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Hitze in München: So leiden Obdachlose unter den Temperaturen


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Tödliche Temperaturen
Wie die brütende Hitze Obdachlose trifft

Von Jennifer Lichnau

Aktualisiert am 25.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Dumitru sitzt an den Mauern einer Kirche in der Münchner Innenstadt. Die Hitze macht ihn schlapp.Vergrößern des Bildes
Dumitru sitzt an den Mauern einer Kirche in der Münchner Innenstadt. Die Hitze macht ihn schlapp. (Quelle: t-online)

Hitze in München – für Obdachlose werden die extrem heißen Tage zu einem Ringen um ihre körperliche und mentale Gesundheit. Ein heißer Tag auf Münchens Straßen.

Was ist schlimmer, die Hitze oder die Kälte? "Die Hitze", sagt Dumitru. Er sitzt auf einer Isomatte und einem Stapel Decken an den Mauern einer Kirche. Es sind über 34 Grad. Auf seinem lilafarbenen T-Shirt steht "Santa Monica". Unter dem Schriftzug prangt eine Sonne mit roten Flammen. Dumitru, der aus Rumänien kommt und auf der Straße lebt, ist nicht in Santa Monica, Kalifornien. Heiß ist ihm trotzdem. Er harrt vor der Heilig Geist Kirche aus, in der Münchner Innenstadt. "Hier ist meistens Schatten", sagt er.

Vor ihm steht Reinhardt Wiewe, in kurzer roter Hose und abgetretenen Sandalen. In der Hand eine halb abgebrannte Zigarette. Sie kennen sich von der Straße. Wiewe ist 65 Jahre alt, spricht mehrere Sprachen, darunter auch Rumänisch. Er ist gut vernetzt, kennt viele Obdachlose. Er selbst hat eine Wohnung, kann sich darin aber nicht aufhalten, weil er Messie ist. Weder an seinen Kühlschrank noch an seine Dusche kommt er ran. Deshalb lebt er die meiste Zeit auf der Straße. "Was findest du so schlimm an der Hitze?", fragt Wiewe. "Sie macht mich immer so schlapp", sagt Dumitru, der nur seinen Vornamen nennt.

Obdachlose sind bei Hitze besonders gefährdet

"Und woher bekommst du dein Wasser?", fragt Wiewe weiter. Dumitru zeigt auf den Supermarkt schräg gegenüber. Dort kauft er sich Wasser, von dem Geld, dass Passanten ihm in das Körbchen zu seinen Füßen werfen. Dumitru hat Furchen im gegerbten Gesicht. Sein Mund ist eingefallen. Um den Hals trägt er einen Rosenkranz, den er Wiewe entgegenhält. "Der Allmächtige schickt die Hitze oder die Kälte. Da können wir nichts machen", sagt er.

Wenn im Winter die Temperaturen unter null sinken, erfrieren immer wieder Obdachlose. Um das zu verhindern, sind Kältebusse unterwegs. Dass den Obdachlosen auch der Sommer zur Gefahr werden kann, daran denken viele nicht. Gekühlte Büros, geschützte Wohnungen sind für sie keine Option. Für Menschen wie Dimitrou wird der sengend heiße Juli in München zum Kampf um ihre Gesundheit.

Neben alten und kranken Menschen gehören Obdachlose zu den Menschen, für die die Hitze besonders gefährlich wird. Erst vergangene Woche ist in Köln ein Obdachloser gestorben. Zuvor war er in der brütenden Sonne eingeschlafen. "Die Menschen auf der Straße brauchen mehr Schutz", sagt Wiewe, "Den haben sie nicht."

Tagestreff für Obdachlose bietet Dusche und kalte Getränke

Das Wichtigste, um in der Hitze zu überleben, seien Wasser und Hygiene, sagt Wiewe. Auf eine Anfrage von t-online an die Stadt München zur Situation der Obdachlosen bei Hitze heißt es: "In den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wird über richtiges Lüftungsverhalten ständig informiert." Zudem seien Streetworker unterwegs. "In aller Regel suchen diese Obdachlosen aber bereits von sich aus geeignete Orte auf." Welche das sind, darauf geht der Sprecher der Stadt nicht ein.

Für Wiewe ist ein solcher Ort der Tagestreff "Otto&Rosi". Hier ist er Stammgast. In den hellen Räumen an der Rosenheimer Straße können sich Obdachlose sieben Tage die Woche zurückziehen, Schutz suchen. Es gibt Duschen, Waschmaschinen, eine Küche und Getränke für gerade einmal 20 Cent. Dumitru war hier noch nicht. Warum? Vielleicht die Scham, vielleicht ist der Weg dorthin zu anstrengend.

Auf der Straße zu leben, ist oft mit Scham verbunden

Im Sommer stellt die Leiterin des Tagestreffs, Karin Kickner Ventilatoren auf. Manchmal, wenn das Budget es zulässt, kauft sie Eis. Im unteren Stockwerk führt eine Tür auf eine schattige Terrasse. "Hier halten sich unsere Besucher im Sommer gerne auf", sagt Kickner. Auch die Duschen und die günstigen Getränke werden im Sommer besonders in Anspruch genommen.

Das Tagestreff öffnet unter der Woche erst um 14 Uhr. Wo die Obdachlosen sich davor aufhalten, weiß Kickner nicht genau. Die wenigsten erzählen es. Nur ein paar wenige haben erzählt, dass sie bei besonders hohen Temperaturen an die Isar flüchten. Hier gibt es Schattenplätze und die Möglichkeit, sich im Wasser zu waschen und zu erfrischen. "Und", sagt Kickner, "hier bleiben die Obdachlosen anonym." Das ist den meisten wichtig. Auf der Straße zu leben, ist oft mit Scham verbunden. Hier kann man sich weder der Hitze noch den Blicken der Passanten entziehen.

In München bietet die Isar Schatten und Abkühlung

So wie Dumitru auf dem Gehsteig in der Münchner Innenstadt. Vor ihm bleibt eine junge Frau stehen und fragt ihn auf Rumänisch, wo sie sich abkühlen kann. Sie trägt eine Isomatte unter dem Arm. Sie will schnell weiter. Dumitru schickt sie zur Isar. Sie fragt noch zweimal nach, um sicherzugehen, dass sie den Weg findet und verschwindet dann zwischen den Fußgängern Richtung Isartor.

Auch Wiewe macht sich wieder auf den Weg. Er geht sehr langsam. Ob ihm die Hitze was ausmache? Er lächelt. "Wir kommen eh alle in die Hölle, so können wir uns schon einmal daran gewöhnen." Bis zur nächsten S-Bahnstation, Wiewe will ins Tagestreff in der Rosenheimer Straße, sind es 400 Meter. Wiewe braucht beinahe eine halbe Stunde.

Selbst der Weg zu öffentlichen Trinkbrunnen ist bei Hitze beschwerlich

An der Station trifft er auf Hans, der eigentlich anders heißt. Der hagere Mann mit zerzaustem, grauen Haar ist über 70 Jahre alt. Er verbringt die Tage im Sperrengeschoss der S-Bahn. Neben einem Berg an Plastiktüten hat er einen Klappstuhl aufgebaut. Wiewe kennt ihn schon lange. Er fragt, wo er an heißen Tagen sein Wasser herbekomme. Hans kann kaum laufen, seine Wirbelsäule ist stark gekrümmt, beinahe im rechten Winkel. Der nächste öffentliche Trinkbrunnen, für ihn unerreichbar. Er holt eine große PET-Wasserflasche aus einer Plastiktüte und zeigt sie Wiewe. "Woher hast du die?", fragt der. "Ich bin eben gut vernetzt", sagt Hans.

Wiewe nickt. Weder Hans noch Dumitru gehen in ein Tagestreff für Obdachlose, wie Wiewe. Sie versorgen sich selbst und haben in den Jahren auf der Straße einige Anlaufstellen gefunden. Hans etwa bekommt hin und wieder Essen und Trinken bei dem Bäcker, oberhalb der S-Bahnstation, die sein Zuhause ist.

"Die Hitze macht die Menschen aggressiv."

Wiewe verabschiedet sich auch von ihm. Nächster Halt: Ostbahnhof. Hier fährt ein Bus direkt zum Tagestreff. An der Haltestelle sitzt Johannes. Wenn es heiß ist, hält er sich oft am Ostbahnhof auf. Am Orleonsplatz spenden Bäume Schatten, die Bänke darunter sind im Halbkreis um einen Springbrunnen angeordnet. Kein Trinkwasser, aber immerhin Wasser. Trinkwasser kauft er beim Discounter. "Was ist für dich schlimmer? Die Hitze oder die Kälte?", fragt Wiewe. Johannes muss überlegen. "Die Hitze macht die Menschen aggressiv." Immer wieder komme es auch zu Auseinandersetzungen unter den Obdachlosen.

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Wiewe nickt. Es fehle der Schutz für diese Menschen. Wiewe sagt das an diesem Tag schon zum dritten Mal. Er zündet sich die halb gerauchte Zigarette an, verabschiedet sich von Johannes. Der bleibt im Schatten sitzen, wie Dimitrou, lächelt schwach zum Abschied.

Im "Otto&Rosi" angekommen, sitzen einige Besucher im Schatten vor dem Eingang. "Wir gehen heute Eis essen", ruft einer dem ankommenden Wiewe zu und grinst. Eis essen, wiederholt er und tritt von einem auf den anderen Fuß. Er freut sich. Die Hitze belastet den Körper. Wenn die hohen Temperaturen ein Ringen ums Durchhalten werden, dann belasten sie aber auch die Psyche. Dagegen kann eine kleine Kugel Eis Großes bewirken.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Anfrage an die Stadt München
  • Gespräch mit Karin Kickner
  • Gespräch mit Reinhardt Wiewe
  • Gespräch mit Johannes
  • Gespräch mit Dumitru
  • Gespräch mit Hans
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