Besuche in München Stoiber hofierte Putin in München – und ahnte nichts von seinen Plänen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wladimir Putin besuchte Bayern mehrmals, just in München änderte er einst seine Politik. Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber lässt im Rückblick seinem Ärger freien Lauf – und ein Bürgermeister rechtfertigt sich.
Das Panorama gilt als einzigartig: Von Aying aus, das in der flachen Münchner Schotterebene liegt, einer Region im Alpenvorland, hat man einen atemraubenden Blick auf das bayerische Mangfallgebirge. Hier wollte Edmund Stoiber (CSU) dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sein Bayern zeigen.
Es war der 11. Oktober 2006 und es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Putin in oder bei München zu Gast war. Stolz war man damals. Heute ist Putin, der ab 1999 schon einen brutalen Konflikt gegen Tschetschenien führte, im Westen als Kriegsverbrecher geächtet. Und seine Besuche in München sind Schandflecken, die man am liebsten überkleben möchte. Oder es tatsächlich tut.
Wladimir Putin: Russland-Präsident besuchte Bayern und München
"Ich kann mich gut an eine Geschichte erinnern: Mein Bruder war auf einem Feld unterwegs. Es war dunkel, plötzlich wurde es taghell, weil über ihm der Polizeihubschrauber kreiste", erzählt Peter Wagner im Gespräch mit t-online. Heute ist Wagner Bürgermeister in Aying, damals war er abseits der Politik unterwegs – und kam an Putins Besuch trotzdem nicht vorbei.
"Wir hatten an dem Tag eine Sportveranstaltung im Umland. Auf der Hinfahrt standen in jedem Feldweg Polizeistreifen." Der junge Rathauschef war damals 21, saß noch nicht im Gemeinderat. Es sei "etwas Aufregendes" gewesen, den russischen Präsidenten bei dessen Deutschland-Tour begrüßen zu dürfen, berichtet er und davon, dass damals freilich niemand wissen konnte, dass derselbe Mensch eineinhalb Jahrzehnte später einen Krieg entfesseln würde.
Eben jener Kriegstreiber aus dem Kreml steht seither im Goldenen Buch der oberbayerischen Gemeinde, die dieses für seinen Besuch eigens angeschafft hatte. Seine Unterschrift prangt neben der des damaligen Ministerpräsidenten Stoiber, auf der ersten Seite.
Edmund Stoiber erinnert sich an Putin-Rede in München
Der damalige Ministerpräsident Stoiber erinnert sich heute auf Nachfrage von t-online an die "mit großem Beifall aufgenommene, in Deutsch gehaltene Rede von Präsident Putin im Deutschen Bundestag 2001", wie er sagt. Oder an den Besuch Putins in Deutschland und Bayern 2006, der nach seiner Einschätzung "allgemein als Zeichen einer guten Nachbarschaft gewertet wurde. Im Gegensatz zur Sowjetunion".
Stoiber sagt: "In dieser Zeit hatte sich in der deutschen Politik parteiübergreifend die Haltung etabliert, dass es ein friedliches Europa nur im Einklang mit und nicht gegen Russland geben kann." Genau den Frieden, den Putin mit dem Überfall seiner Truppen auf die Ukraine vor vier Wochen zunichtegemacht hat. Ein Angriff, der Stoiber entsetzt.
Schon im Vorfeld hatte der Machthaber aus Moskau gegen den Westen und die USA gewettert. Die aggressive Politik ist es, die just in München ihren Anfang nahm. Es war der 14. Februar 2007, Hotel "Bayerischer Hof", Promenadeplatz, mitten in der Altstadt. "Niemand fühlt sich mehr sicher", sagte Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Kein halbes Jahr nach seinem Besuch in Aying.
Putins Rede auf der Sicherheitskonferenz wird geschichtsträchtig
Die USA hätten ihre Grenzen "in allen Sphären überschritten", meinte er, und würden der ganzen Welt ihre eigenen Vorstellungen aufzwingen. Putin fragte: "Nun, wem gefällt das schon?"
Und referierte weiter: "Vor gerade einmal zwei Jahrzehnten war die Welt ideologisch und wirtschaftlich zerbrochen, aber ihre Sicherheit garantierten die gewaltigen strategischen Potenziale zweier Supermächte", sagte er in einer Aneinanderreihung an Schachtelsätzen.
"Nebenbei gesagt, lehrt man uns –Russland – ständig Demokratie. Nur die, die uns lehren, haben selbst, aus irgendeinem Grund, keine rechte Lust zu lernen." Das saß. Die Rede kam unvermittelt. Und die internationale Politik reagierte reichlich irritiert auf die scharfe Rhetorik in München.
Wladimir Putins konfrontative Rede in München
"Die von vielen als konfrontativ empfundene Rede Putins 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz war ein erstes Warnsignal, dass die strategischen Interessen Russlands und des Westens nicht so kompatibel waren wie gedacht", erklärt CSU-Politiker Stoiber im Rückblick und kritisiert deutlich: "Der Angriffskrieg Russlands, der Terror und die schweren Kriegsverbrechen gegen die Bevölkerung in der Ukraine sind durch nichts zu rechtfertigen und ein klarer Fall für den Internationalen Strafgerichtshof."
Rechtfertigen muss sich indes Ayings Bürgermeister Wagner für die Unterschrift Putins im Goldenen Buch, in das sich zum Beispiel auch Fußball-Weltmeister und FC-Bayern-Kapitän Philipp Lahm bei dessen Hochzeit in der 5.000-Seelen-Gemeinde im Juli 2010 verewigt hat. "Ich möchte mich von Putin distanzieren. Was er in der Ukraine macht, ist menschenverachtend", sagt Wagner.
"Das geht gar nicht. Ich verstehe es nicht, dass man im 21. Jahrhundert einen Krieg anzettelt und mit dieser Aggressivität gegen seinen Nachbarstaat vorgeht", sagt Wagner und meint: "Aber: Ich kann die Uhr nicht mehr zurückdrehen. Er war 2006 da und er steht im Goldenen Buch. Das gehört zur Zeitgeschichte, auch, wenn ich nicht stolz darauf bin. Es ist ein historisches Dokument, deshalb möchte ich es nicht zerstören. Weder die Unterschrift rausradieren noch die Seite rausreißen."
Aying setzt Zeichen gegen Wladimir Putin
Seine Gemeinde ließ dennoch ein Zeichen setzen. Kinder, die aus der Ukraine geflüchtet sind und in Aying Zuflucht fanden, haben die Unterschrift Putins mit der Zeichnung einer Friedenstaube überklebt.
Ohnehin berichtet Wagner von einer "sehr, sehr großen Solidarität. Ich habe nach einem Aufruf innerhalb von zwei Tagen für knapp 50 Flüchtende Zusagen bekommen, damit diese hier unterkommen können", erzählt er. Nachdem Putin knapp 15 Jahre nach seiner Münchner Rede einen Krieg losgetreten hat. Mitten in Europa.
- Antworten von Edmund Stoiber, Telefon-Interview mit Peter Wagner
- Der Spiegel: Stoibers kühler Gast sucht Anschluss
- Münchner Merkur: Als Putin in München den Kurs wechselte