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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kameras machen ihn sicherer Der "Kotzhügel": Ein Ort zum Fremdschämen
Die Bilder vom "Kotzhügel" haben sich eingebrannt. Polizei und Stadt unternehmen seit Jahren viel, um den Hügel aus den Schlagzeilen zu bringen. t-online hatte ihn beim letzten Oktoberfest 2023 besucht.
Sexualdelikte, Drogengeschäfte und vor allem zahlreiche Wiesn-Gäste, die sich wegen ihres Alkoholpegels kaum noch auf den Beinen halten können. Für all das ist der Hügel am Westrand der Wiesn berühmt-berüchtigt. Die meisten kennen ihn wohl eher unter dem Namen "Kotzhügel".
Zahlreiche Gerüchte ranken sich um ihn, Münchner erzählen sich heute noch: "Wer hier landet, ist verloren." Dabei unternehmen Polizei und Stadt seit Jahren viel, um den Schandfleck des Oktoberfests sicher zu machen. t-online hatte sich 2023 auf dem Hügel umgeschaut.
Wunderbare Aussicht aufs Oktoberfest
Es war kurz vor 17 Uhr – die Sonne schien, es war angenehm warm und auf dem Oktoberfest wurde es immer voller. Gleiches galt für den "Kotzhügel" – auch der war zu diesem Zeitpunkt schon gut gefüllt und ähnelte einer kleinen Picknickwiese. Das Publikum hätte nicht bunter sein können: Manche genossen hier – direkt hinter den Festzelten – die Sonne.
Einige nutzten die Ruhe dort, um sich von der lauten Musik in den Zelten zu erholen. Junge Frauen telefonierten – offenbar mit Daheimgebliebenen. Und zugegeben: Wer den Hügel erklomm, hatte eine wunderbare Aussicht auf das Festgelände.
Andere Besucher hatten ihren Kopf zur Wiese gerichtet
Aber dann waren da auch noch die "anderen" Besucher. Sie lagen zwar auch auf dem Hügel, aber schienen nicht wegen der Aussicht gekommen zu sein. Teils hatten sie ihren Kopf nicht Richtung Festplatz gerichtet, sondern direkt zur Wiese. Wenn man sie so betrachtete, kam einem schnell der Gedanke: Weit kommen die heute sicher nicht mehr.
Und tatsächlich: Es dauerte nicht lange, bis der Hügel seinem Namen alle Ehre machte. Ein Mann in Lederhosen verzog das Gesicht, drehte sich zur Seite und dann war es schon so weit: Er ließ sich die letzte Maß noch einmal durch den Kopf gehen.
Ist der "Kotzhügel" ein Brennpunkt?
Also alles beim Alten beim "Kotzhügel"? Die Polizei wiegelte auf Anfrage von t-online ab: Es gebe keine Brennpunkte auf der Wiesn. Dementsprechend war – zumindest wenn man der These folgt – also auch der Hügel am Westrand des Festgeländes keiner.
Tatsächlich entspannte sich die Situation auf dem Hügel im Laufe der vergangenen Jahre, das bestätigte auch die Pressestelle der Wiesn im Gespräch mit t-online. Seit 2016 wird die komplette Theresienwiese nämlich immer während des Oktoberfests – und damit auch der Hügel an der Westseite – umzäunt.
Der Zaun spielte deshalb eine so zentrale Rolle, weil zuvor immer wieder Diebe und teils auch andere Straftäter von außen auf das Festgelände eindrangen und die Betrunkenen auf dem Hügel überfielen. Die Polizei formuliert das in etwa so: Wegen des Zauns sei "ein Zutritt zur Begehung einer Straftat von oberhalb des Hügels nicht mehr so leicht möglich."
Kriminalität auf dem Hügel wird nicht gesondert erfasst
Es war allerdings gar nicht so einfach, ein objektives Bild der Situation zu erhalten. Denn die Delikte auf dem Hügel wurden laut Polizei in keiner gesonderten Statistik erfasst. "Auch in diesem Jahr gibt es dort Straftaten, zum Beispiel Betäubungsmitteldelikte", hieß es in der Antwort der Polizei auf eine t-online-Anfrage. In den Jahren zuvor sei es dort neben Diebstählen auch zu Sexualdelikten gekommen.
Gewiss war: Polizei, Sicherheitsdienst, die Stadt als Veranstalter und auch die Sanitätsdienste arbeiteten daran, die Sicherheit auf dem Hügel in den Griff zu bekommen. Neben dem Zaun war im vergangenen Jahr vor allem die Kameratechnik zu nennen – über diese wurde das Geschehen dort permanent beobachtet. Wenn etwas Auffälliges passierte, schritt die Polizei sofort ein. Zudem kontrollierten Polizei und Sicherheitsdienst den Bereich um den Hügel regelmäßig.
Der Hügel machte seinem Namen nach wie vor alle Ehre
Gefühlt war der "Kotzhügel" in den letzten Jahren also sicherer geworden. Trotz der einen oder anderen Alkoholleiche wirkte die Lage auf dem Hügel am Nachmittag während des t-online-Besuchs einigermaßen geordnet. Ein Zufall?
Zwei Stunden später, als es so langsam dunkel wurde, kehrte t-online zurück an den Hügel. Auf der Anhöhe hinter dem Hacker-Festzelt ging es immer noch lebhaft zu. Gefühlt waren die, die gekommen waren, um sich von dem Trubel in den Zelten zu erholen, jetzt in der Unterzahl. Dafür waren die, die zu tief ins Glas geschaut haben, mehr geworden.
Und die Letzteren hatten auch gerade Besuch bekommen – vom Rettungsdienst. Die Sanitäter hievten einen jungen Mann, der kaum älter als 20 gewesen sein dürfte, vom Hügel und wollten ihn zu ihrer Trage bringen. Der Mann geriet ins Straucheln, fing sich aber dann gerade noch so. Dann klammerte er sich an den Zaun am unteren Ende des Hügels, links und rechts von ihm ein Sanitäter.
Wurde er der nächste, der dafür sorgte, dass der Hügel seinen Namen behält? t-online erfuhr es nicht. Denn der Blick des t-online Reporters fiel auf eine junge Frau. Sie lag im Dirndl regungslos und völlig alleine auf dem Hügel. Ein Mann legte sich nur eine Armlänge von ihr entfernt hin.
Er ließ sie nicht aus den Augen, sie bekam offenbar gar nichts von alldem mit. Wenig später gab er den Kampf um ihre Aufmerksamkeit auf und torkelte den Hang zu seinen Kumpanen hinauf. Die Polizei sagte, der Hügel sei kein Brennpunkt, ein Ort zum Wohlfühlen war er aber auch nicht.
- Reporter vor Ort
- Anfrage an die Pressestelle des Polizeipräsidiums München per Mail