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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gemeinde wird zur Stadt Haar will nicht nur Vorort von München sein
Erstmals seit 2011 wird in Bayern wieder eine Gemeinde zur Stadt: Ab Dienstag darf sich Haar mit diesem Titel schmücken. Rein formal ändert sich nichts, aber emotional.
Zwei Ortsschilder sind schon verschwunden. Geklaut – offenbar von Menschen, die sich eine der gelben Tafeln mit dem Schriftzug "Haar" als Erinnerung sichern wollten, bevor sie endgültig abmontiert werden. Dies wird am 28. Januar geschehen. An diesem Tag wird Bayerns Innenminister Joachim Herrmann den 25.000-Einwohner-Ort vor den Toren Münchens besuchen. Im Gepäck wird der CSU-Mann zwar keine neuen Ortsschilder haben – um die muss man sich im Haarer Rathaus selbst kümmern.
Herrmann bringt jedoch eine Urkunde mit, die er seinem Parteikollegen und Bürgermeister Andreas Bukowski überreichen wird. Und diese Bescheinigung erlaubt es der bisherigen Gemeinde Haar, sich fortan Stadt zu nennen. Somit findet erstmals seit 14 Jahren wieder eine solche Erhebung in Bayern statt. Zuletzt wurden 2011 die Gemeinden Olching und Puchheim im Münchner Westen zu Städten.
Altes Wappen wird bald überholt sein
"Die Vorfreude ist riesig. Man merkt, wie die Begeisterung langsam Einzug hält", sagt Andreas Bukowski wenige Tage vor dem Festakt in seinem Bürgermeisterbüro. Dort hängt an der Wand ein hölzernes Abbild des Ortswappens – mit dem Schriftzug "Gemeinde Haar". Dies wird bald überholt sein, und die Partnergemeinde Ahrntal in Südtirol habe bereits angekündigt, den Haarern ein neues geschnitztes Wappen zu schenken, sagt Bukowski.
Das historische Emblem wird dennoch erst mal in seinem Büro bleiben – anders als das große Wappen an der Rathausfassade, das im Rahmen eines Bürgerfests feierlich ausgetauscht wird. Wobei rein formal, betont Bukowski, "sich für Haar durch die Stadterhebung erst mal nichts ändert". Und doch war der Bürgermeister vor gut zwei Jahren die treibende Kraft, die sich für einen entsprechenden Antrag ans Innenministerium einsetzte – wohl wissend, dass seine Gemeinde mit demselben Ansinnen vor gut 20 Jahren schon mal gescheitert war.
Gemeinde verwies auf Kultur und Bildung
Damals erteilte bereits das Landratsamt, das eine Stadterhebung in erster Instanz prüft, dem Begehren eine Absage. Als Begründung hieß es unter anderem, dass die Gemeinde mit ihren 19.000 Einwohnern zu klein sei. Inzwischen leben in Haar mehr als 25.000 Menschen. Doch die schiere Bevölkerungszahl ist längst nicht das einzige Kriterium, das bei einer Stadterhebung geprüft wird.
Vielmehr kämen nur Orte infrage, heißt es in der Bayerischen Gemeindeordnung, "die nach Einwohnerzahl, Siedlungsform und wirtschaftlichen Verhältnissen der Bezeichnung entsprechen". Was das genau bedeutet, bleibt ein Stück weit offen. "Deshalb war eine gewisse Unsicherheit da, ob unserem Antrag diesmal stattgegeben wird", sagt Andreas Bukowski. In ihrer Bewerbung verwies die Gemeinde auf die "urbanen Strukturen" im Ort, das rege Kulturleben etwa im "Kleinen Theater", die "erstklassige Bildungs- und Betreuungslandschaft" und die Rolle Haars als Verkehrsknotenpunkt.
Früher einmal: "Du gehörst nach Haar"
Zudem – und das habe man bewusst anders gemacht als beim ersten Antrag, so Bukowski – wurde die Bedeutung des Isar-Amper-Klinikums hervorgehoben, eine der größten psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland. "Früher ist das oft als Makel für Haar gesehen worden", erinnert sich der Rathauschef.
So war der Satz "Du gehörst nach Haar" über Jahrzehnte eine oft gehörte Beleidigung in Südbayern. Doch diese Zeiten seien vorbei, sagt Bukowski. "Wir sind stolz darauf, das Klinikum hier zu haben." Es sei ein "Alleinstellungsmerkmal" der Gemeinde. Derweil gab es durchaus auch kritische Stimmen, die eine Stadterhebung ablehnten – unter anderem aus Sorge, dies werde das dörfliche Miteinander schwächen.
Zusammenhalt soll noch gestärkt werden
Der Bürgermeister erwartet jedoch genau das Gegenteil: "Ich gehe davon aus, dass das den Zusammenhalt stärkt und den einen oder anderen vielleicht auch motiviert, sich hier zu engagieren." Zudem verspricht sich Bukowski "mehr Sichtbarkeit" – nicht zuletzt mit Blick auf den großen Nachbarn im Westen. "Haar ist kein bloßer Vorort von München, sondern eine eigene, selbstbewusste Kommune. Und das wollen wir auch zeigen."
Insofern dürfte es Andreas Bukowski verschmerzen, dass angesichts der nahenden Stadterhebung das eine oder andere Ortsschild als Souvenir entwendet wird. Für die verbleibenden Tafeln hat er jedenfalls schon einen Plan: Diese sollen – nachdem sie durch neue Schilder mit dem Schriftzug "Stadt" ersetzt wurden – für einen guten Zweck versteigert werden.
- Eigene Recherche