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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Prozessbeginn in München Applaus und Parolen für mutmaßliche Linksextremistin

Im Umfeld eines Rechtsextremisten-Treffens in Budapest werden mehrere Menschen zusammengeschlagen. Hanna S. soll eine der Täterinnen sein. Jetzt ist sie in München wegen versuchten Mordes angeklagt.
Soeben hat die junge Frau auf der Anklagebank noch suchend im restlos vollen Gerichtssaal umhergeblickt und ein bekanntes Gesicht angelächelt – doch nun lauscht sie regungslos den Worten der Oberstaatsanwältin. Diese schildert detailliert und bis hin zur Zentimeterlänge der Platzwunden, wie eine Gruppe mutmaßlicher Linksextremisten vor zwei Jahren in Budapest drei aus ihrer Sicht rechtsextreme Menschen angegriffen hat. Diese wurden dabei zu Boden geschlagen und die Gruppe prügelte mit Schlagstöcken und einem Hammer auf sie ein.
Laut Oberstaatsanwältin damals mit dabei: Hanna S. (30) aus Nürnberg. Sie muss sich nun wegen der Taten in Ungarn vor dem Oberlandesgericht München verantworten – im Hochsicherheitssaal des Gefängnisses Stadelheim. Der Vorwurf des Generalbundesanwalts lautet: versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Geschehnisse in Budapest am "Tag der Ehre" – ein jährliches Treffen von Neonazis aus ganz Europa – haben hierzulande hohe Wellen geschlagen.
Prozess beginnt mit 50 Minuten Verspätung
Auch an diesem Mittwochmorgen in München haben sich circa 150 Menschen zu einer Kundgebung vor dem Gefängnis versammelt. Unter großem Polizeiaufgebot rollen sie ein Antifa-Banner aus, halten kämpferische Reden und skandieren: "Freiheit für alle politischen Gefangenen."
Auch sonst findet der Prozess viel Beachtung. Es gibt eine lange Besucherschlange vor der Treppe, die in den unterirdischen Gerichtssaal hinabführt. Dort beginnt die Verhandlung wegen des großen Andrangs mit 50-minütiger Verspätung. Als Hanna S. den Raum betritt, stehen viele Besucherinnen und Besucher auf, applaudieren und rufen im Chor: "Super-Hanna!" Der so Gefeierten ringt das ein Lächeln ab – und doch macht die blasse junge Frau an diesem Morgen keinen guten Eindruck.
Prozess um Budapest-Komplex
Der Prozess vor dem Oberlandesgericht München ist das erste Strafverfahren in Deutschland im sogenannten Budapest-Komplex. Der Anklage zufolge war die 30-jährige Hanna S. Teil einer linksextremistischen Vereinigung, deren Mitglieder einen militanten Antifaschismus sowie die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols teilten und mit Gewalt gegen politisch Rechte vorgingen.
Ihr Verteidiger Yunus Ziyal wird später vom angeschlagenen Gesundheitszustand seiner Mandantin berichten und dafür nicht zuletzt die achtmonatige Untersuchungshaft in der JVA Nürnberg verantwortlich machen. Zuvor aber verlesen die Vertreterinnen des Generalbundesanwalts die Anklage. Demnach hat sich Hanna S. mit circa einem Dutzend Personen zusammengetan, um "Gewaltstraftaten gegen Angehörige des politisch rechten Spektrums zu begehen".
Neun Personen "nicht unerheblich" verletzt
Auf Grundlage ihrer "gemeinsamen linksextremistisch-antifaschistischen Einstellung" hätten sie auch am "Tag der Ehre" in Budapest mehrere Menschen angegriffen. Neun Personen seien dabei "nicht unerheblich" verletzt worden, zwei von ihnen sogar lebensgefährlich. Bei den beiden Taten, die Hanna S. zur Last gelegt werden, ging die Gruppe auf einen Ungarn und auf eine Frau und einen Mann aus Deutschland los, die sie unter anderem anhand ihrer Kleidung als Neonazis einstuften.
Alle drei hatten durch Schläge und Tritte etliche Platzwunden am Kopf erlitten; der Ungar hätte durch den Angriff "sogar tödliche Verletzungen erleiden können", so die Oberstaatsanwältin. Nach ihr ergreifen die zwei Verteidiger das Wort und verlesen ein längeres Statement. Darin beklagen sie, dass die Ermittlungsbehörden ihre Mandantin "zu einer besonders gefährlichen Straftäterin hochstilisieren wollen" – unter anderem durch die Verlegung des Prozesses in den Hochsicherheitssaal.
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Verteidiger: Mordanklage "hanebüchener Unsinn"
Der Vorwurf der Körperverletzung werde normalerweise vor Amtsgerichten verhandelt, sagt Anwalt Peer Stolle. Dass dieser Prozess auf Anklage des Generalbundesanwalts und vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts stattfinde, sei unverständlich und komme einer "Vorverurteilung" gleich.
Sein Kollege Yunus Ziyal weist unterdessen den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zurück; hierfür gebe es keine Beweise. Und auch die Anklage wegen versuchten Mordes sei "hanebüchener Unsinn" und Teil einer "Dämonisierung und Stigmatisierung" seiner Mandantin. Diese wird sich ihren Verteidigern zufolge im Prozess nicht zu den Taten in Budapest äußern – womöglich aber an einem der folgenden Tage zu ihrem Lebenslauf.
Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt; darüber hinaus sind noch 30 weitere Termine angesetzt. Ein Urteil könnte demnach Mitte September fallen.
- Reporter vor Ort