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München

1860 München: Benjamin Lauth erinnert sich an Abstieg vor 20 Jahren zurück


20 Jahre nach dem Bundesliga-Abstieg
1860-Legende: "Die Löwen sollten etwas demütiger sein"

  • Sven Sartison
InterviewVon Sven Sartison

22.05.2024Lesedauer: 8 Min.
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Benjamin Lauth im Trikot der Traditionsmannschaft von 1860 München (Archivbild): Bis heute ist der Ex-Profi den "Löwen" sehr verbunden.Vergrößern des Bildes
Benjamin Lauth im Trikot der Traditionsmannschaft von 1860 München (Archivbild): Bis heute ist der Ex-Profi den "Löwen" sehr verbunden. (Quelle: IMAGO/Ulrich Wagner)

Anspruch und Wirklichkeit klaffen bei 1860 München seit Jahren auseinander. Benjamin Lauth beobachtet die Entwicklung seines Ex-Klubs seit dem Bundesliga-Abstieg kritisch.

Kaum ein Tag dürfte sich den Anhängern des 1860 München so sehr eingeprägt haben wie der 22. Mai 2004. Mittlerweile ist es 20 Jahre her, dass die "Löwen" aus der Bundesliga abgestiegen sind. Die erhoffte und angestrebte Rückkehr ins Oberhaus blieb seitdem aus, stattdessen stürzte der Klub zwischenzeitlich bis in die viertklassige Regionalliga Bayern ab. Mittlerweile steckt "Sechzig" seit sechs Jahren in der 3. Liga fest.

Einer, der beim Abstieg dabei war, ist Benjamin Lauth. Der 42-Jährige galt damals als eines der hoffnungsvollsten deutschen Stürmertalente, hatte im Jahr zuvor sogar sein Debüt in der Nationalmannschaft gegeben. Im Interview erinnert sich der gebürtige Haushamer zurück an die Abstiegssaison und erklärt, was seitdem aus seiner Sicht bei den "Löwen" falsch gelaufen ist und was er sich für die Zukunft seines Herzensvereins wünscht.

t-online: Herr Lauth, vor 20 Jahren ist 1860 München nach einer 1:3-Niederlage in Gladbach aus der Bundesliga abgestiegen. Welche Erinnerungen haben Sie noch daran?

Benjamin Lauth: Ich war damals gar nicht mit vor Ort, hatte schon die Partien zuvor verletzungsbedingt verpasst. Daher habe ich den Abstieg nicht auf dem Feld mitbekommen. Dass es das bis heute letzte Bundesligaspiel der "Löwen" sein wird, hätte aber wohl niemand gedacht.

Benjamin Lauth im Trikot der Nationalmannschaft.
Benjamin Lauth im Trikot der Nationalmannschaft. (Quelle: IMAGO / Team 2)

Zur Person

Benjamin Lauth wechselte 1992 aus der D-Jugend der SF Fischbachau in den Nachwuchs von 1860 München. Nachdem er am letzten Spieltag der Saison 2001/2002 sein Debüt für die Profis in der Bundesliga gegeben hatte, zählte er ab der darauffolgenden Spielzeit fest zum Profikader der "Löwen". Nach guten Leistungen wurde er vom damaligen Bundestrainer Rudi Völler im Februar 2003 erstmals in die Nationalmannschaft berufen. Insgesamt absolvierte der gebürtige Haushamer (Landkreis Miesbach) fünf Länderspiele.

Nach dem Abstieg von 1860 München wechselte Lauth im Sommer 2004 zum Hamburger SV. Es folgte eine Leihe zum VfB Stuttgart, mit dem er 2007 Deutscher Meister wurde. Über Hannover 96 kehrte er schließlich 2008 zurück zu den "Löwen". Mit 85 Treffern ist Lauth Rekordtorschütze von 1860 München in der Bundesliga und 2. Bundesliga. Seine Karriere ließ er in der Saison 2014/15 beim ungarischen Spitzenklub Ferencváros Budapest ausklingen. Heute arbeitet er als Experte für den Streaminganbieter DAZN.

Der Abstieg kam für viele überraschend. In den Jahren zuvor waren die "Löwen" Neunter und Zehnter geworden. Auch in der Abstiegssaison lag 1860 am 26. Spieltag noch auf Platz zwölf. Danach gab es jedoch nur noch zwei Unentschieden und sechs Niederlagen. Was lief schief?

Wir sind stark in die Saison gestartet, hatten dann zwischendurch eine schwächere Phase, ehe wir nach der Winterpause wieder gut aus den Startlöchern gekommen sind. Danach haben wir es aber leider nicht geschafft, das weiter durchzuziehen. Wie es bis heute ist, gab es zudem auch damals bei den "Löwen" bereits viele Unruhen und Ärger.

Was genau meinen Sie damit?

Der Trainer setzte plötzlich auf einen neuen Kurs mit vielen jungen Spielern, die älteren wurden erst einmal zur Seite geschoben. Als es dann nicht mehr so gut lief, wollte er diese wieder dazunehmen. So kam vieles zusammen, es hat sich ein negativer Trend entwickelt und plötzlich waren wir mittendrin im Abstiegskampf. Das vorletzte Saisonspiel gegen die Hertha, welches vielen bis heute in Erinnerung geblieben ist, war dann quasi das Ende.

In diesem verschoss Francis Kioyo beim Stand von 1:1 in der 89. Minute einen Elfmeter. Bis heute verbinden viele den Abstieg mit diesem Fehlschuss, Kioyo wurde zur tragischen Figur. Wie haben Sie das damals in der Mannschaft aufgenommen?

Klar haben wir versucht, ihn aufzumuntern. Wir waren schließlich ein Team, in dem nicht einer der Sündenbock ist. Natürlich war es eine ganz wichtige Situation, in der Francis Verantwortung übernehmen wollte. Wenn er ihn reinmacht, hätten ihn alle gefeiert. So hat er verschossen. Dennoch ist er nicht der eine, der am Abstieg schuld war. Dieser war schließlich nicht das Ergebnis eines einzigen Moments, sondern einer ganzen Saison.

Normalerweise waren Sie in jener Saison Elfmeterschütze Nummer eins. Die letzten fünf Spiele verpassten Sie allerdings verletzt. Wie schmerzhaft war es, das Ende von außen mit ansehen zu müssen?

Das war natürlich eine schwierige Situation, wenn man von außen nur zuschauen und nicht helfen kann, das Ruder noch einmal rumzureißen. Ich hatte bis dahin drei Elfmeter geschossen und alle verwandelt. In Berlin stand ich nicht auf dem Platz, also fiel die Option weg. Daher musste jemand anderes schießen.

Auch nach der Partie in Berlin war der Klassenerhalt bei einem Sieg in Gladbach rechnerisch noch möglich. Dazu hätte Kaiserslautern gegen Dortmund verlieren müssen und Frankfurt in Hamburg maximal einen Punkt holen dürfen. Wie groß war die Hoffnung vor dem letzten Spieltag?

Es war schon sehr unwahrscheinlich, dass wir noch die Klasse halten. Natürlich haben wir noch einmal alles probiert. Nach der frühen Lauterer Führung und unserem 1:2-Rückstand war aber relativ schnell klar, dass es so nicht reichen wird. Das Spiel in der Woche zuvor gegen die Hertha war einfach der große Knackpunkt für uns.

Sie sind im Anschluss an die Saison zum Hamburger SV gegangen. Stand der Wechsel schon vor dem Abstieg der "Löwen" fest oder fiel die Entscheidung erst danach?

Ein Abschied aus München war gar nicht der Plan. Vielmehr kam der Wechsel gezwungenermaßen zustande. Es gab überhaupt nicht die Option, auch in der 2. Bundesliga bei den "Löwen" zu bleiben. Denn wie es auch heute noch so ist, benötigte der Klub auch damals dringend Geld für die Lizenz und war dementsprechend über alle Einnahmen froh.

Das Ziel von 1860 war anschließend der direkte Wiederaufstieg. Dieser wurde knapp verpasst, die Rückkehr in die Bundesliga gelang seitdem nie wieder. Wie bewerten Sie die Entwicklung der vergangenen 20 Jahre?

"Sechzig" hat es damals verpasst, nach einem ordentlichen ersten Jahr den Wiederaufstieg zu schaffen. Anschließend musste man weiter zurückschrauben, sich hinsichtlich der Kaderstruktur und des Finanziellen mehr und mehr an die Liga anpassen. Der kleine Vorteil aus der ersten Saison war damit weg. Dennoch waren die "Löwen" lange Zeit nach oben orientiert, nie wirklich abstiegsgefährdet. Worüber man heutzutage schon froh wäre. Dann ging es irgendwann immer weiter bergab. Bis hin zum Abstieg aus der 2. Bundesliga und dem Neustart in der Regionalliga.

Sie selbst kehrten nach Stationen in Hamburg, Stuttgart und Hannover 2008 zurück zu den "Löwen" in die 2. Bundesliga. Wie groß war der Wunsch, Ihren Klub wieder in die Bundesliga zu führen?

Das war natürlich der große Wunsch, deswegen bin ich auch zurückgekommen. Es hat sehr vieles zusammengepasst. Marco Kurz, mit dem ich noch zusammengespielt habe, war der Trainer. Vorne hatten wir Berkant Göktan, der im Jahr zuvor eine starke Saison gespielt hatte, Markus Schroth und Daniel Bierofka, der ebenfalls zurückgekehrt war. Die Voraussetzungen waren ganz gut. Aber auch da hat es nur ein paar Wochen gedauert, dann gab es auch schon wieder den ersten Skandal mit Göktan, der wegen Kokainmissbrauch fristlos gekündigt wurde.

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Dass es Unruhen, Ärger und Schlammschlachten abseits des Rasens gibt, ist bei 1860 seit Jahren ein riesiges Problem. Warum schafft man es bei den "Löwen" nicht, dass Ruhe einkehrt?

Man sieht es ja bei vielen Klubs, vor allem den Traditionsvereinen. Diese haben eine gewaltige Historie, mit ganz vielen Leuten, die involviert sind und gerne mitreden wollen. Hinzu kommt die mediale Aufmerksamkeit. So ist es natürlich schwer, Ruhe hineinzubekommen. Schalke 04 ist ein ähnliches Beispiel, bei denen ganz viel Potenzial vorhanden wäre, aber vieles drumherum verhindert, dass dieses ausgeschöpft werden kann. So ist es bei "Sechzig" auch.

Als Investor Hasan Ismaik 2011 bei 1860 einstieg, kündigte er großspurig an, in spätestens drei Jahren wieder in der Bundesliga sein zu wollen. Bis heute ist er umstritten, bei den Fans nicht gerade beliebt. Ist er mehr Problem für die "Löwen", als dass er dem Verein hilft?

Nein. Er kam damals, um dem Verein zu helfen. Es war ja auch nicht so, dass es viele andere gab, die sich in dieser Situation angeboten haben. Man darf nicht vergessen, dass "Sechzig" seinerzeit auch – mal wieder – am Abgrund stand und keiner da war, um zu helfen. Er hat es probiert, aber das hat dann eben nicht funktioniert.

Zuletzt hat Geschäftsführer Oliver Mueller angekündigt, dass 1860 in fünf Jahren wieder die Nummer zwei in Bayern sein soll. Nach aktuellem Stand müssten die "Löwen" dafür in die Bundesliga zurückkehren. Für wie realistisch halten Sie das?

Es ist in Ordnung zu sagen, was man für Ideen hat und anstrebt. Ich weiß aber nicht, ob das jetzt der richtige Moment war, um so nach vorne zu preschen. Ich glaube, bei den "Löwen" sollte man etwas demütiger sein und schauen, wo man selbst gerade steht. Es war aus meiner Sicht gar nicht nötig, über andere Klubs zu sprechen. Die Verantwortlichen müssen bei sich bleiben, den eigenen Verein auf Vordermann bringen und nicht über alle anderen bayerischen Klubs reden. Von daher war das in dieser Situation nicht unbedingt passend.

Der neue Weg der Löwen sieht vor, auf junge Spieler zu setzen, die sich voll mit den Werten des Klubs identifizieren. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg oder was braucht es, um zumindest die Rückkehr in die 2. Bundesliga zu schaffen?

Das ist definitiv der richtige Weg. Es ist ganz wichtig, den eigenen Nachwuchs weiter voranzutreiben und dabei ehrlich zu sich selbst zu sein. Denn schaut man sich mal bei anderen Vereinen die Infrastruktur und die Nachwuchsleistungszentren an, wird klar, dass die "Löwen" auch dort in den vergangenen Jahren viel verloren haben. So viele junge Spieler sind es nicht gewesen, die zuletzt den Weg in die erste Mannschaft geschafft haben. Wir sprechen immer von früher und der guten Jugendarbeit. Damals sind die Nachwuchsspieler aber noch in die Bundesliga- beziehungsweise Zweitligamannschaft gekommen, heute reicht es nur noch in wenigen Fällen für die 3. Liga.

In der aktuellen Spielzeit musste "Sechzig" lange um den Klassenerhalt bangen. Dabei gab es nach der Übernahme durch Argirios Giannikis sogar ein Zwischenhoch mit acht ungeschlagenen Partien in Serie. Wie bewerten Sie seine Arbeit?

Es ist ganz wichtig, dass man als Trainer die Zeit bekommt, sich zu beweisen, und nicht an ein paar Spielen gemessen wird. Genau wie man die erfolgreiche Serie am Anfang nicht zu hoch hängen darf, sollte man auch den anschließenden Negativlauf richtig bewerten. Für Giannikis und den neuen sportlichen Geschäftsführer Christian Werner wird es wichtig sein, die komplette Vorbereitung auf die neue Saison sowie den Kader nach ihren Wünschen planen und gestalten zu können. Es braucht immer Zeit, die eigenen Ideen einzubringen. Das wird nur leider heutzutage immer schwieriger – nicht nur bei "Sechzig". Es fehlt einfach die Geduld, auch einmal etwas langfristig zu entwickeln.

Sie selbst kicken heute bei 1860 in der Traditionsmannschaft, sind Experte beim Streaminganbieter DAZN. Hatten Sie nach Ihrer Spielerkarriere keine Ambitionen, anderweitig bei den "Löwen" einzusteigen? Oder gab es einfach nie die Möglichkeit?

Wir waren immer mal wieder im Austausch. Auch schon direkt nach dem Ende meiner Karriere. Es weiß jeder, dass ich damals in der U11 bei "Sechzig" angefangen habe, die "Löwen" mein Verein sind. Wenn ich mithelfen kann, dass wieder bessere Zeiten kommen – dann sehr gerne. Wenn der Moment passt, ist das immer möglich. Bisher war der richtige Moment aber noch nicht gegeben.

In welcher Rolle würden Sie sich dann sehen: als Trainer?

Bis auf den ganz großen habe ich zwar alle Trainerscheine. Aber das ist tatsächlich der Bereich, der für mich nicht infrage kommt. Ich sehe mich einfach nicht am Spielfeldrand, sondern eher drumherum. Richtung Management, das ist mein Gebiet.

Was würden Sie sich für die kommenden fünf Jahre für 1860 München wünschen?

Man muss den Blick wegbekommen von der ersten Mannschaft und vom rein Sportlichen. Ein Aufstieg in die 2. Bundesliga wäre nur ein Teil des großen Ganzen, der aber sicher hilfreich wäre. Der Verein muss wieder auf ein vernünftiges Fundament gestellt werden. Es gilt, nicht nur auf die nächsten fünf, sondern vielleicht sogar zehn oder 15 Jahre zu schauen. Denn viele Klubs in der Ersten und Zweiten Liga sind nicht nur sportlich, sondern auch in Sachen Stadion, Nachwuchsleistungszentren und den ganzen Strukturen Lichtjahre entfernt. Da hat "Sechzig" eine Menge aufzuholen, da muss ganz viel passieren.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Benjamin Lauth
  • Eigene Recherchen
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