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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungewöhnliches Experiment Milliardär will Energie aus Tegernsee gewinnen
Ein Novum in Deutschland: Thermische Seewassernutzung. Die Kraftquelle Tegernsee soll künftig das Projekt eines Pharma-Milliardärs mit Energie versorgen.
Er gründete mit seinem Bruder den Pharmariesen Hexal, wurde zu einem der reichsten Menschen Bayerns und investierte in den Corona-Impfstoff von Biontech. Nun könnte Thomas Strüngmann wieder Schlagzeilen machen, dieses Mal am Tegernsee. Für sein seit Jahren geplantes Fünf-Sterne-Plus Hotel "Seegut am Tegernsee" beschreitet er völlig neue Wege der Energieversorgung in Deutschland.
Was in Nachbarländern bereits seit Jahren Praxis ist, soll nun auch für die 25 Gebäude umfassende Hotelanlage direkt am Seeufer in Bad Wiessee Realität werden. Bei einer Präsentation auf dem 38.000 Quadratmeter umfassenden Hotelareal wurden am Freitag Einzelheiten von beteiligten Ingenieurbüros erläutert. Das Konzept soll zum ökologischen Vorzeigeobjekt weit über die Grenzen des Tegernseer Tals werden. Das Prinzip ist einfach.
Wie man Energie aus dem Tegernsee gewinnen will
Seewasser wird mit einem 350 Meter langen Rohr in 30 Metern Tiefe entnommen, an einem Wärmetauscher vorbeigeleitet und zurück in den See geführt. So wird Wärme und Kälte erzeugt. Die Energie für die Wärmepumpe wird über Solarpanels erzeugt. Die Schweiz versorgt ganze Stadtteile und Regionen mit dieser nachhaltigen, CO2-freien und absolut emissionsfreien Technik. Auch in Österreich wird diese Technik eingesetzt, um Siedlungen und Gebäude großflächig zu bedienen. Fernwärmenetze, wie sie heute in vielen Kommunen bereits vorhanden sind, verteilen die Energie an Haushalte und Unternehmen.
Am Tegernsee sollen die Leitungen am Seegrund verlegt und vom Ufer aus nicht sichtbar sein. "Das Wasser des Tegernsees reicht für die Energieversorgung des gesamten Tegernseer Tals", sagt Wolfgang Spiegl, dessen Ingenieurbüro die Anlage plant. "Und dies ohne, dass der See in irgendeiner Form in Mitleidenschaft gezogen würde."
Der anwesende Bürgermeister der Gemeinde, Robert Kühn (SPD), zeigte sich sehr angetan, denn der Kurort diskutiert seit Jahren über ein Hackschnitzelkraftwerk, ohne bislang einen Standort dafür gefunden zu haben. "Von dieser zukunftsweisenden Lösung ist unser Gemeinderat begeistert", sagt Kühn. "Ich bin extrem glücklich, dass eine so innovative Lösung in Deutschland erstmals in unserer Gemeinde umgesetzt wird."
Bad Wiessee in Bayern braucht Investitionen
Glücklich ist er wohl auch, dass damit nach zehn Jahren ein stetiges Wechselbad der Gefühle endet. 2012 hatte der Multiunternehmer Strüngmann das riesige Areal am Seeufer für ein geplantes Hotel gekauft. Die Hoffnung keimte, dass damit der Kurort und das gesamte Tegernseer Tal in eine neue Liga gehoben wird. Über Jahre kam nichts zustande. Mehrfach wurden Modelle für einen Fünf-Sterne-Plus-Komplex präsentiert und genauso schnell wieder verworfen.
2014 war es noch ein 130-Zimmer-Hotel in Form einer Banane an Wiessees Flaniermeile am See, 2016 ein 210-Zimmerhaus in Hufeisenform. Ein Jahr später wurde daraus ein deutlich kleineres Zick-Zack-Gebäude mit bis zu 140 Zimmern. Nach reichlich Kritik aus der Bevölkerung kippte Strüngmann die Planung. Auch ihm erschien sie wohl zu massiv.
Selbst eine kleinteiligere Lösung eines mexikanischen Architekturbüros stieß nicht nur bei ihm auf Missfallen. Der Gemeinderat kritisierte den "Wandverhau", zudem die großflächigen Verglasungen, viel Holz und "hohe Mauern" an den 17 Suitenhäusern. "Die Mexikaner mögen massive Wände, wir nicht", so CSU-Ratsherr Kurt Sareiter 2020. Dies sei für Oberbayern eine ganz neue Welt, die nicht an den Tegernsee passe, so die einhellige Meinung.
Wie das neue Hotel am Tegernsee aussehen soll
Der neue Entwurf scheint nun Hand und Fuß zu haben. Hinter dem Logo "Seegut am Tegernsee" verbergen sich 25 Gebäude in lockerer Bebauung an der Seepromenade, der überwiegende Teil nicht höher als zwei Stockwerke. Das künftige Hoteldorf weist 85 Zimmer und Suiten auf, ein Gasthaus, eine Tagesbar, zwei großen Seeterrassen, eine Kunstscheune, einen großzügigen Spa-Bereich sowie einen Dorfladen. Mit diesen Dimensionen entsteht ein neuer Ortsteil des Kurortes.
Sobald alle Genehmigungen vorliegen, soll im Spätherbst mit dem Bau der Tiefgarage in dem schwierigen Lehm-Untergrund begonnen werden. Läuft alles nach Plan, könnte Ende 2028 die Fertigstellung erfolgen.
Wo es am Tegernsee hapert
Weniger rund läuft es derzeit für Strüngmanns Firma Athos mit einem geplanten Personalhaus unweit des Hotels. Der Bauausschuss hat Angst vor einem "Klotz" an der Münchner Straße, der Hauptdurchgangsroute durch den Ort. Wenn man auch das Projekt begrüße, Wohnraum für Mitarbeiter zu schaffen, so sei dies eine "ganz große Kiste, die hier in zentraler Lage entstehe", monierte Johannes von Miller (Grüne).
Ob man immer alles bis auf den letzten Millimeter ausreizen müsse, wurde am Ratstisch beklagt. "Ich habe Angst, dass wir uns verstädtern", gab Peter Kathan (CSU) zu bedenken. Aufklärung soll nun ein gefordertes Schaugerüst bringen. Dennoch setzt die Gemeinde große Hoffnungen in Thomas Strüngmann, der mit seinem Hotelprojekt den Ort mit seinen vielen Bauruinen aus dem Tal der Tränen befördern könnte.
- Eigene Recherchen
- Termin zur Präsentation des Konzepts in Bad Wiessee
- Pressemitteilung Heller & Partner per E-Mail