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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Ein toller Anlass zu feiern" Wie eine 22-jährige Bestatterin mit dem Tod umgeht
Mia Fleischer ist 22 Jahre alt und damit wohl Münchens jüngste Bestatterin. Im Gespräch mit t-online spricht sie offen über einen Alltag zwischen Leben und Tod.
Es ist ein kalter, aber sonniger Dezembertag im Münchner Lehel. Schlicht und unauffällig findet sich dort in einem beliebten Wohngebiet das Bestattungsgeschäft "Vita Nova". Lediglich ein kleiner Schriftzug weist von außen darauf hin, dass Menschen an diesem Ort für immer Abschied nehmen.
Tritt man in den Hauptraum des Bestattungsgeschäfts, begegnen einem keine dunklen Särge. Kein Schwarz. Stattdessen: Möbel und Wände in warmen Beige- und Weißtönen, sanfte Jazzmusik, ein romantischer Adventskranz mit sandsteinfarbenen Kerzen. Und dann ist da vor allem sie: Mia Fleischer. Die Inhaberin des Bestattungsunternehmens hat hellblaue Augen, kupferfarbene Haare und ein sanftes Lächeln. "Herzlich willkommen", sagt sie und lädt mit warmer Stimme und einer grazilen Handbewegung dazu ein, sich zu ihr zu setzten.
Es soll ein rund zweistündiges Gespräch mit ihr werden: über Leben und Tod, Trauer und Hoffnung, Jugend und Alter.
t-online: Frau Fleischer, haben Sie Angst vor dem Tod?
Mia Fleischer: Nein. Wenn überhaupt habe ich Respekt davor, auf welche Art ich sterben werde. Aber wenn der Mensch dann tot ist, sieht jedes Gesicht sehr friedlich aus.
Wann haben Sie das erste Mal einen Verstorbenen gesehen?
Das war, als ich 14 Jahre alt war. Damals hatte ich gerade den ersten Tag meines Schülerpraktikums. Meine Mama hatte mir damals nicht ganz ernst gemeint den Vorschlag gemacht, das Praktikum bei einem Bestatter zu machen. Gesagt, getan. Wir sind dann direkt an diesem ersten Tag zu einem Opi gefahren, der gerade friedlich eingeschlafen war. Der Bestatter meinte zu mir: "Mädchen, packste mal mit an? Du die Füße und ich nehm den Kopf" und dann haben wir den Mann vor den Augen der Angehörigen in einen Sarg gelegt und die Treppe runtergetragen. Das war meine erste Erfahrung mit einem Toten.
Was hat das damals mit Ihnen gemacht?
Aus heutiger Sicht war es schon sehr fahrlässig, mich als so junges Mädchen direkt mit zu einem Verstorbenen zu nehmen. Damals habe ich das aber so nicht wahrgenommen. Der tote Opi war kein schlimmer Anblick für mich. Er war alt, nur noch Haut und Knochen und lag ganz friedlich in seinem Bettchen. Da war keine Tragik dabei, kein schlimmer Schicksalsschlag. An diesem Tag war ich später noch im Krematorium und beim Gespräch mit der Familie. Abends saß ich dann zu Hause und war nicht verstört oder bestürzt. Ich war erfüllt, weil ich das Gefühl hatte, bei etwas wahnsinnig Sinnstiftendem dabei gewesen zu sein.
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Begeisterung für diesen Beruf reagiert?
Meine Mama hat mich sofort unterstützt – das hat sie schon immer getan, bei allem. Mein Papa hat zu dieser Zeit eine Krebs-Diagnose erhalten, seine Lebenserwartung lag nur noch bei zwei Jahren. Er war zunächst nicht begeistert davon, dass seine 14-jährige Tochter Bestatterin werden will, während er sich darauf vorbereitet, zu sterben. Da haben wir aber auch einen Weg gefunden, damit umzugehen, und er hat mich bis zu seinem Tod supportet. Meine Freunde fanden es super cool und spannend, dass ich diesen Weg eingeschlagen habe.
Es folgten weitere Praktika, bis Sie mit 16 von der Schule abgegangen sind, um sich schließlich nach wenigen Jahren Berufserfahrung selbstständig zu machen. Wie sieht der Alltag in Ihrem Job heute aus?
Durch meine Selbstständigkeit bin ich quasi ein Ein-Mann-Betrieb. Ich habe lediglich meine beiden Jungs, die die Verstorbenen abholen. Es sei denn, es geht um Babys und Frühchen – die überführe ich selbst. Auch für alles andere bin ich verantwortlich. Sprich: ich bin für Vorsorge- und Akutgespräche da, für die gesamte Planung der Bestattungen und Trauerfeiern. Im Todesfall wasche ich die Verstorbenen und bereite sie für ihre Beisetzung vor. Ich bin aber auch immer als Gesprächspartnerin erreichbar, als Bestatterin – aber vor allem als Mensch.
Was unterscheidet Sie als junge Frau von anderen Bestattern?
Ich habe das Gefühl, dass ich den Leuten – sowohl den Sterbenden, als auch den Trauernden – auf einer anderen Ebene begegne. Eben weil ich noch so jung bin, bin ich nicht abgestumpft oder unempathisch. Im Gegenteil: genauso, wie ich mit den Betroffenen lache, weine ich auch mit ihnen. Für jeden Menschen, der geht, basteln die Angehörigen einen Schmetterling und hängen ihn hier bei mir auf. Mir ist es wichtig, dass sie sich die Angehörigen immer an mich wenden können – auch noch Tage und Wochen nach der Beerdigung.
Ihr Beruf kann doch unmöglich "Spaß" machen. Was gibt es Ihnen, als Bestatterin zu arbeiten?
Ich sage immer, dass das Bestatten nicht mein Beruf ist. Es ist meine Berufung. Mich erfüllt es, die Menschen aus dem Leben hinauszubegleiten. Es ihnen so schön wie möglich zu machen. Ich verstehe mich ein bisschen wie eine Hebamme, nur rückwärts. Hebammen helfen den Menschen auf die Welt zu kommen, weil sie es alleine nun mal nicht können. Genauso helfe ich ihnen dabei, diese Erde friedlich verlassen zu können. Beide Prozesse sind für alle Beteiligten ein Kraftakt. Manchmal schmerzhaft. Manchmal langwierig. Aber beide Prozesse können eben genauso auch etwas Schönes sein.
Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich persönlich glaube an Reinkarnation. Sobald die individuelle Zeit eines Jeden hier abgelaufen ist, sterben wir und beginnen unser neues Leben auf eine andere Art und Weise. Wenn ich einen Verstorbenen vor mir habe, der seit ein, zwei Tagen tot ist, siehst du, dass da einfach keiner mehr zu Hause ist. Das sagen auch die Angehörigen zu mir: Du siehst nichts mehr von dem Menschen, nichts mehr, was ihn ausgemacht hat. Nur noch eine leere Hülle. Die Seele ist weg – und meiner Meinung nach dann eben woanders.
Wie schaffen Sie es, die Schicksale der Menschen nicht von der Arbeit mit nach Hause zu nehmen?
Ich führe mir immer wieder vor Augen, dass es nicht meine Trauer oder mein Schicksal ist. Ich fühle mit den Menschen mit, muss mich dann aber auch eine Grenze ziehen. Das kann ich am besten in der Natur, gemeinsam mit meinem Hund oder meinem Pferd. Außerdem habe ich eine Art Schutzmechanismus entwickelt. Ich habe von keinem der Verstorbenen ein Bild im Kopf, egal wie schlimm die Umstände waren. Es ist wie eine Art Nebel oder Schleier, der sich über die Gesichter legt. Auch wenn ich versuchen würde, sie mir aktiv in Erinnerung zu rufen, sind sie verschwommen. Ich träume auch nicht von den Toten.
Hat Sie der Beruf verändert?
Nein, ich denke nicht. Aber durch meine Arbeit schätze ich die kleinen Dinge im Leben noch viel mehr: wenn die Sonne scheint, wenn ich etwas Leckeres esse. Trotzdem ist mir meine eigene Endlichkeit sehr bewusst. Und ich weiß schon ganz genau, wie meine eigene Bestattung aussehen soll: Meine Asche soll in einem Ozean verstreut werden, irgendwo, wo es schön warm ist. Alle meine lieben Menschen sollen dabei sein, ganz in Weiß gekleidet. Und dann sollen sie am Strand einer traumhaft schönen Karibikinsel mit flaschenweise Champagner feiern, dass ich gelebt habe.
Finden Sie, wir Menschen sollten offener über unsere eigene Endlichkeit sprechen?
Definitiv. Wir müssen das Thema Tod enttabuisieren und mehr in die Mitte unserer Gesellschaft rücken. Während früher ganz natürlich damit umgegangen wurde, wird heute alles unter den Teppich gekehrt. Es bricht die große Panik aus, wenn jemand stirbt, weil keiner weiß, was sich derjenige für einen Abschied gewünscht hat. Das sollte so nicht sein. Das Sterben gehört zum Leben dazu und wir alle werden eines Tages damit konfrontiert. Vor dem Tod war in den allermeisten Fällen ganz viel Leben – warum verbinden wir mit dem Sterben also nur Trauer und Schmerz? Es ist auch ein toller Anlass zu feiern, dass und vor allem wie der Mensch gelebt hat.
- Gespräch mit Mia Fleischer