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Razzia gegen "Letzte Generation": Behördenpannen? Bayerische Ermittler in Kritik


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Polizeieinsatz gegen "Letzte Generation"
Immer mehr Ungereimtheiten


Aktualisiert am 25.05.2023Lesedauer: 3 Min.
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Insgesamt 15 Objekte in sieben Bundesländern sind durchsucht worden. (Quelle: reuters)

Bei ihrem aufsehenerregenden Vorgehen gegen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" sind bayerischen Behörden schwere Fehler unterlaufen. Die Razzien werfen Fragen auf.

Am Mittwoch führten Ermittler Razzien in sieben Bundesländern gegen Klimaaktivisten der "Letzten Generation" durch. Es gibt den Verdacht, dass Spendengelder in Höhe von 1,4 Millionen Euro zur Finanzierung von Straftaten benutzt wurden. Hinzu kam der Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Im Zuge der aktuellen Ermittlungen kam es zu massiven Ungereimtheiten. Es ist nicht das erste Mal, dass die bayerischen Behörden in die Kritik geraten.

Generalstaatsanwaltschaft unterlief Fehler

Nach den Razzien gegen die Umweltaktivisten platzierte das Bayerische Landeskriminalamt auf Weisung der Generalstaatsanwaltschaft einen Warnhinweis auf der Homepage der Klimaaktivisten: "Die 'Letzte Generation' stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar." Weiter hieß es dort: "Achtung: Spenden an die 'Letzte Generation' stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!"

Dabei hat bislang kein Gericht festgestellt, ob es sich bei der "Letzten Generation" um eine kriminelle Vereinigung handelt. Bisher hat ein Ermittlungsrichter lediglich einen "Anfangsverdacht" bestätigt. Bis ein Gericht zu einem abschließenden Urteil kommt, gilt die Unschuldsvermutung. Außerdem widerspricht eine Vorverurteilung dem Grundsatz eines offenen Ermittlungsverfahrens. Die Generalstaatsanwaltschaft gestand den Fehler ein und änderte den Warnhinweis ab.

Stelle für Extremismus und Terrorismus führt Ermittlungen

Unklar ist zudem, warum die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) den Durchsuchungsbefehl beantragt hatte, also eine übergeordnete Behörde und nicht die Staatsanwaltschaft München I. Die ZET ist vorwiegend für Ermittlungen zu möglichen Straftaten zuständig, denen eine terroristische und extremistische Motivation zugrunde liegen. Die Generalstaatsanwaltschaft betonte am Mittwoch allerdings, dass es sich nach aktuellem Ermittlungsstand um eine kriminelle Vereinigung handle – "wohlgemerkt nicht um eine terroristische", sagte ein Sprecher der Behörde der Deutschen Presse-Agentur.

Insofern bleibt die Frage offen, warum sich ausgerechnet diese Stelle mit dem Fall beschäftigt. "Da vorliegend ein überregionaler Sachverhalt bestand und das Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse erweckt, wurde die Zuständigkeit aufgrund der besonderen Bedeutung der Sache von der ZET selbst als begründet angenommen", heißt es in einer Antwort der Generalstaatsanwaltschaft an t-online.

Sabotageversuch an Pipeline in Bayern

Eine Rolle könnte spielen, dass zwei einzelne Beschuldigte im Verdacht stehen, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren. So schildern es die Ermittler in einer Pressemitteilung von Mittwoch, sie bezeichnen darin die Pipeline als Teil der "kritischen Infrastruktur". Ob die beiden Aktivisten jedoch dabei von den Strukturen der "Letzten Generation" unterstützt wurden oder sie womöglich nur als Einzeltäter handelten, ist unklar.

Wie die "Augsburger Allgemeine" berichtet, schnitten die beiden damals bei der Aktion ein Loch in einen Zaun und brachen ein Schloss auf, um zu einer Schiebestation bei Moosburg im Landkreis Freising zu gelangen. Der mutmaßliche Versuch, den Ölfluss zu stoppen, scheiterte aber und endete in einem "wahllosen Drücken verschiedener Knöpfe an der Elektronik", schreibt die Zeitung. Ob die mutmaßlichen Täter ernsthaft die Pipeline lahmlegen und nicht nur Aufmerksamkeit erzeugen wollten, ist offen.

Zahlreiche Fehler in der Vergangenheit

"Der Rechtsstaat gilt für alle. Auch die 'Letzte Generation' muss ihr Verhalten an § 129 StGB, also der Bildung einer kriminellen Vereinigung, messen lassen", schrieb am Mittwoch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) auf Twitter. "Aber im Rechtsstaat gilt auch: Man ist so lange unschuldig, bis ein Gericht die Schuld als erwiesen ansieht." Auch der Rechtsanwalt und YouTuber Christian Solmecke kritisierte dort das Vorgehen der Behörden: "Hab ich den Prozess verpasst?"

Es ist nicht das erste Mal, dass die bayerischen Ermittlungsbehörden in die Kritik geraten, weil sie zu schnell reagierten und sich anschließend korrigieren mussten. Beim Anschlag am Olympiaeinkaufszentrum (OEZ) 2016 zum Beispiel spielte die Staatsanwaltschaft das rechtsextreme Hassverbrechen zunächst herunter und sprach von einem "unpolitischen Amoklauf" und einem lediglich "psychisch kranken" Täter – bis ein Richter das Gegenteil feststellte.

Bei den Ermittlungen gegen die Terroristin Beate Zschäpe und den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) richteten die bayerischen Behörden zwei Sonderkommissionen ein – die SoKo "Bosporus" und "Halbmond". Die Behörden ermittelten damals fälschlicherweise im Familien- und Freundeskreis der Opfer statt in der rechtsextremen Szene. Den NSU bezeichneten sie erst nach dem Gerichtsprozess als terroristische Vereinigung.

Politische Beeinflussung beim Oktoberfest-Attentat

Die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden ans Justizministerium und Justizminister Georg Eisenreich (CSU). In der Vergangenheit gab es nicht nur schnelle Ermittlungsergebnisse, die später korrigiert wurden, sondern auch politische Beeinflussung.

Vor dem Oktoberfest-Attentat 1980 hatte sich der verstorbene Ministerpräsident Franz-Josef-Strauß gegen ein Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann ausgesprochen, obwohl diese später in das Attentat verwickelt war. Damals kandidierte Strauß als Bundeskanzler. Ihm wird vorgeworfen, die Ermittlungen der Justiz aus wahlpolitischen Gründen in eine andere Richtung gelenkt zu haben. Der Investigativjournalist Ulrich Chaussy vom Bayerischen Rundfunk trug damals mit seinen Recherchen maßgeblich zur Aufklärung des Falles bei.

Verwendete Quellen
  • Jahrelange Recherchen unseres Autors zum OEZ-Anschlag, Oktoberfestattentat und zum NSU-Prozess
  • spiegel.de: "Große Mehrheit der Deutschen lehnt Proteste der "Letzten Generation" ab"
  • Diverse Tweets auf Twitter
  • Antwort der Generalstaatsanwaltschaft
  • Augsburger Allgemeine: "Wie weit geht die "Letzte Generation" in ihrem Kampf für den Klimaschutz?"
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