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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Behörden-Chaos in München "Auf so einen Ansturm waren wir nicht vorbereitet"
Werinherstraße, München: Vor dem Amt für Wohnen und Migration herrscht Chaos. Geflüchtete aus der Ukraine frieren über Stunden in einer langen Schlange, um Unterstützung zu bekommen. Einige warten seit zwei Uhr nachts.
Es ist kalt in München an diesem Morgen. Einige Kinder und Frauen, die vor dem Münchner Amt für Wohnen und Migration anstehen, haben sich in Decken gewickelt. Manche warten seit zwei Uhr nachts – in der Hoffnung, endlich das Nötigste zu bekommen: Bargeld, Kleidung, wichtige Dokumente oder eine ärztliche Versorgung.
Um sie herum bieten Freiwillige Essen und warme Getränke an. Immer wieder bringen Münchner Spenden vorbei: Kleidung, Spielsachen und Hygieneartikel. Um der Kälte zu entkommen, wärmen sich manche Geflüchtete in den Eingangshallen der umliegenden Büros auf. Es ist ein Ausnahmezustand, auf den die Stadt München nicht vorbereitet ist.
Plötzlich 900 Anträge an einem Tag
Normalerweise bearbeitet das Amt für Wohnen und Migration rund 50 Anträge in der Woche, im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes. Allein am Montag gab es nun Anträge von 900 Personen. Die Mitarbeiter kommen an ihre Grenzen. "Für solche Kapazitäten sind unsere Behörden einfach nicht ausgelegt", sagt Frank Boos vom Sozialreferat München.
Und trotzdem stellt sich die Frage, warum die Stadt München so lange braucht, um die Situation in der Werinherstraße zu verbessern. "Das geht nicht von heute auf morgen", sagt Frank Boos. Es sei das eine, als Privatperson mit einer Tüte zum Bahnhof zu gehen und Essen zu verteilen. Eine Behörde müsse sich aber an gewisse Abläufe halten.
Freiwillige helfen mit Essen, bieten aber auch eine emotionale Stütze
Bisher sind es nur Freiwillige, die die Geflüchteten in der Werinherstraße versorgen. Neben Essen und Trinken spenden sie Trost. Ingrid Schottenhamml, die ihren Foodtruck "Pasta Lasta" kurzerhand in eine Essenausgabe umfunktioniert hat, kommt hinter der Theke hervor, als eine Ukrainerin vor ihr in Tränen ausbricht.
Sie nimmt die Frau in den Arm und redet ihr gut zu. Die Ukrainerin weiß wie viele der hier Wartenden nicht, wo sie unterkommen soll. Sie zeigt Schottenhamml Bilder von ihrem zerstörten Haus. "Die ersten Tage habe ich nur geheult", sagt Schottenhamml, die schon seit Tagen Essen und Sachspenden verteilt. Trotzdem hat sie Nachsehen mit der Stadt: "Die tun, was sie können, das weiß ich."
In einer Stellungnahme der Stadt erklärt sich Sozialreferentin Dorothee Schiwy: "Uns ist bewusst, dass die Situation vor Ort schwierig ist, bitten jedoch auch um Verständnis, dass dieser explosionsartige Anstieg von Anträgen nicht aus dem Stand zu bewältigen ist. Wir bemühen uns gerade intensiv, die Situation vor Ort zu verbessern." Das Personal wird täglich aufgestockt und für die aktuelle Lage geschult.
Mit dem Bus von der Notunterkunft zum Amt für Migration und Wohnen
In den Notunterkünften werden die Geflüchteten laut Angaben der Stadt über Unterstützungsleistungen informiert. Menschen, die Unterstützung beantragen möchten, werden dann nach Absprache mit Bussen in die Werinherstraße gebracht. So weit, so gut. Vor Ort müssen sich die Geflüchteten jedoch in die lange Schlange einreihen. Schon nach einer halben Stunde werden Füße und Hände kalt. Als Toilette dienen einige Dixi-Klos um die Ecke.
Die Kantine der anliegenden Firma Nokia verteilt warmes Essen. Bis vor Kurzem durften sich die Geflüchteten auch in der Eingangshalle der Firma aufhalten. "Irgendwann waren es aber so viele, dass wir hier nicht mehr richtig arbeiten konnten", sagt die Rezeptionistin. Jetzt dürfen sich vorerst nur noch Mütter mit ihren Kindern aufwärmen.
Trotz Behörden-Chaos sind die Ukrainer dankbar
Natalia und ihre Tochter hatten Glück. Sie waren schon drin, im Amt für Wohnen und Migration. Gerade stehen sie noch bei den Sachspenden, die Schottenhamml organisiert hat und suchen nach einer warmen Jacke. Natalia hat Bargeld und einige Dokumente erhalten. Wie es jetzt genau weitergeht, wo sie wohnen wird, das weiß sie trotzdem nicht. "Die Behördenmitarbeiterin war sehr nett und aufmerksam. Sie hat mir eine Liste mit Links gegeben. Alles Organisationen und Einrichtungen, die Hilfe anbieten", sagt sie auf Englisch.
Sie ist dankbar. Ihr ist es wichtig, das zu betonen. Trotzdem ist es schwierig sich in dem Behörden-Chaos zurechtzufinden, vor allem, wenn man die Sprache nicht spricht. So wie ihr geht es allen in der langen Schlange. Keiner weiß genau, wie es weitergehen soll. Die vielen Informationen überfordern sie. Sie spüren, dass sich die Stadt bemüht. Sie spüren aber auch das Chaos und wie wenig die Stadt auf sie vorbereitet ist.
- Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort am 16.03.2022
- Stadt München: Neue Anlaufstellen für ukrainische Geflüchtete