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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ist Manfred Genditzki doch unschuldig? Badewannenmord wird vor Gericht neu aufgerollt
Manfred Genditzki saß 13 Jahre lang im Gefängnis – wegen Mordes. Zweifel an seiner Schuld gab es immer. Nun wird der Fall vor Gericht neu aufgerollt.
Die Nachricht erreichte Manfred Genditzki an seinem Arbeitsplatz – in der Wäscherei der Justizvollzugsanstalt Landsberg. Kurz vor Ende der Frühschicht seien drei Beamte auf ihn zugekommen, erzählt der heute 62-Jährige, einer davon mit einem Telefon in der Hand, das er dem Gefangenen reichte. Am Apparat sei eine Frau von der Geschäftsstelle gewesen, die dem völlig perplexen Genditzki eröffnet hätte: "Sie können heute packen. Sie sind frei."
Diese Nachricht sei für ihn erst einmal ein Schock gewesen, erzählt Genditzki später in einem Interview. Schließlich hatte er bis zu diesem Tag im vergangenen August mehr als 13 Jahre lang im Gefängnis gesessen. Der Grund: Im Januar 2012 – zu diesem Zeitpunkt ist er schon fast drei Jahre in Haft – wird Manfred Genditzki vor dem Landgericht München II wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zweifel an diesem Urteil hat es immer gegeben.
Es ist bereits das zweite Urteil in dem Fall, nachdem der Bundesgerichtshof einen ersten Schuldspruch aus dem Frühjahr 2010 wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben hatte. Doch auch in zweiter Instanz zeigt sich das Landgericht München II überzeugt, dass Genditzki im Oktober 2008 die Rentnerin Lieselotte Kortüm aus Rottach-Egern in ihrer Badewanne ertränkt hat. Ab kommender Woche soll der Fall vor Gericht neu aufgerollt werden.
Angeklagter hat die Tat bestritten
Der frühere Hausmeister und enge Vertraute der 87-Jährigen hat die Tat stets bestritten. Schon vor, aber auch in den Jahren nach seiner Verurteilung werden zunehmend Zweifel an Genditzkis Schuld laut. Im Juni 2019 reicht seine Anwältin Regina Rick einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens bei Gericht ein. Sie stützt sich dabei vor allem auf ein neues Gutachten zum Todeszeitpunkt der Rentnerin sowie auf eine Computersimulation, die beweisen soll, dass ihr Tod auch die Folge eines Sturzes gewesen sein kann.
Das Landgericht München I lehnt den Wiederaufnahmeantrag im Dezember 2020 zunächst ab, woraufhin Regina Rick Beschwerde beim Oberlandesgericht München einlegt – mit Erfolg. Denn dieses erachtet den Antrag als zulässig, sodass die 1. Strafkammer des Landgerichts abermals darüber entscheiden muss. Und sie beschließt nach einer Voruntersuchung am 12. August 2022: Der Wiederaufnahmeantrag ist begründet; eine neue Hauptverhandlung wird angesetzt. Wenig später klingelt in der JVA Landsberg das Telefon, und nach 13 Jahren, 23 Wochen und 6 Tagen im Gefängnis kommt Manfred Genditzki frei.
Seither lebt der 62-Jährige wieder mit seiner Ehefrau zusammen und verbringt viel Zeit mit der Familie – seinen Kindern und Enkeln. Darüber hinaus arbeitet er in einer Käserei als Fahrer. "Normalität, einfach Normalität" wünsche er sich für die Zukunft, sagt Genditzki in einem Interview, das im November auf der Basis von Journalistenfragen in der Kanzlei von Regina Rick geführt wird. "Ich verlange nicht viel vom Leben, ich will einfach nur mein normales Leben zurück."
Gerichtsverfahren wird am 26. April eröffnet
Ob dieser Wunsch erfüllt wird, hängt vom Ausgang des mittlerweile dritten Gerichtsverfahrens ab. Dieses beginnt am 26. April im Sitzungssaal A 101 des Münchner Strafjustizzentrums. Aktuell sind für das Verfahren bis zum 7. Juli 20 Verhandlungstage angesetzt.
Regina Rick gibt sich zuversichtlich, dass ihr Mandant diesmal von dem Mordvorwurf freigesprochen wird. "Er kann es nicht getan haben, weil die alte Dame viel später gestorben ist als ursprünglich angenommen. Und im Übrigen hat er kein Motiv", sagt die Anwältin eine Woche vor dem Prozessauftakt bei einer Pressekonferenz.
Rick hat den Fall vor zehn Jahren übernommen und habe schon aufgeben wollen, wie sie sagt. "Mehrere erfahrene Kollegen haben mir geraten: Lass es. Schreib ihm, du findest nichts. Gib auf!" Doch sie habe immer gewusst, sagt die Anwältin, "dass das nicht sein kann, was im Urteil stand". Daher habe sie weitergemacht. "Und heute bin ich froh, dass ich nicht aufgegeben habe."
Rechtsmediziner finden Verletzungen am Hinterkopf
Der Prozess vor dem Landgericht München I wird die Geschehnisse vom 28. Oktober 2008 neu aufrollen, an dem Lieselotte Kortüm abends tot in der Badewanne ihrer Wohnung in Rottach-Egern gefunden wird. Anfangs geht man noch von einem Sturz der Rentnerin aus. Doch dann stoßen Rechtsmediziner bei der Obduktion auf zwei Verletzungen am Hinterkopf, weshalb die Staatsanwaltschaft auf ein Gewaltverbrechen schließt – und Anklage gegen Genditzki erhebt.
Der Hausmeister hat sich jahrelang um die alte Frau gekümmert, für sie eingekauft und mit ihr Kaffee getrunken. Am Tag der Tat soll er ihr erst mit einem stumpfen Gegenstand zweimal auf den Kopf geschlagen und sie dann in der Badewanne ertränkt haben – so schildert es die Staatsanwaltschaft. Als Motiv vermutet sie, dass Lieselotte Kortüm entdeckt habe, dass Genditzki sie bestohlen habe.
Als sich im Verlauf der ersten Verhandlung herausstellt, dass bei der Rentnerin kein Geld fehlt, schwenkt die Staatsanwaltschaft um. Fortan argumentiert sie, der Hausmeister habe die Seniorin im Streit geschlagen – und sie danach aus Angst vor Konsequenzen getötet.
Unschuld soll mit Computersimulation bewiesen werden
Das Gericht schließt sich dieser Version an – unter anderem aufgrund eines Gutachtens, das einen Sturz der Frau als äußerst unwahrscheinlich erachtet. Genau dies will Regina Rick nun im dritten Verfahren widerlegen, und zwar mit einer Computersimulation des Stuttgarter Professors Syn Schmitt. Die These: Die Verletzungen der Rentnerin könnten sehr wohl von einem Sturz herrühren.
Zudem setzt Rick auf ein thermodynamisches Gutachten, das anhand der Wassertemperatur in der Badewanne den Todeszeitpunkt so eingrenzt, dass Genditzki nicht der Täter gewesen sein kann. "Das, was ihm vorgeworfen wird, soll er in elf Minuten bewerkstelligt haben", sagt Regina Rick. "In dieser Zeit hätte er sie ins Bad bringen, Wasser einlaufen lassen, sie ertränken und den Tatort präparieren müssen. Das alles in elf Minuten und ohne eine Spur zu hinterlassen – das schafft nicht mal ein russischer Auftragskiller."
Ob das Landgericht München dieser Argumentation folgen wird? Das wird sich im Prozess ab dem 26. April zeigen. Dann wird auch Manfred Genditzki wieder in einem Gerichtssaal auf der Anklagebank sitzen – nach acht Monaten in Freiheit. Über seine Gefühlswelt seit der Freilassung hat der 62-Jährige in dem Interview in der Kanzlei gesagt: "Bis jetzt komme ich durch. Ich will nicht sagen, jeder Teil ist rosig, es gibt auch Tage, an denen ich am Boden bin. Aber da muss ich auch durch, weil das wird noch über Jahre dauern."
- Pressekonferenz mit Anwältin Regina Rick am 19. April
- www.manfred-genditzki.eu: Interview mit Manfred Genditzki vom 18. November 2022 auf Basis von Journalistenfragen im Büro von Regina Rick
- Pressemitteilung des Oberlandesgerichts München vom 12. August 2022: "Verfahren gegen Manfred G. ("Badewanne")"