Oberarzt hat Corona-Maßnahmen satt Maskenpflicht auch nach Corona? "Wir müssten uns das fragen"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der Pflegekräftemangel plagt auch Münchner Kliniken. Ein Oberarzt prangert leere Krankenhausbetten an – und die Corona-Maßnahmen.
"Die Pandemie ist aus meiner Sicht vorbei." Das sagt Christoph Spinner, Oberarzt am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. t-online hat sich mit dem bekannten Mediziner getroffen, um mit ihm über seine Meinung zum Ende der Corona-Maskenpflicht in Bayern und München zu sprechen.
Schnell ist klar: Der Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie sieht die Bevölkerung auch zur Weihnachtszeit sehr gut geschützt und verlangt stattdessen einen neuen Fokus. Und zwar darauf, wie auch in der Isarmetropole immer mehr Kliniken unabhängig von Covid an ihr Limit stoßen.
Herr Spinner, es ist Vorweihnachtszeit. Auch in München kommen viele Menschen zusammen. Corona ist aber nicht weg.
Dr. Christoph Spinner: Covid-19 ist heute eine völlig andere Erkrankung als vor zwei Jahren. Als SARS-CoV-2 aufkam, war praktisch niemand dagegen geschützt. Wir hatten keinen wirksamen Schutz durch unser Immunsystem. Die Erkrankung war altersunabhängig in fast jedem 20. Fall tödlich, die Sterblichkeit in Deutschland lag bei 4,5 Prozent und war damit etwa 20 Mal höher als bei der Influenza.
Inzwischen ist die Immunkompetenz der Bevölkerung nach Infektion und Genesung sowie Impfungen deutlich gestiegen, sodass die Erkrankung nur noch bei wenigen Personen schwer verläuft. Die Sterblichkeit in der Bevölkerung ist auf deutlich unter 0,5 Prozent gefallen. Damit ist Corona mittlerweile deutlich weniger gefährlich als die Influenza.
Was empfehlen Sie?
Meine Empfehlung ist ganz klar: Wir haben nur endliche Ressourcen im Gesundheitswesen, die wir möglichst sinnvoll einsetzen sollten. Das heißt, dass wir den Schutz auf gefährdete Personengruppen fokussieren und weniger wirksame Maßnahmen beenden sollten. Es gibt bis heute für die Testungen asymptomatischer Personen keine Evidenz, dass sich dadurch die Infektionslast reduzieren ließe. Die Pandemie ist aus meiner Sicht vorbei, wir haben den endemischen Zustand erreicht.
Jetzt kommt es darauf an, die richtigen Rahmenbedingungen für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen zu schaffen. Dazu gehören die richtigen Einkommensanreize für das Pflegepersonal. Applaus vom Balkon allein wird nicht reichen. Wir leisten uns in Deutschland ein sehr kostenintensives Gesundheitswesen, zweifellos eines der teuersten der Welt. Aber bei Weitem nicht eines der effektivsten. Das müssen wir jetzt ändern.
Weil auch das Universitätsklinikum rechts der Isar und andere Münchner Krankenhäuser unter dem Pflegekräftemangel leiden?
Praktisch in der gesamten Republik können wegen des Pflegekräftemangels nicht mehr alle aufgestellten Krankenhausbetten betrieben werden. Das betrifft alle Kliniken im Bundesgebiet. Auch wir sind davon betroffen. Natürlich war Covid-19 ein Brandbeschleuniger. Auch viele Medizinerinnen und Mediziner haben wegen der hohen Belastung und wegen der Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen für sich beschlossen, auszusteigen.
In Bayern fällt die Maskenpflicht im ÖPNV, zum Beispiel im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund. Atemwegserkrankungen dürften aber gerade jetzt zunehmen und das Gesundheitssystem weiter belasten.
Ein Eingriff in die Grundrechte braucht eine sachliche Begründung: Während Covid-19 zu Beginn der Pandemie eine tödliche Erkrankung war, reiht es sich mittlerweile aufgrund gestiegener Immunkompetenz in andere Atemwegserkrankungen ein. Aktuelle Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen beispielsweise, dass der Anteil an Atemwegserkrankungen sehr hoch ist: Fast jeder zehnte Bundesbürger ist erkrankt, aber SARS-CoV-2 ist nicht mehr der häufigste Erreger.
Eines muss man sich klarmachen: Auch mit verhältnismäßigen Maßnahmen wird es nicht gelingen, Atemwegsinfektionen vollständig zu verhindern. Dagegen zeigt eine aktuelle Studie im Auftrag der Bundesregierung, dass 95 Prozent der Bevölkerung Antikörper aufweist und damit einen Schutz gegen einen schweren Covid-19-Verlauf hat. Wir müssen lernen, mit Corona zu leben.
Sie sehen die verbliebenen Corona-Maßnahmen in Bayern kritisch?
Während die meisten Länder Europas und auch in den USA fast alle Pandemie-bedingten Maßnahmen aufgegeben haben, leisten wir uns in Deutschland noch immer sehr ressourcenintensive Testprogramme, regional sehr unterschiedliche Maskenpflichten und mehr. Aus meiner Sicht ist es Zeit, Covid-19 wie andere Atemwegserkrankungen zu managen.
Das heißt: zurück zum neuen Normal („New Normal“). Anstelle von Maßnahmen wie kaum überblickbaren Maskenregeln, schlage ich vor, den Schutz auf besonders Gefährdete zu fokussieren, zum Beispiel durch intensivere Impfprogramme für Ältere und chronisch Kranke.
Anders gefragt: Sie sind als Infektiologe einverstanden, dass die Maskenpflicht im ÖPNV Bayerns und Münchens aufhoben wurde?
Die Masken, sei es die medizinischen wie die FFP2/KN95-Masken, reduzieren nachweislich das Risiko einer Atemwegsinfektion – sofern sie konsequent und dauerhaft getragen werden. Die Maskenpflicht allein mit Covid-19 zu rechtfertigen, finde ich aus medizinischer Sicht aber zunehmend schwieriger.
Aus gesellschaftlicher Perspektive müssten wir uns fragen, ob wir eine Maskenpflicht auch wegen anderer Atemwegsinfektionen zwingend einführen wollen. Dann muss der Gesetzgeber den Rahmen hierfür schaffen. Andererseits bedeutet die Aufhebung der Maskenpflicht nicht, dass es nicht mehr möglich ist, freiwillig eine Maske zu tragen. Insofern kann ich die Entscheidung Bayerns sehr gut nachvollziehen.
Was heißt das für eine Stadt wie München? Die Leute strömen auf die Christkindlmärkte, treffen sich für Weihnachtsfeiern.
Mehr als zwei Jahre Pandemie waren eine große Kraftanstrengung für uns alle. Studien zur psychischen Krankheit weisen darauf hin, dass es zu einer deutlichen Zunahme psychiatrischer Erkrankungen gekommen ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. In den USA, der Schweiz und in Südeuropa sind längst alle pandemiebedingten Maßnahmen zurückgefahren. Wir als Deutschland sind eines der letzten Länder, das überhaupt noch auf Maßnahmen setzt. Man muss fragen: Bringt das wirklich was? Sind diese Maßnahmen noch verhältnismäßig?
- Gespräch mit Christoph Spinner