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München

Todespfleger vor Gericht: "Ich wollte sie ruhigstellen, nicht töten"


Todespfleger vor Gericht
"Ich wollte sie ruhigstellen, nicht töten"

Von Alexander Spöri

24.01.2023Lesedauer: 5 Min.
Nach zwei Jahren Untersuchungshaft: Der angeklagte Krankenpfleger wird von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt.Vergrößern des Bildes
Nach zwei Jahren Untersuchungshaft: Der angeklagte vermeintliche Krankenpfleger wird von Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. (Quelle: dpa / Peter Kneffel)
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Ein als Pfleger in einem Münchner Krankenhaus angestellter Mann steht im Verdacht, zwei Patienten getötet zu haben. Weil sie ihn "genervt" hätten, habe er sie "ruhigstellen" wollen.

Mit gesenktem Kopf, schwacher Körperhaltung und einem Blatt Papier vor dem Gesicht betritt ein ehemaliger Angestellter des Klinikums rechts der Isar den Saal des Landgerichts München I. Zwei Jahre befand sich der Mann bereits in Untersuchungshaft. Denn er soll im Jahr 2020 zwei seiner Patienten ermordet und es bei sechs weiteren Patienten versucht haben.

Der Grund des 26-Jährigen: Er hatte regelmäßig einen Kater nach intensivem Alkohol- und Drogenkonsum und wollte aus diesem Grund schlafen oder am Handy sein, wie er am Dienstag vor Gericht selbst sagte. Dabei sei er oft nicht mehr imstande gewesen, die Patienten zu betreuen und wollte sie deshalb nach eigener Aussage mit Medikamenten "ruhigstellen". Für zwei Personen endete das tödlich.

Angeklagter entschuldigt sich vor Gericht

Im August 2022 hat die Staatsanwaltschaft München I Anklage wegen Mordes "aus niederen Beweggründen" in zwei Fällen und versuchten Mordes in sechs Fällen erhoben. Am Dienstag startete der Prozess gegen den Mann. "Die Anklageschrift trifft zu", sagt der Beschuldigte nach der Verlesung. "Ich will mich im größten Maße entschuldigen, auch wenn das Verhalten nicht zu entschuldigen ist." Es tue ihm von Herzen leid, "große Schäden" angerichtet zu haben.

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen den aus Dorsten im Ruhrgebiet stammenden Mann sind gewichtig. Bereits 2018 war er seiner Aussage nach in Österreich verurteilt worden. Er habe als Altenpfleger einem Patienten dort das Bargeld gestohlen. Deshalb dürfe er heute nicht mehr in der Alpenrepublik arbeiten. Nicht nur in Österreich, sondern später auch in München fiel der Mann wegen Diebstahls auf. 130 Euro soll er einem Patienten auf einer Normalstation gestohlen haben. "Was Diebstahl angeht, bin ich Profi", sagte er der Staatsanwaltschaft zufolge in einer Beschuldigtenvernehmung.

Pfleger hat nie eine medizinische Ausbildung absolviert

Eine Zeitarbeiterfirma habe den damals arbeitslosen Mann dann 2020 als Krankenpfleger ans Klinikum rechts der Isar vermittelt. Doch die Angaben in seiner Bewerbung waren falsch: Der Mann hatte keine Krankenpfleger-Urkunde und besaß auch keine umfassenden medizinischen Kenntnisse. Außerdem hatte der Angeklagte fälschlicherweise angegeben, zuvor im Universitätsklinikum in Essen als Krankenpfleger gearbeitet zu haben.

Nach seiner eigenen Aussage wusste der Großteil der Angestellten im Klinikum rechts der Isar, dass der Mann gar kein Krankenpfleger von Beruf ist. "Ich war bei allen als Altenpfleger bekannt." Die medizinischen Kenntnisse, die schon ab dem ersten Tag notwendig gewesen wären, fehlten ihm – das gestand der Mann vor Gericht selbst ein und sorgte beim Richter für kurzes Kopfschütteln.

Stark alkoholisiert im Dienst

Zur medizinischen Arbeit wäre der Mann vermutlich ohnehin nicht imstande gewesen. Vor Gericht erzählte er, dass er schon vor Schichtbeginn täglich mindestens zwölf Bier-Mischgetränke ("Desperados"), einen Rosé und eine Wodka- oder Jägermeister-Flasche beim Kiosk an der Reichenbachbrücke getrunken habe.

Auch nach der Schicht habe er, vor allem an Bundesliga-Spieltagen von seinem Lieblingsverein Borussia Mönchengladbach, zwischen 60 und 80 kleine Mini-Schnapsflaschen ("Stamperl") getrunken, außerdem rund drei Liter Bier. "Ich bin zwei Meter groß, wiege 120 Kilogramm – das vertrage ich", sagte der Angeklagte vor Gericht. Im besoffenen Zustand urinierte er vor Kneipen und fiel dort negativ mit rechtsextremen Parolen auf.

Rund 150 Euro habe er pro Tag für Alkohol und Zigaretten ausgegeben. Hinzu kam ein phasenweiser Kokainkonsum von drei bis sechs Gramm pro Tag. Durch dieses Suchtverhalten verschuldete der Mann sich nach eigenen Angaben um 10.000 Euro – dafür soll unter anderem dessen Vater aufgekommen sein.

Er wollte wissen, wie es sich als Arzt anfühlt

Zwischen August und November 2020 kam es dann im Krankenhaus in der neurochirurgischen Abteilung auf den Wachstationen – einer Übergangsstation zwischen Normal- und Intensivstation – zu Merkwürdigkeiten: Zwei Menschen verstarben aus vorerst unerklärlichen Gründen. Drei weitere Patienten überlebten nur knapp. Es dauerte vier Monate, bis Licht ins Dunkel kam. Dann wurde ein Assistenzarzt stutzig und informierte die Polizei.

Fünf akut erkrankte Patienten mit hohem Pflegebedarf, zwischen 80 und 90 Jahre alt, waren unter sedative Medikamente gesetzt worden, darunter Benzodiazepine wie Diazepam und Lorazepam – um sie "ruhigzustellen". Dabei hatte er den Ermittlungsakten zufolge ein "Doktor-Feeling" mit einem "Kick", wenn die Medikamente anfingen zu wirken. Das fiel keinem Arzt auf – denn er injizierte die Dosen teilweise 24 Mal schneller als eigentlich üblich. Die Überdosen führten unter anderem schnell zur Bewusstlosigkeit und lebensbedrohlichen Blutungen bei den Patienten.

Die Medikamente entwendete der Mann aus dem "Notfallwagen" des Krankenhauses. Im Klinikum rechts der Isar werde ihm zufolge "nicht so genau" hingeschaut, wenn es um fehlende Medikamente geht. Außerdem bestellte er Arzneimittel offiziell über die Krankenhaus-Apotheke. Alle Bestellungen wurden von Vorgesetzten genehmigt, sagte der Angeklagte vor Gericht aus.

Medikamente aus der Klinik nahm er selbst ein

Mit den Medikamenten hat der Mann wohl nicht nur die Patienten sediert: Einige Tabletten, darunter Oxycodon, Diazepam und Tramadol, habe er selbst mit nach Hause genommen. In manchen Phasen habe er pro Tag zwischen acht und zehn Tabletten geschluckt. Nicht einmal mehr mit der U-Bahn konnte der Beschuldigte zur Arbeit fahren, sondern nur noch mit dem Taxi vom Hotel, das sein Arbeitgeber bezahlte. Einmal habe eine Mitarbeiterin ihn sogar nach Hause geschickt – da er nicht "zurechnungsfähig" gewesen sei. Der Mann solle künftig "ohne Fahne" zur Arbeit kommen, hieß es damals. Von da an habe er täglich mit einer "halben Flasche" Parfum für Abhilfe gesorgt.

Um unter anderem seinen Drogenkonsum weiter zu finanzieren, lieh er sich eigenen Angaben zufolge unter einem Vorwand insgesamt zwischen 10.000 und 12.000 Euro von seinem Chef. 700 Euro sollte der Pfleger davon monatlich zurückzahlen – bei einem Bruttogehalt von 3.200 Euro.

Gefälschte Protokolle bei täglicher Visite

Was beim Gerichtsprozess ebenso bekannt wurde: Damit der Mann sich nicht um die Ausscheidungen der Patienten kümmern musste, habe er begonnen, ihnen Katheter einzusetzen. Kurz vor dem Schichtwechsel habe er diese wieder entfernt, damit sie keinen Ärzten auffielen. Die Pflegeprotokolle soll er gefälscht haben. "Ich habe Vitalwerte eingetragen, bei denen es normalerweise keine weiteren Nachfragen gibt", gesteht der 26-Jährige ein. Außerdem habe er bewegungsunfähige Patienten auf einen Stuhl gesetzt und sie damit vor eine Wand geschoben – damit sie von sich aus "ruhiger" werden.

Das half allerdings nicht gegen die Müdigkeit aufgrund des hohen Alkoholkonsums. Der Mann wurde des Öfteren beim Schlafen kurz nach Dienstbeginn erwischt. Das gibt der Angeklagte zu. "Ich bin nicht der einzige, der geschlafen hat, aber der einzige, der so tief geschlafen hat." Um rechtzeitig wieder aufzuwachen, habe der Mann sich hin und wieder einen Wecker kurz vor Schichtende gestellt.

Insgesamt arbeitete der Mann jeden Monat 210 bis 220 Stunden – bis zu seiner Festnahme im November 2020. Sein Fehlverhalten während der Dienstzeit wurde seitens des Klinikums rechts der Isar seinen Angaben zufolge nie thematisiert, wie er vor Gericht aussagt.

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Angeklagter wollte angeblich niemanden ermorden

Ein schlechtes Gewissen wegen der sedierten Patienten hatte der Mann nie. Dafür sei er "zu berauscht" gewesen. Inzwischen ist er während der Untersuchungshaft einmal pro Woche in psychologischer Behandlung. Außerdem hat er einen Drogenentzug durchgemacht. "Mir fehlen die Worte für das, das ich gemacht habe", sagt er heute.

Ob seine Reue vom Gericht anerkannt wird und möglicherweise strafmildernd wirkt, bleibt abzuwarten. Der vorsitzende Richter Norbert Riedmann sagte bereits, dass er das Gefühl habe, der Angeklagte möchte eventuell in vielen Angelegenheiten die Schuld auf das Krankenhaus schieben.

Verwendete Quellen
  • Reporter beim Gerichtsprozess am Landgericht München I
  • mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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