor allen Dingen eins: viel vorgelesen.

Die acht Angeklagten, die am Dienstagmorgen den Verhandlungssaal A 101 betreten, wirken auf den ersten Blick unauffällig. Sie tragen Anzüge, Blazer, Hemden und sind von Beruf unter anderem Jurist, Ärztin oder Landschaftspfleger. Sie leben in ganz Deutschland verteilt, sind zwischen 46 und 70 Jahre alt. Auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein könnten, soll sie alle ein Ziel verbinden: der Systemsturz. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen unter anderem die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor.

Pünktlich um 9.30 Uhr betreten die acht Angeklagten einer nach dem anderen den Gerichtssaal. Im Schlepptau haben sie ihre Verteidiger. Die sechs Männer und vier Frauen wirken entspannt, lächeln sogar. Die Schwere dieses Prozesses ist ihren Gesichtern nicht anzumerken. Die rund 20 Polizeibeamten, die während des Prozesses die Sicherheit im Gerichtssaal gewährleisten sollen, lassen erahnen, dass es hier nicht nur um ein Delikt wie Fahren ohne Fahrerlaubnis geht. Vielmehr geht es an diesem Dienstagmorgen um ein Staatsschutzverfahren, das vor dem Oberlandesgericht München (OLG) verhandelt wird.

Acht Angeklagte müssen sich vor dem OLG verantworten

Die Angeklagten Paul G., Ruth L., Tomas M., Harald P., Frank R., Melanie R., Thomas T. und Christian W. sind ordentlich gekleidet. Die 68-jährige Ärztin Melanie R. trägt ein helles Hemd mit einem dunkelblauen Blazer darüber. Ähnlich schick gekleidet ist auch der selbständige Landschaftspfleger Christian W. (46). Er hat kurz rasierte, dunkle Haare und trägt einen schwarzen Anzug mit weißem Hemd darunter. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Dagmar Illini, welche Staatsbürgerschaft er habe, antwortet er: "Angenommen ist die Staatsbürgerschaft deutsch", sagt Christian W. Vermutlich meint er damit, er habe die Staatsbürgerschaft angenommen, aber nicht anerkannt.

Die acht Angeklagten machen ihre Angaben, alle sind höflich und auskunftswillig. Alles scheint normal. Dann, nach rund 15 Minuten, erteilt die Vorsitzende Richterin Illini den drei Vertretern der Generalbundesanwaltschaft das Wort. Doch bevor einer von ihnen beginnen kann, meldet sich der Verteidiger von Thomas T. zu Wort und bittet um eine Antragstellung. Doch die Richterin unterbricht ihn, bittet darum, zuerst die Anklage zu verlesen.

Verlesung der Anklage dauert über zwei Stunden

"Warum unterbrechen Sie mich denn?", fragt Verteidiger Wolfgang Heer. "Weil ich Ihnen jetzt nicht das Wort für einen Antrag erteile. Den Antrag können Sie nach der Verlesung der Anklage stellen", antwortet Illini mit lauter und fester Stimme. "Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass wir uns im Laufe der Verhandlung aussprechen lassen", bittet Heer. "Ja, aber ich erteile Ihnen jetzt nicht das Wort für einen Antrag", beendet Illini die Diskussion.

Die Vertreter der Bundesanwaltschaft beginnen kurz vor 10 Uhr, die Anklage vorzulesen. Nach den ersten Worten fängt plötzlich jemand aus dem Zuschauerraum an, laut und mit wuterfüllter Stimme zu brüllen und die Staatsanwaltschaft zu beleidigen. Nachdem die Person von der Polizei aus dem Saal gebracht worden ist, folgt eine rund zweistündige Verlesung der Anklageschrift. Anhand der Detailtiefe der Vorwürfe wird deutlich, dass die Bundesanwaltschaft die Angeklagten über lange Zeit beobachtet haben muss.

36 Seiten Opening Statements

Die Verteidigung will die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nicht unkommentiert stehen lassen und bittet bei der Vorsitzenden Richterin Illini darum, sogenannte Opening Statements vortragen zu dürfen. Hierbei handelt es sich um eine Erklärung zur Anklage, die vor der Vernehmung des Angeklagten abgegeben wird. Vier der Angeklagten lassen diese von ihren Verteidigern vortragen. Es beginnt Rechtsanwältin Braun, die den Angeklagten Tomas M. vertritt.

"Unserem Mandanten wird vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen zu sein", liest Braun vor. "Eine der Kernfrage dieses Prozesses wird lauten: Was ist Wahrheit? Was hat die Angeklagten verbunden, was getrennt? Hat sie überhaupt etwas verbunden?" Dieses Verfahren werde sich nicht nur mit den Angeklagten befassen, sondern auch mit der Frage, was einen Rechtsstaat ausmache. "Wir stehen nun am Beginn eines langen Weges, einem Erkenntnisprozess. Nichts ist, wie es scheint."

Ähnlich argumentiert auch Rechtsanwalt Wolfgang Heer für seinen Mandanten Thomas T. Er braucht noch ein Stückchen länger, trägt seine 36 Seiten in rund anderthalb Stunden vor. Die Kernaussage seines Statements: "Die Tatvorwürfe wiegen insgesamt sehr schwer." Deshalb haben er und seine beiden Kollegen folgendes Vorhaben: "Wir verteidigen Herrn T. mit dem Ziel des Freispruchs."

Prozessauftakt endet nach sechseinhalb Stunden

Ein Gähnen hier, ein auf dem abgestützten Arm aufgelegter Kopf da und ein resignierter Blick der Vorsitzenden Richterin machen deutlich, dass um 16 Uhr die Luft für den ersten Prozesstag so langsam raus ist. Es fehlen jedoch immer noch zwei Opening Statements. Diese verschiebt die Vorsitzende Richterin Dagmar Illini auf den nächsten Verhandlungstag. Außerdem bittet sie die Rechtsanwälte darum, mit ihren Mandaten zu klären, ob sie sich zur Sache äußern wollen.

Der Prozess wird am Mittwoch, dem 19. Juni, um 9.30 Uhr fortgesetzt. Dann soll die Beweisaufnahme beginnen. Für den Prozess sind 54 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil kann frühestens im Januar 2025 erwartet werden. Bis dahin gilt für die acht Angeklagten die Unschuldsvermutung.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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