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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wings for Life World Run "Die drei Tage Schmerzen nehme ich gerne in Kauf"
Skispringer Andreas Wellinger fährt beim Wings for Life World Run in München das "Catcher Car". Im Interview verrät er, was den Lauf für ihn so besonders macht.
Zum mittlerweile elften Mal findet in diesem Jahr der Wings for Life World Run statt. Weltweit treffen sich am Sonntag, 5. Mai, Menschen, um gemeinsam für diejenigen zu laufen, die nicht laufen können. So auch in München. Insgesamt 12.000 Teilnehmer haben sich zum Flagship Run in der bayerischen Landeshauptstadt angemeldet. Die Startgelder und Spenden fließen zu 100 Prozent in die Rückenmarksforschung. Das Ziel: eines Tages Querschnittslähmung heilen zu können.
Das Konzept der Laufveranstaltung ist einzigartig. Denn es gibt keine vorgegebene Streckendistanz. Alle Teilnehmer laufen so lange, bis sie vom sogenannten "Catcher Car" eingeholt werden. Dieses startet eine halbe Stunde nach den Läufern mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometern pro Stunde und erhöht alle 30 Minuten sein Tempo. Zunächst jeweils um 1 km/h, nach drei Stunden dann um 4 km/h, ehe nach viereinhalb Stunden die maximale Geschwindigkeit von 34 Kilometern pro Stunde erreicht ist.
Im vergangenen Jahr schaffte Sieger David Schönherr 61,6 Kilometer, dann überholte ihn das Auto. Bei den Frauen triumphierte Stefanie Hansen in München mit 42,7 Kilometern. In diesem Jahr müssen die Teilnehmer vor Skisprung-Olympiasieger Andreas Wellinger "flüchten", der am Steuer des "Catcher Car" sitzen wird. Sein Beifahrer ist Vortragsredner und Rollstuhlrugby-Nationalspieler Moritz Brückner. Vorab hat sich Wellinger mit t-online zum Interview getroffen.
t-online: Sie waren in den vergangenen Jahren selbst mehrfach als Läufer und TV-Experte beim Wings for Life World Run in München dabei. Was war Ihr bislang bestes Ergebnis?
Andreas Wellinger: Knapp über 13 Kilometer. Ich bin nicht so der Läufer, weit weg von den Distanzen der Spitzenathleten. Einmal im Jahr, wenn der Wings for Life World Run ansteht, ziehe ich mir die Laufschuhe an, aber ansonsten bin ich dann doch eher anderweitig unterwegs. Da gehe ich lieber Fahrradfahren oder Skitouren.
Was verbinden Sie persönlich mit dem Lauf in München?
Die Atmosphäre ist sensationell, die ersten fünf, sechs Kilometer gehen durch den Olympiapark, was einfach ein saugeiles Ambiente ist. Im Anschluss folgen dann meist drei Tage Schmerzen, weil mir nach dem Lauf alles wehtut. Aber die nehme ich gerne in Kauf. Ich bin einfach mit Herz und Seele bei der Veranstaltung dabei.
Zumal es für Sie als Chiemgauer ja auch so etwas wie ein Heimspiel ist.
Genau. Ich habe auch eine Zeit lang in München gewohnt. Von daher kenne ich mich mehr oder weniger gut in der Stadt aus.
Zur Person
Andreas Wellinger startet seit 2012 im Skisprung Weltcup. Bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi gewann der 28-Jährige die Goldmedaille im Teamwettbewerb, vier Jahre später triumphierte er bei Olympia in Pyeongchang im Einzel auf der Normalschanze.
Auch bei Weltmeisterschaften war der gebürtige Traunsteiner bereits erfolgreich, 2017 und 2021 gab es für ihn jeweils Gold im Mixed-Wettbewerb. Bei der Vierschanzentournee wurde er 2018 und 2024 jeweils Zweiter.
Was macht das Event für Sie aus, was ist am Wings for Life World Run so besonders?
Dass es anders als zum Beispiel bei einem Halbmarathon keine vorgegebene Distanz gibt und jeder mitmachen kann. Selbst Menschen im Rollstuhl, die dafür kämpfen, wieder laufen zu können. Und wenn sie "nur" 100 Meter mit Gehhilfen schaffen, sind diese 100 Meter auf den eigenen Beinen viel beeindruckender, als wenn ich 13 Kilometer weit laufe.
In diesem Jahr werden Sie beim Wings for Life World Run nicht als Läufer dabei sein. Stattdessen erwartet Sie eine neue Aufgabe. Erstmals werden Sie das sogenannte "Catcher Car" fahren, vor dem die Teilnehmer "flüchten". Wie groß ist die Vorfreude?
Riesig. Es ist eine Aufgabe, bei der ich noch nicht so genau weiß, was auf mich zukommt. Es ist doch etwas ganz anderes. Am meisten freue ich mich darauf, die Emotionen der Teilnehmer zu sehen. Ich habe es als Läufer selbst erlebt, wie es ist, wenn im Olympiapark der Startschuss fällt und 12.000 Menschen loslaufen. Wenn einen dann das Auto einholt, ist es trotz der Erschöpfung eine Erleichterung und Freude, die einzigartig ist.
Worin sehen Sie die größte Herausforderung der Aufgabe?
In erster Linie darin, mich primär aufs Autofahren zu konzentrieren. Denn natürlich will man auch die Läufer anfeuern. Die Challenge liegt darin, die Geschwindigkeit konstant zu halten und auch an schmalen Stellen viele Leute zu überholen. Gerade die ersten zehn bis 15 Kilometer dürfte es teilweise eng werden. Da gilt es, den Fokus zu behalten, gleichzeitig aber auch die Emotionen und Stimmung aufzusaugen.
Mit dem Österreicher Lukas Müller gibt es auch einen Skispringer, der seit einem Trainingssturz 2016 querschnittgelähmt ist. Schafft der Wings for Life World Run bei Ihnen persönlich noch einmal ein Bewusstsein dafür, wie gefährlich der Sport ist und wie froh Sie sein können, laufen zu können?
Mir ist natürlich bewusst, was bei uns in der Sportart theoretisch passieren kann. Die Angst springt dennoch nicht mit. Durch den Unfall von Lukas und den Wings for Life World Run wird mir aber immer wieder bewusst, wie gut es mir geht und welches Privileg wir haben, alles ohne Einschränkungen machen zu können. Das fängt schon bei banalen Dingen im Alltag an. Ich kann einfach eine Treppe hochgehen, ein Rollstuhlfahrer dagegen ist jedes Mal auf einen Aufzug angewiesen.
Das ist der Wings for Life World Run
Im Jahr 2004 gründete der zweifache Motocross-Weltmeister Heinz Kinigadner, dessen Bruder und Sohn beide querschnittgelähmt sind, gemeinsam mit Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz die Wings for Life Stiftung. Diese hat sich zum Ziel gesetzt, eine Heilung für Querschnittlähmung zu finden.
Seit 2014 findet jedes Jahr im Mai der Wings for Life World Run statt, dessen Einnahmen zu 100 Prozent in die Rückenmarksforschung fließen. Neben den sieben sogenannten Flagship Runs in München, Zug (Schweiz), Ljubljana (Slowenien), Wien (Österreich), Zadar (Kroatien), Posen (Polen) und Breda (Niederlande) ist es zudem möglich, mit der offiziellen App virtuell überall auf der Welt am Rennen teilzunehmen.
Umso wichtiger ist es daher, die Rückenmarksforschung weiter zu fördern. Beim Wings for Life Run fließen alle Startgelder zu 100 Prozent in die Forschung. Getreu dem Motto: "Laufen für die, die es nicht können." Ist das für Sie ein Antrieb, jedes Jahr auf Neue teilzunehmen?
Das ist das Tolle. Jeder kann durch seine Teilnahme einen Teil dazu beitragen, dass vielleicht irgendwann ein Mensch wieder aus seinem Rollstuhl aufstehen kann. Lukas selbst hat diesen Kampf angenommen, ist mittlerweile wieder auf eigenen Beinen unterwegs. Und das, obwohl ihm die Ärzte gesagt haben, dass er nie wieder gehen kann.
Sie waren Teilnehmer, TV-Experte und sind nun "Catcher-Car"-Fahrer. Dazu stürzen Sie sich von den größten Schanzen herunter. Wobei sind Sie am meisten aufgeregt?
Beim Skifliegen bin ich aufgeregter als beim Skispringen. Einfach, weil wir das nicht trainieren dürfen. Beim Lauf bin ich dagegen wenig angespannt. Jetzt, mit der neuen Aufgabe, wird es definitiv ein bisschen mehr Anspannung sein. Aber ich freue mich darauf und bin gespannt, wie es mir nach den viereinhalb bis fünf Stunden Autofahren geht.
Haben Sie noch einen Tipp, den Sie den Teilnehmern mit auf den Weg geben können?
Spaß haben. Mit Freude und einem Lächeln an den Start gehen und sich von der Masse und den Emotionen treiben lassen. Dann wird man automatisch gepusht. Und einfach genießen, bis man vom Auto eingeholt wird.
- Interview mit Andreas Wellinger
- Eigene Recherchen