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München

Volt-Mann über Erfolg bei Europawahl: "Leute fühlen sich nicht mitgenommen"


Volt-Vorsitzender über Wahlerfolg
"Die Leute fühlen sich nicht mitgenommen"


Aktualisiert am 21.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Volt-WahlplakatVergrößern des Bildes
"Trau dich Europa": Ein Wahlplakat der Partei "Volt" zur Europawahl (Archivbild). (Quelle: Fabian Sommer/dpa/dpa-bilder)

Die Volt-Partei scheint im Aufschwung zu sein: Im Vergleich zur Europawahl 2019 bekamen sie viermal so viele Stimmen. Was macht die Kleinpartei so erfolgreich?

Vor fast zwei Wochen wählte Deutschland seine Abgeordneten für das zehnte Europäische Parlament. Neben einem starken Zuwachs der AfD und großen Verlusten bei den Grünen fiel ein weiterer Punkt auf: Kleinparteien gewannen an Stimmen, vor allem die Volt-Partei.

Im letzten Wahlkampf fiel die Partei durch violettfarbene Wahlplakate mit provokanten Sprüchen auf. In mehreren Städten stellt die Partei bereits Stadträte. Was macht den Volt-Erfolg aus? t-online hat mit dem Münchner Volt-Vorsitzenden Tim Scharf gesprochen.

t-online: Herr Scharf, im Europa-Wahlkampf hat Ihre Partei mit einem Plakat mit der Aufschrift "Sei kein Arschloch" geworben. Wer ist das Arschloch?

Tim Scharf: So viel vorab – die einen fanden das Plakat super, andere mochten es nicht. Ich bin auch nicht ganz glücklich damit. Man hätte das "Arschloch" etwa in Frakturschrift schreiben können, damit es Kinder nicht auf den ersten Blick lesen können. Als junge Partei versuchen wir auch mal etwas Ungewöhnliches zu tun. Der Spruch bezieht sich auf ein Lied von den Ärzten und richtet sich gegen jede Art von Extremismus, vor allem gegen Rechtsextremismus.

Ist jemand, der die AfD wählt, also ein Arschloch?

Nicht jede Person, die rechtsextrem wählt, ist per se ein Arschloch. Viele wählen auch aus Unwissenheit, aus Frust oder aus Protest. Eine rechtsextreme Partei zu wählen ist aber kein Protest. Und wenn diese Wähler sich einmal die Wahlprogramme von den Rechtsextremen durchlesen würden, dann würden sie sehen, dass diese überhaupt keine Politik für sie machen. Es handelt sich vielmehr um eine Politik für wenige extrem Reiche, nicht aber für die Mittelschicht oder darunter. Wer wirklich aus Protest wählt, soll lieber eine Partei wählen, die keinen "Schaden" anrichtet. Ohne Hass und ohne Hetze.

Seit November 2023 ist Tim Scharf ehrenamtlich Vorsitzender von Volt München.
Seit November 2023 ist Tim Scharf ehrenamtlich Vorsitzender von Volt München. (Quelle: Thess Riva Fischer)

Zur Person

Tim Scharf wurde 1985 in der DDR geboren, in München war er zunächst Mitglied bei der SPD. 2021 ist er der Volt-Partei beigetreten und seit Ende 2023 ehrenamtlich Münchner Parteivorsitzender. Hauptberuflich arbeitet Scharf in der Stadtverwaltung.

Ihre Strategie scheint Erfolg zu haben. Bei der aktuellen Europawahl haben Sie an Stimmen zugelegt: 2019 hatten sie noch 0,7 Prozent, jetzt waren es 2,6. Wieso?

Ich glaube, die Menschen sehen einfach, dass wir eine bessere Alternative zur Ampel sind, weil wir das Beste aus allen drei Parteien vereinen, ohne uns die ganze Zeit gegenseitig zu blockieren. Wir sehen, dass viele Menschen einfach auch mal richtige Lösungen wollen, anstatt die einfachen, die populistischen. Volt ist das Bollwerk gegen Nationalismus. Nationalstaatliches Denken wird unseren Zeiten nicht mehr gerecht, die globalen Herausforderungen sind zu groß, als dass ein einzelner europäischer Staat in der Welt noch Gewicht hätte.

Dennoch haben viele europäische Länder rechts gewählt, zum Beispiel Frankreich, Italien und auch Deutschland.

Ich war selber sehr entsetzt. Ich erkläre mir das einerseits mit Frust und Verdruss, aber auch mit dem Thema Migration. Die EU hat derzeit keine Lösungen für geflüchtete Menschen, wir müssen sie aber als Chance begreifen. Leider nimmt sich kaum jemand die Zeit, den Menschen in Europa zu erklären, dass wir ganz dringend Migration brauchen, um den Laden am Laufen zu halten. Die Leute fühlen sich deshalb einfach nicht mitgenommen.

Bei den 16- bis 24-Jährigen haben Sie neun Prozent der Stimmen bekommen. Sind die Jungen pro-europäischer?

Tatsächlich werden wir noch immer primär von jüngeren Menschen gewählt. Wir werden nicht umsonst als "Erasmus-Partei" bezeichnet, weil viele unserer Wähler junge Menschen sind, die Europa nicht anders kennen als so, wie es heute ist. Sie kennen keine geschlossenen Grenzen, unterschiedliche Währungen und haben das Privileg, dass sie ein Semester im EU-Ausland wohnen und studieren können und dafür subventioniert werden. Spätestens seit dem Brexit ist vielen jungen Menschen aber auch bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist und dass diese Freiheiten verteidigt werden müssen. Das gilt auch für die Nachkriegsgeneration, die schließlich in Trümmern aufgewachsen ist.

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Der Münchner Volt-Stadtrat Felix Sproll. (Quelle: IMAGO/Sachelle Babbar/imago)

Zur Volt-Partei

Die Volt-Partei gibt es in Deutschland seit 2018. Nicht nur mit Blick auf die Entstehung, sondern auch auf ihre Mitglieder ist sie eine relativ junge Partei: Das Durchschnittsalter liegt nach eigenen Angaben bei 35 Jahren. Volt gilt als besonders pro-europäisch. In München sitzt die Partei gemeinsam mit der SPD in einer Fraktion und stellt gemeinsam mit der Fraktion aus den Grünen und der Rosa Liste die Stadtregierung. Ihr Stadtratsabgeordneter ist der Augsburger Felix Sproll.

Volt gilt als Großstadtpartei, weil sie aus Städten wie Darmstadt oder Heidelberg den Großteil ihrer Stimmen generiert. Soll das so sein?

In großen Städten ist es einfacher, unsere Werte zu vermitteln, weil hier mehr Menschen auf einem Haufen leben. Und wir haben auf dem Land aktuell einfach weniger Power, das muss man auch dazusagen. Allein die mehr als 4.000 Gemeinden in Bayern zu erreichen, ist derzeit einfach schwerer. Wir müssen natürlich wesentlich mehr Wahlkampf auf dem Land machen. Aber wir haben auch schon in kleineren Städten Stadtratsplätze bekommen. Nach Wahlen bekommen wir außerdem auch mehr Mitglieder auf dem Land. Ich bin also positiv eingestellt.

Wie blicken Sie auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr?

Wir hoffen mindestens auf Parteienfinanzierung. Dazu müssten wir bei der Bundestagswahl lediglich 0,5 Prozent der gültigen Stimmen bekommen, erst dann würde uns der Staat Geld beisteuern. Das halte ich nach den Europawahl-Ergebnissen aber für sehr realistisch – auch, dass wir in den Bundestag einziehen könnten. Geld für Wahlkampf ist wahnsinnig wichtig, so ehrlich muss man sein, allein ein Päckchen Aufkleber kostet schon 80 Euro.

In München sitzen Sie gemeinsam mit der SPD in der Fraktion und stellen mit den Grünen und der Rosa Liste die Stadtregierung.

Wir haben nach der Wahl überlegt, ob wir mit den Grünen, der FDP oder der SPD zusammenarbeiten wollen. Letztendlich hat uns die SPD das beste Angebot gemacht. Für uns war es wichtig, politisch schon früh Verantwortung zu übernehmen und aktiv die Stadt mitzugestalten. Zudem haben wir mit Felix Sproll einfach einen sehr aktiven, fleißigen und nahbaren Stadtrat. Daher funktioniert die Zusammenarbeit auch ganz gut. Für die Kommunalwahlen 2026 gehen wir fest von einer eigenen Fraktion aus.

Welchen Themen sind Ihnen besonders wichtig?

Wir haben viele wichtige Projekte, eines davon war das Europahaus am Rathaus. Besonders am Herzen liegt uns außerdem die Mobilität, etwa den Nahverkehr zu stärken oder Parkplätze für Carsharing zu schaffen. Zudem wollen wir mehr Digitalisierung in der Bürokratie und bezahlbaren Wohnraum, ohne dafür aber noch mehr Flächen versiegeln zu müssen.

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Wieso sind Sie bei der letzten Landtagswahl in Bayern nicht überall angetreten?

Das Bayerische Wahlrecht macht es uns besonders schwer. Als relativ kleine Partei müssen wir über 18.000 Unterschriften in Bayern sammeln. Erst dann kann man in allen sieben Bezirken für die jeweiligen Landtags- und Bezirkswahlen antreten. Zum Vergleich: Bei der Europawahl sind es nur 4.000 Unterschriften in ganz Deutschland. Diese hohe Hürde ist skandalös und zeigt, dass die bayerische Staatsregierung keine Parteienvielfalt möchte.

Herr Scharf, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Tim Scharf
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