Der unterschätzte "Faktor Fluss" Das macht das Baden in der Isar gefährlich

Immer wieder kommt es an der Isar in München zu Unfällen. Wieso geraten Menschen dort in Not? Wo ist das Baden besonders gefährlich? t-online hat bei der Wasserwacht nachgefragt.
Immer wieder kommt es in München zu Badeunfällen in der Isar. Erst vor einigen Tagen wurde ein 14-Jähriger tot aus dem Fluss geborgen, nachdem er tagelang vermisst worden war. Wir haben mit Michael Greiner von der Isarrettung über die Gefahren des Wassers gesprochen.
Ein wilder Fluss, gezähmt durch Brücken, Schleusen und Wehranlagen: Die Isar prägt das Stadtbild von München mit ihrem breiten Erholungsangebot. Auf 14 Kilometern wird mitten in der Stadt geplanscht, getrunken, gegrillt, Boot gefahren und sich gesonnt, wann es das Herz begehrt – obwohl es laut Bade- und Bootsverordnung nicht überall erlaubt ist. Doch wo es viele Menschen hintreibt, kommt es auch zu Unfällen.
Bayern: "Trauriger Vorreiter bei Badetoten"
Die Münchner Feuerwehr zählte in diesem Jahr bereits 14 Rettungseinsätze in Münchner Binnengewässern – im Jahr 2018 gab es noch 20 Einsätze über das ganze Jahr verteilt. "Bayern ist in diesem Jahr leider trauriger Vorreiter bei den Badetoten", so Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bei einer Übung der Wasserwacht am Chiemsee. Laut DLRG ertranken bis zum 21. Juli dieses Jahres in Bayern insgesamt 29 Menschen.
Michael Greiner und seine Kolleginnen und Kollegen sind zwischen dem 1. Mai und dem 30. September ehrenamtlich am Flaucher und an der Marienklause im Einsatz. Dort wachen sie an den Wochenenden über die Badegäste.
"Faktor Fluss" macht Isar für Badende unkontrollierbar
Ob es besonders sichere Stellen in der Isar gibt? "Besonders sicher ist's im Schwimmbad", lacht Greiner. In einem wilden Fluss gebe es dagegen keine klaren Beckengrenzen und nur stellenweise Aufsicht. Rettungskräfte müssten an sämtlichen Gefahrenstellen an der Isar rund um die Uhr im Dienst sein, um eine lückenlose Überwachung zu gewährleisten.
"An Flüssen und Seen sind in den wenigsten Fällen Rettungsschwimmer im Einsatz. Ein simples Badeverbotsschild reicht eben nicht aus, um Menschen vor dem Sprung ins unbewachte und vor allem unbekannte Gewässer abzuhalten", so auch Achim Haag vom DLRG. Die Unfälle in Greiners Wachtgebiet enden nur selten tödlich. "Zum Glück", sagt er. Seiner Erfahrung nach sind es vor allem Schlauchbootfahrer, die unter Alkoholeinfluss in Seenot geraten. Er sehe weniger "klassische Badeunfälle", bei denen die Menschen wegen fehlender Schwimmkenntnisse oder aus Selbstüberschätzung in Bedrängnis geraten.
An der Münchner Isar mache zusätzlich der "Faktor Fluss" viel aus: die baulichen Gegebenheiten der Isar also, und auch Regenwetter – insbesondere wenn das zu Veränderungen des Wasserspiegels führt. Besonders gefährlich an der Münchner Isar seien nämlich die menschengemachten Einbauten. Um den Fluss einst zu bändigen, wurden Düker und Wehre angelegt. Sie sollten Wasser unterirdisch umleiten, oberirdisch stauen und kontrollierbar machen. Doch diese Anpassungen können für Badende zur Gefahr werden.
Zu den Umständen, unter denen kürzlich ein 14-Jähriger verunglückt ist, vermutet Greiner: "Da wär' auch der perfekte Schwimmer umgekommen oder in massive Schwierigkeiten gekommen". Er habe einige Stunden nach dem Unfall den erhöhten Wasserstand gesehen und warnt: Gefährlich für Badende werde es in der Isar schon deutlich unterhalb der definierten Hochwassergrenze.
Hier ist es besonders gefährlich: "Man verliert innerhalb von Sekunden die Orientierung"
Doch wo ist es an der Isar besonders gefährlich? Laut Greiner sollte man insbesondere nahe der Marienklause lieber Abstand vom Fluss halten. Denn der kleine Wasserfall, der hier normalerweise vor sich hin plätschert, entwickele sich bei einem Anstieg des Wasserspiegels zu einer gefährlichen Wasserwalze. "Das muss man sich vorstellen wie in einer Waschmaschine", sagt Greiner.
Badende, die in die Walze geraten, werden demnach heruntergezogen, dann nach oben und an die Dükerkante gespült und wieder unter Wasser gezogen. "Die verlieren innerhalb von Sekunden die Orientierung." Das mussten gerade auch mehrere Männer erleben, die ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken retteten und dabei beinahe selbst davongeschwemmt worden wären. Andere Menschen konnten sich nicht mehr aus der Wasserwalze an der Marienklause retten. Auch von den Flaucher-Wasserfällen und von sämtlichen Wehren solle man sich besser fernhalten, wenn es nach Greiner geht – und nach der Badeverordnung der Landeshauptstadt München.
Was tun, wenn man in einer Walze steckt?
Wenn man in der Isar in eine Walze gerät, ist das richtige Verhalten essenziell. Wer immer wieder vom Sog unter Wasser gezogen wird, braucht die Sekunden über der Oberfläche zum Luftholen. Laut Greiner ertrinken viele Menschen "still". Sie benötigen schon all ihre Kraft, um sich im Wasser zu stabilisieren. Er rät: vor allem ruhig bleiben und so gut wie möglich auf sich aufmerksam machen. "Wenn man die Chance hat, soll man nach was greifen, wo man sich festhalten kann". Dabei können auch Außenstehende helfen.
Wie kann man jemandem in Not helfen?
Wenn man jemanden in der Isar entdeckt, der in Seenot geraten ist, kann man dem oder der Ertrinkenden die an der Isar verteilten Rettungsringe, Seile oder alternativ stärkere Äste zuwerfen. Und insbesondere gilt: "Auch wenn's noch so schwer ist: Nicht hinterherspringen!"
Stattdessen könne man helfen, indem man so schnell wie möglich einen Notruf bei der 112 absetze und die Ertrinkenden nicht aus den Augen verliere. Dabei sei besonders wichtig, den genauen Standort zu kennen. "Das haben wir immer wieder bei Einsätzen, dass die Leute nicht genau wissen, wo sie sind". Er gibt den Tipp: Die Uferseite kann bestimmt werden, indem man flussabwärts blickt.
- Gespräch mit Michael Greiner
- Anfrage bei der Münchner Feuerwehr
- Eigene Recherche
- Stadt München: Stadtportal
- Badeverordnung der Landeshauptstadt München
- Webseite des DLRG
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa