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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wegen "Reichsbürgern" Gerichtsvollzieher fürchten um ihr Leben
Gerichtsvollzieher brauchen Geleitschutz, wenn sie zu "Reichsbürgern" müssen. Immer häufiger landen die Sympathisanten der "Querdenker"-Szene vor Gericht.
Ein Handwerker war nicht zum ersten Mal geblitzt worden. Doch trotz mehrerer Mahnungen ignorierte er die Bußgeldbescheide. Er kam auch nicht zum Gerichtstermin in Traunstein, doch der Richter kannte ihn ohnehin schon – denn der Angeklagte aus Schnaitsee stand bereits als "Reichsbürger" in den Akten. 7.200 Euro Geldstrafe lautete das Urteil nach wenigen Minuten. Schon bei solchen Beträgen und diesem Personenkreis beginnt meist eine Eskalation, die bis zu Todesdrohungen reicht.
Eine solche fand eine Mitarbeiterin des Zweckverbands an ihre Wohnungstür geklebt, nachdem ein "Reichsbürger" ihre Adresse hatte ausfindig machen können. "Die Mitarbeiterin war fertig", heißt es aus dem Zweckverband Kommunales Dienstleitungszentrum Oberland in Bad Tölz, der zuständig ist für die Verkehrsüberwachung von ruhendem (Strafzettel) und fließendem Verkehr (Blitzer) in 150 Städten und Kommunen in der Region.
Geleitschutz für Beamte bei "Reichsbürgern" in Bayern
Wer nicht zahlt, bei dem kommt dann der Gerichtsvollzieher vorbei. Ist der "Reichsbürger" schon aktenkundig und wird "dieser als potenziell gefährlich eingeschätzt, bittet der Beamte die Polizei um Geleitschutz. Das kommt immer wieder vor", so Polizeisprecher Stefan Sonntag im Gespräch mit t-online. "Oft gebe es im Vorfeld Kontakte des Gerichtsvollziehers zu seinem Klienten. Wenn sich dabei schon abzeichnet, dass es Ärger geben könnte, dann passen wir auf, dass niemand zu Schaden kommt".
Gerichtsvollzieher stellen offenbar ein bevorzugtes Feindbild von "Reichsbürgern" dar. Zu hören ist, dass sie mitunter auch mit einem "Kriegsgericht" drohen. In der Regel gehe es um Drohungen, mit denen der Verband aufgefordert werde, entsprechende Geldsummen zu bezahlen, "teils in Euro oder aberwitzigen Währungen", erzählt Sebastian John, der Leiter des Innendienstes im Zweckverband, auf Anfrage von t-online. "Da wir nicht rechtmäßig handeln würden, könnten sie auch das Bußgeld nicht anerkennen." Doch so einfach lässt sich der Verband nicht abspeisen.
"Wenn der Verdacht besteht, dass es sich um einen 'Reichsbürger' handeln könnte, wird dies von uns an die jeweils zuständigen Polizeipräsidien abgegeben, denn solche Verkehrssünder-Schreiben kommen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Österreich. Viel Zeit zur Beantwortung solcher Einwände verwenden wir da nicht. Wenn überhaupt, bekommen sie einen Zweizeiler, dass unser Handeln bei solchen Verstößen rechtmäßig ist", sagt John.
Bad Tölz: Jede Wochen ein Drohschreiben von "Reichsbürgern"
Doch diese Fälle würden zunehmen: "In letzter Zeit bekommen wir sicher jede Woche ein solches Schreiben. Wer davon Trittbrettfahrer oder wirklicher 'Reichsbürger' ist, können wir nicht nachvollziehen. Manche googeln einfach nur und stoßen auf solche Standardschreiben, um Strafzettel zu umgehen. Wir sehen es an den Schreiben, weil oft nur der Name ausgetauscht wird."
Im Raum Rosenheim sei ein harter Kern von "Querdenkern" und "Reichsbürgern" auszumachen. 800 Personen seien es allein in seinem Bereich, sagt Oberbayerns Polizeipräsident Manfred Hauser laut "Oberbayerischem Volksblatt". Im Vergleich seien die Zahlen "sehr hoch". Entsprechend zahlreich seien auch die Einsprüche auf Bußgeldbescheide. Wie auch ein Fall aus Bad Tölz vom Oktober zeigt.
Da ging es nur um 43,50 Euro. Doch mit diesem Bußgeldbescheid war die 31-jährige Frau nicht einverstanden. In ihrem Schreiben an den Zweckverband Kommunales Dienstleitungszentrum Oberland teilte sie mit, dass sie das Bußgeld nur als "Angebot" begreife. Im gleichen Stil verfuhr die 31-Jährige mit einer Vodafone-Rechnung: Deswegen bekam sie einen Kostenbescheid über 230 Euro vom Amtsgericht Wolfratshausen.
Frau erpresst Gerichtsvollzieher in Bayern
Sie hatte zwei Mitarbeiter des Zweckverbands sowie vier Gerichtsbedienstete aufgefordert, ihr eine "amtliche Legitimation in notariell beglaubigter Form" zu übermitteln, wer ihnen diese hoheitliche Handlung übertragen habe. Auch wer die Bediensteten notariell vereidigt habe, wollte sie mit einer Frist von 21 Tagen wissen. Doch das Amtsgericht machte kurzen Prozess. Die Tölzerin wurde wegen versuchter Erpressung in sechs Fällen zu 3.600 Euro Geldstrafe verurteilt, berichtet der "Tölzer Kurier".
Das Gericht kannte solche durchweg im "Reichsbürger"-Jargon gehaltenen Schreiben. Meist geht es darin bei Androhung von Konsequenzen um ein privates Pfandrecht in Höhe von 700.000 Euro zugunsten des Absenders sowie um einen Eintrag in ein "internationales Schuldnerverzeichnis". Dass dies Erpressung sei, sei ihr nicht bewusst gewesen, sagte die Angeklagte zu ihrer Verteidigung. Sie habe alles "abgetippt", was sie an Musterschreiben an die Justiz online gefunden habe.
- Gespräch mit Polizeisprecher Stefan Sonntag
- Gespräch mit Sebastian John vom Zweckverband Bad Tölz,