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Bier-Krawalle von München: Wie wütende Zecher die Stadt zerlegten


Tagelange Bier-Krawalle
Wie Tausende wütende Zecher München zerlegten


Aktualisiert am 24.05.2024Lesedauer: 4 Min.
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Krawall in München: Hier eine verfremdete Version des Bildes "Die Erstürmung des Roten Turmes in München durch die Oberländer Bauern am Weihnachtsmorgen 1705" von Franz von Defregger.Vergrößern des Bildes
Krawall in München: Hier eine verfremdete Version des Bildes "Die Erstürmung des Roten Turmes in München durch die Oberländer Bauern am Weihnachtsmorgen 1705" von Franz von Defregger. (Quelle: sammlung.pinakothek.de/de/artwork/o5xr06PG7X)

In Bayern gilt Bier als das fünfte Element – und kann sogar Könige in die Knie zwingen. So geschehen in München im Jahr 1844.

Der junge Friedrich Engels war fasziniert. Er hatte Karl Marx kennengelernt, war nach England gereist und schockierenden Zuständen in Fabriken begegnet. Als Korrespondent berichtete er für die britische Wochenzeitung "The Northern Star". In der Ausgabe vom 25. Mai 1844 thematisierte der 23-Jährige massive Aufstände, die gerade in München stattgefunden hatten.

Tagelang war es in Bayerns Hauptstadt wüst hergegangen. Tausende randalierten auf den Straßen, die Polizei hatte die Kontrolle verloren und das Militär sich in Teilen auf die Seite der Aufständischen geschlagen. Auslöser war eine Bierpreiserhöhung: Aufgrund schlechter Ernten war das Getreide teurer geworden – König Ludwig I. hob zuerst den Brotpreis an und dann auch den für Bier.

"Die Arbeiter zerstörten alles, was ihnen in die Hände fiel"

Beim Brot blieb es noch ruhig, beim Bier knallte es mächtig: "Die Arbeiter versammelten sich in großen Massen, marschierten durch die Straßen, überfielen die Gaststätten, schlugen die Fenster ein, zerschmetterten die Möbel und zerstörten alles, was ihnen in die Hände fiel, um sich für den erhöhten Preis ihres Lieblingsgetränks zu rächen", schrieb Engels.

Dass Bier in der Lage war, solch gewaltige Entrüstungsstürme auszulösen, erstaunte ihn offensichtlich. Das bayerische Bier sei das am meisten gefeierte in Deutschland, versuchte sich Engels an einer Analyse. "Natürlich" seien die Bayern süchtig danach, es in großen Mengen zu trinken.

"Flüssiges Brot": Darum war Bier in München so wichtig

Historikern zufolge ging es allerdings wohl um viel Grundlegenderes als um Genuss oder gar Alkoholsucht: Innerhalb von 30 Jahren hatte sich die Münchner Bevölkerung auf etwa 100.000 Einwohner verdoppelt. Viele drängten in der Hoffnung auf Arbeit in die Stadt, wurden dann aber schlecht bezahlt und im schlimmsten Fall schnell entlassen. Kinderreiche Familien hausten in selbst gezimmerten Baracken und verelendeten. Gesellen wohnten auf engstem Raum und schliefen in zeckenverseuchten Betten. Im Tal, in der Au und in Haidhausen herrschten erbärmliche hygienische Zustände.

Ein Tagelöhner bekam 30 bis 45 Kreuzer und musste davon Nahrung und Unterkunft bezahlen. Bier galt als Grundnahrungsmittel, als "flüssiges Brot". Es war weniger stark als das Bier heute und durch das Abkochen während des Brauprozesses anders als Wasser nicht mit Keimen belastet. Und dann kam König Ludwig I. und setzte den sogenannten Biersatz für das ab 1. Mai ausgeschenkte Sommerbier auf sechseinhalb Kreuzer pro Maß hoch.

"Wollt ihr Bier und Brod, so schlagt einen König todt"

Es war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Jahr zuvor hatten die Brauereien eine Biersatz-Erhöhung des Königs noch abgefangen und weniger von ihren Gästen verlangt, als von Ludwig eigentlich veranschlagt worden war. Trotzdem brodelte es in München. Der Unmut über den König, der einen Prachtbau nach dem anderen errichten ließ (darunter: die Glyptothek, das Siegestor, die Feldherrnhalle, die Staatsbibliothek, die Ruhmeshalle und die Alte Pinakothek), wuchs.

Kleine Protestzettel tauchten überall in der Stadt auf. "Was erwartet man von einem Regenten, der seine Soldaten unter Nahrungsmangel leiden lässt?", stand auf einem. Auf anderen, der König habe "keine Liebe zu den Armen" und nähre "seinen Bauwahn mit der Mühe seiner Untertanen". Manche Schreiber riefen unverblümt zur Gewalt auf: "Wollt ihr wohlfeil Bier und Brod, so schlagt einen Herrn König todt."

Innerhalb einer Viertelstunde war alles zertrümmert

Mitte April 1844 wurde Ludwigs Biersatz-Erhöhung auf sechseinhalb Kreuzer bekannt gegeben – und schnell gingen Gerüchte um, dass "am 1. Mai etwas passieren" würde. Im Maderbräu krachte es dann zuerst. Soldaten, denen zum 30. April außerdem noch eine für sie wichtige Zulage gestrichen worden war, starteten den Krawall. "Es verging keine Viertelstunde, da waren alle Fenster zerschlagen, Türen und Türstöcke aus den Mauern gerissen und eine allgemeine Zerstörung aller Möbel in den Gastzimmern angerichtet", heißt es in einer zeitgenössischen Quelle.

Weiter ging es in anderen Wirtshäusern. Menschenmassen zogen von einer Brauerei zur nächsten. "Die Polizei, die wie überall beim Volk verhasst war, wurde von den Randalierern schwer geschlagen und misshandelt", schrieb Engels. Das zur Hilfe gerufene Militär blieb weitgehend untätig: Schließlich hatten Soldaten den Krawall ausgelöst und fanden sich wohl auch zahlreich unter den Randalierern, als die Revolte immer weiter anschwoll.

Erteilte Ludwig einen Schießbefehl?

Der Trupp, der zum Bockkeller beordert wurde, als die Massen diesen plünderten, soll beispielsweise vom dort versammelten Volk Bier gereicht bekommen und mitgetrunken haben, bevor er unverrichteter Dinge wieder abzog. Das Militär habe nur eingegriffen, als der Palast des Königs in Gefahr gewesen sei, berichtete Engels. Am Residenzareal habe es aber lediglich eine Position eingenommen, "die ausreichte, um die Randalierer zurückzuhalten".

Wie weit genau die Befehlsverweigerung der Soldaten ging, ist Engels zufolge nicht ganz klar. In seinem Bericht zitiert er Meldungen französischer Zeitungen: Diese schrieben, der König habe am zweiten Tag der Krawalle dem Militär befohlen, auf die Aufständischen zu schießen, die Soldaten hätten sich allerdings geweigert. Doch Engels riet zur Vorsicht: Manchmal seien die französischen Zeitungen über ausländische Angelegenheiten schlecht informiert. Dass die deutschen Zeitungen die Episode nicht erwähnt hätten, sei indes zu erwarten gewesen, "da sie unter Zensur erscheinen".

König Ludwig I. knickt ein

Sicher sei allerdings, dass die Krawalle den König in eine missliche Lage brachten. "In München, einer Stadt voller Soldaten und Polizisten, dem Sitz eines königlichen Hofes, dauert ein Aufstand trotz aller militärischen Aufgebote vier Tage – und schließlich setzen die Randalierer ihr Ziel durch", schrieb Engels. Mehr als 30 Brauereien und Regierungsgebäude, aber auch Bäckereien und Metzgereien wurden schwer beschädigt, bevor Ludwig am Ende einlenkte.

Er senkte den Bierpreis, auch die Soldaten erhielten ihre Zulage wieder. Da das Volk nun wisse, wie leicht die Regierung in die Knie zu zwingen sei, "wird es bald lernen, dass es ebenso leicht sein wird, sie in ernsteren Angelegenheiten zu verängstigen", schloss Engels seinen Artikel.

Verwendete Quellen
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