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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozess vor dem Oberlandesgericht Iraker soll von Bayern aus Anschläge für den IS geplant haben

Vor dem OLG hat am Donnerstag der Prozess gegen einen mutmaßlichen IS-Anhänger begonnen. Aus Angst vor Verfolgung im Irak floh er nach Deutschland.
Wer am Donnerstagvormittag in den Raum B275 möchte, muss Geduld mitbringen. Denn neben der Sicherheitskontrolle beim Einlass des Strafjustizzentrums in der Nymphenburgerstraße gibt es vor dem Sitzungssaal eine erneute Kontrolle. Taschen, elektronische Geräte und Ähnliches werden gescannt, während die Öffentlichkeit wie beim Flughafen durch einen erneuten Sicherheitscheck muss. Danach gehen die Justizbeamten mit einem Metalldetektor noch mal auf Nummer sicher. Handys müssen während des Prozesses ausgeschaltet werden. Der Grund für all die Vorsicht: Im Raum B275 findet heute eine Verhandlung vor dem Staatsschutzsenat statt.
Der Angeklagte, ein 40-jähriger Iraker, soll der islamischen Glaubensgruppe der Sunniten angehören und laut Anklage spätestens seit der gewaltsamen Ausbreitung der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) in weiten Teilen des Nordiraks im Jahr 2014 mit der Vereinigung sympathisieren. Weiter liest Staatsanwalt Thamm vor: "Er sah die Machtübernahme durch den IS als Befreiung der Sunniten an und identifizierte sich mit der Ideologie der Vereinigung, der er sich spätestens im Dezember 2016 anschloss."
IS-Anhänger arbeitete aus dem Untergrund heraus
Als Mitglied des IS soll er zunächst bei der Generalpolizei in Kirkuk (Universitätsstadt im Norden des Irak) eingesetzt worden sein. Obwohl der IS seine im Irak kontrollierten Gebiete im Jahr 2017 verlor, soll er sich weiterhin aus dem Untergrund an der Organisation beteiligt haben. Wenig später, 2019, soll der Angeklagte in der Provinz Diyala (zentralöstlicher Teil des Irak) für den IS aktiv gewesen sein.
Für seine Tätigkeit in der Terrorgruppe sollen der 40-jährige Iraker und seine Familie vom IS monatlich Geld erhalten haben. Von Ende Dezember 2016 bis Ende Januar 2017 lagen die Beträge laut Anklage bei 325 US-Dollar (rund 288 Euro), von Anfang Juni bis Anfang Juli 2019 waren es 249 US-Dollar (rund 220 Euro).
Trotz Einreise in Bayern: Angeklagter bleibt IS-Mitglied
Rund drei Jahre später änderte sich plötzlich etwas im Leben des Angeklagten. Anfang Juli 2022 soll der Angeschuldigte den Irak verlassen haben – "aus Angst vor einer Verfolgung durch irakische Sicherheitskräfte und schiitische Milizen wegen seiner Beteiligung am IS", liest Staatsanwalt Thumm weiter vor. IS-Mitglied blieb er laut Anklage weiterhin.
Ein Jahr später, 2023, reist er in Deutschland ein. Zuletzt hat er in Bad Wörishofen im Unterallgäu gewohnt. Er sei mit anderen IS-Anhängern in Kontakt geblieben und habe sich für die Terrororganisation bereitgehalten – unter anderem für Anschläge, wie es weiter in der Anklage heißt. Hierfür soll er laut Staatsanwaltschaft eine Geldsumme in Höhe von 2.500 US-Dollar (rund 2.215 Euro) bekommen haben.
Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vor. Der 40-jährige Iraker will sich nach Verlesung der Anklageschrift weder zu seiner Person noch zu seiner Tätigkeit beim IS äußern. Der Mann, mit kurzgeschorenem, dunklen Haar, sitzt mit einem grauen Pulli und einer Jeans bekleidet auf der Anklagebank – und zeigt keine Regung. Über ein Headset hört er der Dolmetscherin zu, die die Anträge des Vorsitzenden Richters Höhne ins Arabische übersetzt.
Was ist der "Islamische Staat" (IS)?
Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) kontrollierte jahrelang große Teile Syriens und des Irak. Das Ziel des IS war es laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, ein sogenanntes Kalifat (Gottesstaat) im Nahen Osten zu errichten. Nach einem mehrjährigen Krieg gegen die Extremisten ist deren selbst ernanntes Kalifat zwar zerfallen, doch Tausende Anhänger des IS dürften in den schwer zu kontrollierenden Wüstengebieten Syriens und des Irak untergetaucht sein. Längst hat der IS in anderen Ländern Fuß gefasst: in Ägypten, Afghanistan, Nigeria oder Ost-Afrika. Nicht nur in Europa besteht weiterhin die Gefahr von Anschlägen durch die Terrororganisation. Der IS ist in seiner Stammregion im Irak bis heute aktiv geblieben. Am 19. Juli 2021 sprengte sich ein Selbstmordattentäter inmitten eines belebten Marktes in Sadr City, einem Bagdader Stadtteil, in die Luft.
Beweismittel tragen teilweise Namen wie "Anschlagsplanung"
Richter Höhne nahm sich am ersten Prozesstag zwei Stunden Zeit, um die Einsicht sowie die Übersetzung der Beweismaterialien anzuordnen. Die Liste ist lang. Darunter fallen Chatverläufe auf WhatsApp und anderen Messengerdiensten, Briefe, E-Mails, Screenshots, Bilder, Tabellen, Exceldateien und Videos. Ihre Dateinamen wurden ebenfalls vom Arabischen ins Deutsche übersetzt. Sie tragen Namen wie "Ideologie", "Anschlagsplanung" oder "Toter Mann".
Diese Beweismittel sollen dem Staatsschutzsenat neben Zeugen, unter anderem vom Landeskriminalamt, Aufschluss über die Zusammenarbeit des Angeklagten mit dem IS geben. Für den Prozess sind 20 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil ist am 17. Oktober 2025 zu rechnen.
- Reporterin vor Ort