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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Immer mehr gerissene Schafe Selbst Tierschützer sehen jetzt im Wolf eine Gefahr
Aufregung um den Wolf: Immer mehr Almbauern haben Angst vor dem Wolf. Mit jedem gerissenen Schaf wächst der Druck auf die Politik.
Der Wolf ist auf dem Vormarsch in den Alpen – und auch in Bayern. Zuletzt traf es drei Schafe im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, die gerissen wurden. Die betroffenen Viehhalter sind entsetzt. Auf Beutejagd ist auch der Bär, zuletzt an der Grenze zu Tirol.
Bald 800 Wolfsrudel in den Alpen? Dieses Schreckensszenario für Almbauern prognostiziert die Umweltgruppe "Wolf Schweiz" jüngst in Südtiroler Medien. "250 Wolfsrudel gibt es bereits in den Alpen", so die Schweizer. Sie prophezeien: "Der Wolf ist gekommen, um zu bleiben." Mit dem weiteren Zuwachs dieses Jahr sei bald die Hälfte des Lebensraumes besiedelt. Die vollständige Besiedlung werde bereits in wenigen Jahren erreicht sein. Eine verstärkte Regulierung des Wolfes, ob präventiv oder reaktiv, werde an dieser Realität nichts mehr verändern können.
Noch liegen die Zahlen in Bayern weit darunter: Aktuell sind hier maximal 44 Wölfe heimisch, hinzu kommen durchziehende Tiere. Zum Vergleich: In Brandenburg, dem Bundesland mit der höchsten Wolfsdichte, leben etwas mehr als 500 Wölfe. (Hier lesen Sie mehr über die Wolfspopulationen in Deutschland.)
Schafrisse an unterschiedlichen Orten Oberbayerns
Doch Realität sind mehrere Schafrisse an unterschiedlichen Orten Oberbayerns. Ende Juni schlug ein Wolf auf der Siblalm oberhalb des Tegernsees zu. "Drei Schafe hat hier nur ein paar Höhenmeter weiter ein Wolf gerissen", beklagt Anton Maier, Landwirt aus Rottach-Egern. Vier Schafe vermisst er seitdem. "Im ganzen Oberland gibt es Sichtungen. Wir müssen verhindern, dass Wölfe bei uns sesshaft werden – sonst können wir Almbauern zumachen und unsere Kulturlandschaft und Heimat gehen verloren."
Unterstützung bekam Maier von Ministerpräsident Markus Söder anlässlich der Hauptalm-Begehung Anfang August. "Der Wolf gehört nicht hierher", postulierte Söder. "Eine Entnahme, meist wohl ein Abschuss, muss möglich sein, wenn die Bestände wie im Moment zu stark werden." Die Almwirtschaft, ein beschwerlicher Traditionsberuf, sei laut Söder wichtiger als ein einzelner Wolf.
Die Landwirte sind entsetzt angesichts der verletzten Tiere
Die Angst vor dem Wolf treibt Landwirte entlang der ganzen Alpenkette um. Wie in Farchant, nahe Garmisch. Von drei Angriffen in den letzten sieben Wochen berichtet die dortige Weidegenossenschaft. Einmal fünf, dann sechs Schafe und zuletzt vergangenen Mittwoch drei Schafe, gehen dort auf das Konto eines großen Beutegreifers, der sie zerfetzte oder schwer verletzte.
"Dem einen wurde ein Haxen abgerissen, ein anderes angebissen", erzählt Hans Hibler von der Weidegenossenschaft, der das auch mit der Kamera dokumentierte. Möglicherweise ist es der Wolf, der im benachbarten Ehrwald Mitte Juli insgesamt 15 Schafe getötet hat.
Aus für die Almwirtschaft?
Farchants Bürgermeister Christian Hornsteiner (CSU) und Landrat Anton Speer (FW) verfassten einen offenen Brief an das Landwirtschafts- und das Umweltministerium, an Michaela Kaniber und Thorsten Glauber und forderten sie auf, Maßnahmen zur Entnahmemöglichkeit von großen Beutegreifern zu erlassen.
Es sei nicht kurz vor zwölf, "sondern schon kurz nach zwölf". Wenn sich nicht schnell etwas ändere, "bedeutet dies das Aus für die Almwirtschaft, die den wichtigsten Beitrag für die Biodiversität auf den Almflächen leistet". Über die Entnahme sei schon genug geredet worden, jetzt müsse "sofort" gehandelt werden.
Auch örtliche Tierschützer sehen den Wolf kritisch
Diese Forderung kommt erstaunlicherweise auch vom heimischen Tierschutzbund. Tessy Lödermann als deren Vorsitzende forderte im Garmischer Tagblatt: Es müsse bei auffälligen Wolfs-Exemplaren eine "Entnahmemöglichkeit geschaffen" werden. "Auch Schafe haben ein Wert. Züchter bauen zu ihnen ein sehr inniges Verhältnis auf", so Lödermann.
Selbstverständlich gehöre der Wolf zur Biodiversität. "Aber er ist nur ein Teil. Wir sollten den Wolf nicht über alles stellen." Zur Forderung von Naturschützern, Schafe vor den Beutegreifern auf Almweiden einzuzäunen, meint die anerkannte Tierschützerin, einst für die Grünen im Landtag: "In unseren Höhen mit Gräben und Rinnen bringt man einen Zaun niemals wolfssicher dicht."
"Lösungen, die uns nicht gefallen"
Ähnlich sieht es auch Axel Döring vom örtlichen Bund Naturschutz. "Wenn es einen Schadwolf gibt, müssen wir im Extremfall über Lösungen nachdenken, die uns nicht gefallen." Denn gerissene Schafe seien für einen Halter schlimm, "es gibt eine emotionale Bindung."
Doch nicht nur der Wolf hat es auf Schafe abgesehen, auch ein Bär auf der Tiroler Seite. 15 gerissene Schafe seien Ende Mai auf einer Alm im Karwendel entdeckt worden, berichtet die "Kronenzeitung", und weitere 20 Schafe zu dieser Zeit bereits vermisst worden. Der Verdacht lag schon damals nahe, jetzt aber steht es für das Land Tirol fest: "Die Ergebnisse der DNA-Analyse bestätigen, dass ein Bär für die Risse verantwortlich ist."
Ob Bär oder Wolf: Die betroffenen Almbauern wollen nun massiv den Druck auf die Staatsregierung erhöhen.
- Offener Brief des Garmischer Landrats und des Bürgermeisters von Farchant
- Garmischer Tagblatt: "Nach brutalen Schafrissen: Klare Forderung von Politik und Tierschützern"
- Kronen-Zeitung: "Bär riss im Karwendel Schafe"