Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kind da – und ein Dilemma gleich mit Kampf um Kita-Plätze in München: Wie die Stadt für Eltern zu teuer wird
Wer in München Kinder will, braucht oft einen Kita-Platz – denn zu Hause zu bleiben, können sich viele nicht leisten. Doch überall fehlen Erzieher.
Die Zeit rennt. Sandra Henoch aus München hofft auf einen Anruf von der Kita Luna im Stadtteil Au. Sie möchte ihr Kind so schnell wie möglich dort unterbringen. "Der Druck ist groß", erzählt die 39-Jährige im Gespräch mit t-online. Ihre Tochter Hannah wurde im Januar dieses Jahres geboren. "Es war mir recht schnell klar, dass es fast unmöglich ist, einen Platz bis Ende des Jahres zu bekommen", sagt Henoch.
Sollte es so kommen, müssen Optionen gefunden werden. Länger zu Hause bleiben sei "in einer teuren Stadt wie München finanziell schwierig". Wegziehen sei für die Familie "nie eine Option" gewesen, "obwohl viele Bekannte irgendwann aufgegeben und München verlassen haben", berichtet Henoch. Bliebe noch, einen Arbeitgeber zu suchen, der entweder eine Betriebskita hat oder eine Absprache mit einer der teuren, privaten Krippen. "Aber nur wegen der Kinderbetreuung die Firma zu wechseln, halte ich nicht für zielführend", sagt Henoch.
Kita in München hat über 300 Kinder auf der Warteliste
So wie Familie Henoch geht es vielen Eltern in München. Jedes Jahr hoffen sie darauf, einen Platz in einer Kindertagesstätte zu bekommen. In München erfolgen die Anmeldungen zentral über den "kita finder+". Doch die Listen dort sind lang, die Bemühungen der Eltern groß. Viele von ihnen müssen wenige Monate nach der Geburt wieder arbeiten und sind auf den Kita-Platz angewiesen.
In der Kita, auf die Henoch hofft, spürt man genau, woher dieser Engpass an Plätzen kommt. Denn hinter jedem Platz steckt Personal, das dafür gebraucht wird – und fehlt. Kita-Geschäftsführerin Sarah Manes nennt Zahlen für die bedrückende Situation vieler Münchner Familien: "In großen Einrichtungen der Kita Luna wie Giesing haben rund 500 Familien keinen Platz bekommen. Es wurden dort aber auch nur 20 Plätze vergeben. Das ist tatsächlich sehr wenig", weiß sie.
Auf der Warteliste der Kita Luna in Au, auf die auch Henoch hofft, stehen aktuell nach Angaben der Leitung 341 Personen. Ähnlich wenige Plätze mit ähnlich langen Warteschlangen gebe es auch in anderen Einrichtungen. Natürlich meldeten sich viele Familien aus Sorge, keinen Platz zu bekommen, überall an. In der Kita Luna gibt es deshalb nicht einmal einen Tag der offenen Tür, "weil wir den Eltern nur Hoffnung machen würden".
Kita-Chefin aus München mit Vorwürfen an die Politik
Dabei wurden in den vergangenen Jahren in München viele Kitas eröffnet, es fehlen aber Pädagogen. "Auch bei uns stehen 30 Prozent der Kitas leer, weil das Personal fehlt", meint Manes. "Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kinder- und Krippen-Platz und die Politik hat nicht bedacht, dass die Eltern diesen auch in Anspruch nehmen. Sie hat sich schon vor Jahren verschätzt."
In Nordrhein-Westfalen und in Dresden etwa gebe es noch ausreichend Pädagogen, in Berlin ist es "genauso katastrophal" wie in München. Der Deutsche Kita-Verband spricht von 100.000 fehlenden Erziehern in Deutschland. Der Beruf sei nicht der attraktivste, gesteht Kita-Chefin Manes: "Es ist ein Sieben bis Acht-Stunden-Tag in Vollzeit, an dem am Kind mit einer hohen Verantwortung gearbeitet wird".
Und sie fügt hinzu: "Den PC kann ich abschalten, die Kinder kann ich aber nicht eine Stunde unbetreut lassen. Die Bezahlung ist fair, aber man arbeitet immer an einem Ort." Dabei arbeitet die Kita Luna mit einem eigenen Konzept, das manche Eltern besonders anzieht. Doch der Mangel an Plätzen lasse sich auch nicht durch die Konzepte von Kitas beheben, wie Manes darstellt.
Wie eine bayerische Kita die Gruppen in der Einrichtung auflöst
"Bei uns lebt die Idee, was Kinder brauchen, um später lebenstüchtig zu sein. Es sollen glückliche Menschen werden." Daher habe man die Einrichtungen auch umbenannt, hießen sie früher "Zwergerlhaus", betone man heute mehr den "Bildungsauftrag" und dass man den Kindern "etwas mitgeben" wolle.
Das Konzept der Kita Luna beschreibt Manes als "offen", sodass die Kinder nicht mehr in kleinen Gruppen mit demselben Erzieher und denselben zwölf Kindern stets den Tag verbringen. Das offene Konzept könne für Pädagogen im Alltag entlastender sein, da alle Aufgaben auf mehrere Personen aufgeteilt werden. Bei kurzzeitigen Engpässen könnten sich alle Pädagogen untereinander helfen und seien dadurch nicht auf sich allein gestellt, anders als in einem Gruppenkonzept, sagt Manes.
Um mehr Kita-Plätze zu schaffen, tauge der Ansatz jedoch dennoch nicht, ergänzt sie. In den Kitas gehe es schließlich darum, "die Kinder sicher und qualitativ hochwertig zu betreuen und dafür benötigt jeder Träger Personal, egal mit welchem Konzept dieser arbeitet", sagt Manes.
Kita-Platz ist in München ein "Glücksfall"
Glück haben die Eltern, die einen Platz bekommen haben. Eine Mutter spricht etwa davon, dass sie erleichtert sei, nachdem sie sich schon mit einer Absage abgefunden hatte. "Es wäre sehr belastend gewesen – persönlich und natürlich finanziell", sagt sie. Dass es dann noch in der Kita Luna geklappt hat, sei ein besonderer Glücksfall, das offene Konzept "genau das richtige" für ihren Sohn.
Darauf hofft auch Sandra Henoch. Aber welche Optionen gibt es noch, wenn sie keinen Platz bekommt? Für viele Eltern ist es wichtig, das Kind nicht einfach in irgendeine Betreuungseinrichtung geben zu wollen. "Ich möchte ein gutes Gefühl dabei haben, meine Tochter jeden Morgen in fremde Hände zu geben", sagt Henoch.
Sie kann den Garten der Kita-Luna in Untergiesing von ihrem Balkon aus sehen. "Auch deshalb war das immer unsere erste Wahl. Der Umgang mit den Kindern gefällt uns. Und einige Freundinnen und Freunde meiner Tochter werden in der Kita Luna betreut. Ein Platz dort wäre für uns ein Lottogewinn."
Kita-Platz in München – oder wegziehen
Doch sie beschäftigt sich auch damit, dass kein Anruf mehr kommt. "Wenn wir keinen Platz bekommen sollten, wovon ich ausgehe, müssten wir uns ganz neu organisieren. Für mich war es nie eine Option, in Vollzeit zu Hause das Kind zu betreuen."
Doch schon jetzt werde ihr so "ein großes Stück Freiheit" weggenommen. Die Eltern seien von Faktoren abhängig, die sie nicht beeinflussen können: "Mein Arbeitgeber möchte natürlich auch wissen, wann und mit wie vielen Stunden ich zurückkommen kann, und muss Planungssicherheit haben." Dabei wohnen die Großeltern nur rund eine Stunde entfernt, die bei der Betreuung helfen können: "Immerhin können wir so einige Monate überbrücken, um dann erneut ins Rennen um einen Krippenplatz zu gehen", sagt Henoch.
Und weiter: "Vielleicht wird es ja in der nächsten Runde etwas. Sollten wir auf lange Sicht kein Land sehen, müssen wir uns doch überlegen, ob München unser Lebensmittelpunkt bleibt. Und das, obwohl ich, als auch unsere Tochter hier geboren sind."
- Eigene Recherchen
- Gespräche mit Sarah Manes und Sandra Hennoch
- Deutscher Kita-Verband: "Positionspapiere: Fachkräftemangel wirksam bekämpfen und neue Wege in der Ausbildung gehen"