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"Pride Week": Tierpark Hellabrunn klärt über Homosexualität bei Tieren auf


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"Pride Week" im Tierpark Hellabrunn
Homosexualität bei Tieren "wurde weggeleugnet und wegbeobachtet"

Von Patrik Stäbler

15.06.2023Lesedauer: 3 Min.
Humboldt-Pinguine im Tierpark Hellabrun: Schon zu Zeiten von Aristoteles sollen Gelehrte gleichgeschlechtliche Paarungsakte bei Tieren festgestellt haben.Vergrößern des Bildes
Humboldt-Pinguine im Tierpark Hellabrun: Schon zu Zeiten von Aristoteles sollen Gelehrte gleichgeschlechtliche Paarungsakte bei Tieren festgestellt haben. (Quelle: Patrik Stäbler /t-online)

Egal ob Affen, Pinguine oder Giraffen – sie alle haben gleichgeschlechtlichen Sex. Anlässlich der Pride Week bietet der Tierpark Hellabrunn Sonderführungen zum Thema an.

Max beugt sich zu Benni hinunter, der auf einem Felsen in der Sonne döst. Zärtlich stupst er ihn an, streichelt den Kopf und schmiegt sich an seinen Körper – doch vergebens. Denn Benny bleibt reglos liegen und ignoriert alle Annäherungsversuche, worauf Max – offenbar frustriert – davontrottet. "Vielleicht hat er Migräne", sagt Rasem Baban und lacht.

Der Direktor des Tierparks Hellabrunn in München steht an diesem lauen Sommerabend auf der Aussichtsplattform der neuen Löwenanlage und beobachtet die Brüder Max und Benni – und ihre unterschiedlichen Lust-Level. Wobei dies keineswegs die Regel sei, versichert Zooführerin Ilse Tutter. Vielmehr hätten die beiden regelmäßig Sex miteinander. "Die Besucher sprechen deshalb oft von unseren schwulen Löwen", erzählt die Biologin. "Das geht bei denen so weit, bis einer einen nassen Rücken hat."

Tierpark will Aufklärungsarbeit leisten

Nun seien die zwei Brüder, die in Hellabrunn aufgewachsen sind und fernab aller Weibchen leben, natürlich ein Sonderfall, sagt Ilse Tutter. Doch auch in freier Wildbahn zeigten Löwen gleichgeschlechtliche Paarungsakte – und nicht nur sie. Insgesamt habe man bei 1.500 Tierarten homosexuelles Verhalten beobachtet, erzählt die Expertin.

Wie weit verbreitet gleichgeschlechtlicher Sex in der Natur ist, das zeigt der Tierpark Hellabrunn in den nächsten Tagen bei fünf Sonderführungen anlässlich der Pride Week und des Christopher Street Day (CSD). Man wolle "Aufklärungsarbeit hinsichtlich der unterschiedlichen geschlechtlichen Verhaltensweisen im Tierreich leisten", erklärt Direktor Rasem Baban.

Das homosexuelle Verhalten vieler Arten sei für ihn "ein Beleg, dass diese Variationen ihren berechtigten Platz in der Natur" hätten. "Damit wollen wir die LGBTIQ-Community unterstützen, die sich oftmals leider immer noch homophoben und ausgrenzenden Vorurteilen erwehren muss." Wobei Zooführerin Ilse Tutter zu Beginn des Rundgangs betont, dass es keine schwulen oder lesbischen Tiere gebe, sondern diese lediglich homosexuelles Verhalten zeigten. "Wir können ja nicht ihre Identität abfragen, sondern nur beobachten."

Schon zu Zeiten von Aristoteles hätten Gelehrte gleichgeschlechtliche Paarungsakte bei Tieren festgestellt – diese jedoch oft totgeschwiegen. "Das wurde nicht berichtet, weil es nicht gewollt war", sagt die Biologin. "Das wurde weggeleugnet und wegbeobachtet." Dabei sei Homosexualität für bestimmte Tierarten sogar vorteilhaft – etwa bei Humboldt-Pinguinen. Denn wenn bei ihnen in einer Kolonie ein elternloses Ei auftauche oder ein Küken zum Waisen werde, dann übernehmen oftmals homosexuelle Paare das Ausbrüten oder Aufziehen.

Gleiches habe man auch bei Flamingos beobachtet, erzählt Ilse Tutter, während hinter ihr die rosafarbenen Vögel um die Wette schnattern. "Die homosexuellen Tiere nehmen die Eier oder Küken adoptivmäßig in Obhut. Das klappt wunderbar und ist ein Riesenvorteil für die Kolonie."

Dieses Verhalten sei freilich nicht der Grund, weshalb der Flamingo oft in der Lesben- und Schwulenbewegung als Symbol verwendet werde. Vielmehr sei wohl die markante Farbe der Vögel dafür ausschlaggebend, mutmaßt Ilse Tutter – und so werden auch dieses Jahr beim CSD wieder zig rosafarbene Aufblas-Flamingos zu sehen sein. Dabei würde sich als Symboltier eher die Giraffe anbieten. Schließlich seien bei dieser Tierart 30 bis 50 Prozent aller Paarungen homosexuell, sagt die Biologin, die mittlerweile im Giraffenhaus angelangt ist.

Homosexuelles Verhalten auch bei Schimpansen weit verbreitet

Vor allem Bullen suchten demnach gleichgeschlechtliche Genossen zum Kämpfen und Paaren. "Das ist oft eine schmale Gratwanderung zwischen Aggression und Sex." Auch bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, sei homosexuelles Verhalten an der Tagesordnung, sagt Ilse Tutter an der nächsten Station, dem Affenhaus.

Bei den Bonobos – ihre DNA ähnelt der des Menschen sogar noch stärker als die der Schimpansen – diene Sex, egal ob homo- oder heterosexuell, nicht zuletzt dem Stressabbau und zum Lösen von Konflikten. "Das sind die 'Make Love, Not War'-Affen", erklärt die Zooführerin. "Wenn es da Stress gibt, ergreift oft das gruppenanführende Weibchen die Initiative, hat schnell Sex und danach ist wieder alles entspannt." Allein der Mensch habe diesen Wesenszug nicht geerbt, so Ilse Tutter. "Wir haben leider das Verhalten vom Schimpansen mitbekommen, sodass bei uns Konflikte nicht zu Sex, sondern zu Streit und Krieg führen."

Homosexuelles Verhalten jedenfalls sei auch bei Schimpansen weit verbreitet; so präsentieren sich weibliche Tiere gerne gegenseitig ihre Geschlechtsöffnungen. Derweil schlingen Elefanten ihre Rüssel ineinander, bei Waldbisons besteigt ein Bulle den anderen, auch um Gruppenzugehörigkeit zu zeigen, und männliche Delfine reiben bei Lustspielen ihre Genitalien aneinander. "Homosexuelles Verhalten ist ein völlig normaler Bestandteil der Natur und nichts Widernatürliches", fasst es Ilse Tutter am Ende des Rundgangs zusammen. Homophobie dagegen, etwa in Form von Ausgrenzung, lasse sich im Tierreich nicht beobachten. "Das ist ein rein menschlicher Unsinn."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Gespräche vor Ort
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