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München

Oktoberfest in München: Das erlebt die Polizei auf der Wiesn


Auf Streife mit der Wiesn-Polizei
"Manchmal komme ich mir vor wie im Kindergarten"


Aktualisiert am 26.09.2024 - 18:59 UhrLesedauer: 5 Min.
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Polizeistreife vor Riesenrad auf dem Oktoberfest: Über 600 Polizisten sind insgesamt auf der Wiesn im Einsatz.Vergrößern des Bildes
Polizeistreife vor dem Riesenrad auf dem Oktoberfest: Über 600 Polizisten sind insgesamt auf der Wiesn im Einsatz. (Quelle: Malte Bollmeier)

Wenn sich Millionen von Menschen an einem Ort betrinken, ist das nicht nur Anlass zur Freude, sondern auch Arbeit für die Polizei. So geht sie mit Schlägereien, Belästigung und Wiesnkoks um.

Es ist 17 Uhr am Dienstagnachmittag, als Nicky Keller die Einsatzzentrale der Polizei auf dem Oktoberfest verlässt und mit fünf Kollegen auf Streife geht. Keller, breit gebaut, goldener Ohrring, immer einen Spruch auf den Lippen, ist einer der erfahrensten Polizisten des Oktoberfests und leitet die Streife. Von seinen 45 Lebensjahren hat er 27 bei der Polizei verbracht, in zwölf davon war er auf der Wiesn im Einsatz; und mittlerweile darf er sich Polizeihauptkommissar nennen.

Nach Mitstreitern für seine Streife muss er nicht lange suchen, für das Oktoberfest melden sich freiwillig immer mehr Polizisten als benötigt. Insgesamt sind in den zweieinhalb Wochen Oktoberfest über 600 von ihnen auf der Theresienwiese im Dienst.

Direkt zu Schichtbeginn bekommt die Streife, die aus vier Männern und Frauen besteht, einen Einsatz von der Zentrale vermittelt: Ein Betrunkener soll auf der "Oide Wiesn" einem Sicherheitsmann ins Gesicht geschlagen haben. Die Beamten schlängeln sich zügig durch die Menschenmassen, um schnell vor Ort zu sein.

Kokser an der Bavaria?

Auf der "Oide Wiesn" angekommen, hat sich der Fall aber schon erledigt. Der mutmaßliche Täter ist fort, der Sicherheitsmann winkt ab, will sich nicht weiter darüber aufregen. In solchen Fällen nimmt die Polizei lediglich die Personalien der Beteiligten auf.

Zur Anzeige kommt es nur, wenn die Staatsanwaltschaft den Fall für besonders schwerwiegend hält oder die Beteiligten selbst Anzeige erstatten, wie der Kriminalkommissar und Polizeisprecher Ralf Kaestle sagt, der die Streife am Mittwoch begleitet.

Kaestle zufolge seien die häufigsten Straftaten auf der Wiesn Körperverletzungen, Drogenmissbrauch, Sexualdelikte und Taschendiebstähle. Auf der Wiesn setze die Polizei mehr als sonst darauf, solche Vergehen von vornherein zu verhindern. Dazu patrouilliert sie häufig über die Theresienwiese und versucht so, etwaige Täter abzuschrecken.

Doch das scheint nicht immer zu klappen: Die Beamten haben die "Oide Wiesn" gerade verlassen und sind am Riesenrad vorbeigelaufen, da kommt gegen 17.30 Uhr über Funk der nächste Auftrag. Die Polizisten in der Einsatzzentrale hätten mit einer der 54 Überwachungskameras auf dem Gelände gesehen, wie jemand an der Bavaria-Statue Koks genommen habe. Eine zivile Streife ist ebenfalls schon unterwegs. Im Verdacht stehen ein junger Mann mit einem grauen Pullover und einem Käppi sowie zwei weitere Männer.

Falscher Alarm

Die zivile Streife positioniert sich oben an der Statue, die uniformierte Gruppe von Keller kommt von unten. Dann geht es los: Die Polizisten stürmen auf die drei jungen Männer zu und halten möglichst schnell ihre Arme fest. So könnten die Verdächtigen etwaige Drogen oder andere Beweismittel nicht kurzfristig von sich werfen, sagt Kaestle.

Die drei Verdächtigen sind überrascht und lassen sich ohne Widerstand von den Polizisten an eine Wand links der Bavaria drücken und durchsuchen. Wie gründlich das geschieht, ist Kaestle zufolge eine Abwägung zwischen Dringlichkeit und Menschenwürde. In diesem Fall durchsuchen die Beamten die Jacken- und Hosentaschen, einer der Verdächtigen muss seinen Gürtel öffnen, um zu zeigen, dass er nichts im Hosenbund versteckt hat. Bis auf die Unterhose müssen sie sich aber nicht ausziehen.

Ergebnis der Suche: Es handelt sich nicht um echtes Koks, sondern um Wiesnkoks, ein weißes Gemisch aus Menthol und Traubenzucker, das sich die drei nun nicht mehr verdächtigen Männer in die Nase gezogen hatten. Sie stolpern den Hang der Bavaria hinab und stützen sich dabei gegenseitig. Was genau es mit Wiesnkoks auf sich hat, lesen Sie hier.

Polizistin: "Überrascht, wie betrunken und aggressiv einige sind"

Als sich die Lage beruhigt, ist Fotozeit: Eine Gruppe ausländischer Touristen bittet die Streifenpolizisten um ein Selfie. Die Beamten sind das gewohnt und machen bereitwillig mit. Überhaupt herrscht meist ein lockerer Umgang: Die Wiesngäste scherzen mit den Polizisten, schenken ihnen Blumen, und immer wieder fragt jemand nach dem Weg.

In Kellers Team ist auch die Polizeihauptmeisterin Antonia Ritzinger. Sie ist 31 Jahre alt, hat braunes schulterlanges Haar und ist das erste Mal auf der Wiesn im Dienst. So wie viele ihrer Kollegen freut sie sich über die Abwechslung vom normalen Polizeidienst. Streifenpolizisten müssen sich ihr zufolge auf der Wiesn nur wenig um die Bürokratie kümmern, das nehme ihnen die Zentrale ab.

Weniger schön findet sie das Verhalten einiger Gäste: "Es hat mich schon überrascht, wie betrunken und aggressiv einige Leute hier sind." Wer zu sehr über die Stränge schlägt, kommt laut Ritzinger in eine Zelle auf der Wiesnwache, bis er wieder nüchtern ist. Kaestle zufolge ist das auf der Wiesn 2023 knapp 200-mal vorgekommen.

Blaue Augen und verschrammte Beine

Gegen kurz nach 18 Uhr wird es wieder ernst, an einem Karussell soll es zu einer Schlägerei gekommen sein. Als die Polizisten ankommen, haben die Ordner dem etwa 45 Jahre alten Mann bereits die Hände auf den Rücken gefesselt. Ein Sicherheitsmann hat ein blaues Auge, der Gefesselte ebenso und dazu verschrammte Unterschenkel. Drumherum stehen zwei Frauen, die wohl zu dem Mann gehören, weitere Ordner und Gäste.

Kellers Team versucht, die Lage zu klären und zu entschärfen, der Gefesselte und die beiden Frauen sind immer noch aufgebracht. Die Polizisten nehmen ihm die Fesseln ab, der Mann und die Frauen reden auf Keller und seine Kollegen ein, es kommt wieder zu Geschrei.

Die Polizisten beruhigen die Lage, und erneut nehmen sie die Personalien der Beteiligten auf. Der Mann und die Frauen gehen, im Weggehen brüllt er noch und nennt die Ordner "hässliche blöde Vollidioten".

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Keller: "Manchmal komme ich mir vor wie im Kindergarten"

Dem Ordner zufolge habe der Mann ein Glas aufs Festgelände mitnehmen wollen – das ist auf der Wiesn verboten. Der Mann hingegen hat laut Keller gesagt, der Ordner habe ihn ohne Vorwarnung niedergeschlagen. "Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte", sagt Keller. Und: "Manchmal komme ich mir vor wie im Kindergarten."

Auch in diesem Fall wird es nur zu einer Anzeige und weiteren Ermittlungen kommen, falls die Staatsanwaltschaft oder die Beteiligten dies wollen. Bis dahin haben Keller und sein Team mit dem Fall nichts mehr zu tun.

Sexuelle Belästigung am Autoscooter?

Der letzte Einsatz des Rundgangs wird diesmal nicht von der Einsatzzentrale angestoßen, sondern gegen 18.30 Uhr von mehreren Wiesngängern. Sie fuchteln mit den Armen und deuten in Richtung eines Fahrgeschäfts mit Autoscootern. Die Polizisten wühlen sich durch die Menge und stehen direkt im nächsten Streit: auf der einen Seite eine Gruppe von etwa zehn jungen Männern und Frauen im Alter von ungefähr 20 Jahren, auf der anderen Seite drei ältere Herren Mitte 50.

Die jungen Leute werfen einem der älteren Männer vor, eine der jungen Frauen angefasst zu haben, als sie aus einem Autoscooter gestiegen ist. Der Beschuldigte, er überragt alle Anwesenden um Haupteslänge, bestreitet das und diskutiert mit ausladender Gestik. In diesem Fall sind die Polizisten aber da, bevor der Streit möglicherweise in Gewalt eskaliert, nehmen wieder Personalien auf und schlichten.

Am Ende des Rundgangs geht es zurück in die Einsatzzentrale. Keller zieht Bilanz: "Es war untypisch viel los für einen Nachmittag." Normalerweise gebe es erst deutlich später um 21 Uhr so viele Einsätze. Nun gönnen sich die Beamten eine kleine Kaffeepause, danach geht es aber wieder los. Sie sind noch bis ein Uhr nachts im Einsatz.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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