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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Niederschmetterndes Urteil für Boateng "Irgendwann ist auch mal Schluss"
Niederschmetterndes Urteil für Jérôme Boateng: Bis zuletzt versuchten seine Anwälte das Verfahren auszubremsen, doch irgendwann hatte der Richter genug.
Als Richter Andreas Forstner Saal A 101 des Landgerichts betritt, hofft er noch, den Berufungsprozess gegen den Profifußballer Jérôme Boateng am dritten Prozesstag "schnell zu Ende zu bringen". Doch schon bald wird deutlich: Der Richter hofft vergebens.
Eigentlich war für den Berufungsprozess gegen den ehemaligen Nationalspieler, der seine Exfreundin in einem gemeinsamen Karibikurlaub 2018 geschlagen und beleidigt hatte, nur ein Tag angesetzt. Forstner hatte dem Fußball-Weltmeister gleich zu Beginn eine Einigung vorgeschlagen. Denn der Richter hätte sich selbst und allen Beteiligten "ein umfangreiches und ungutes Verfahren", wie er es nennt, wohl gerne erspart.
In seinem Saal gibt aber keine Seite nach. Der Prozess am Mittwoch geht so weiter, wie er schon am ersten und zweiten Prozesstag aufgehört hatte – mit Wortgefechten zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Und einem Richter, der sichtlich die Geduld verliert.
Intime Details von Boateng und seiner Ex vor Gericht
Forstner hört in diesem "unguten Verfahren" von einer mittlerweile zerbrochenen Beziehung, körperlicher Misshandlung und verbalen Verletzungen. Und er erfährt auch so manches über das Intimleben zweier Menschen, die mal ein Leben und immer noch zwei Töchter teilen.
Was das Verfahren jedoch nicht ist, und das wird der Richter später nochmals bei seiner Urteilsverkündung verkünden: Es ist kein klassischer "er-sagt-sie-sagt"-Fall. Denn für die Taten, die Boateng vorgeworfen werden, gibt es Zeugen. Es steht also nicht Aussage gegen Aussage – wie sonst so oft in vielen Fällen von Gewalt in einer Beziehung.
Seine Ex-Freundin sagt aus, Boateng schweigt
Jérôme Boateng selbst sagt im Laufe des ganzen Tages nur ein einziges Wort. Als der Richter ihn fragt, ob er noch Fragen an die geladenen Rechtsmediziner habe, sagt Boateng: "Nein."
Den Rest des Prozesstages verbringt Boateng schweigend neben seinen Anwälten, meist zurückgelehnt in seinem Stuhl. Manchmal flüstert er seinen Anwälten etwas ins Ohr. Sonst zeigt er kaum eine Regung, auch nicht, als seine Exfreundin wenige Meter entfernt im Zeugenstand sitzt.
Sie sagt ein weiteres Mal als Zeugin aus – nicht weil sie es will, sondern auf Wunsch der Anwälte von Boateng. Dabei sitzt sie neben ihrer Anwältin, wirkt ruhig und beantwortet die Fragen mit fester Stimme.
Nur als die Handyvideos gezeigt werden, die Boatengs Exfreundin leicht bekleidet am Strand zeigen, will sie selbst nicht im Gerichtssaal sein. Ihre Anwältin betont, wie unangenehm es ihrer Mandantin sei, sich so in der Öffentlichkeit zu sehen.
Die Videos sind kurz. Boatengs Ex-Freundin tanzt am Strand, lacht und wirft ausgelassen den Kopf hin und her. Im Hintergrund sieht man, dass die Sonne bereits untergegangen ist. Es ist der letzte Abend des Karibikurlaubs, und der Abend, an dem Boateng seine ehemalige Partnerin beschimpft und geschlagen hat. Richter Forstner wird später sagen, dass der Abend "völlig aus dem Ruder gelaufen" sei.
- Live aus dem Gerichtssaal: Richter scherzt im Boateng-Prozess über dessen Rolle auf dem Spielfeld
Verteidigung bringt Details aus Sorgerechtsstreits ein
Doch daran hat die Verteidigung bis zuletzt Zweifel. Boatengs Anwälte fragen: Kann jemand, der einen Abend zuvor an den Haaren gezogen, von der Couch gezerrt und in die Nieren geschlagen wurde, sich am Tag nach einer solchen Tat so bewegen?
Die Nebenklage sagt eindeutig "Ja". Es sei ein typisches Verhalten von Opfern häuslicher Gewalt, die ihnen angetane Gewalt runterzuspielen, insbesondere vor den eigenen Kindern. Zudem habe ihre Mandantin Schmerzmittel genommen.
Die befragten Rechtsmediziner sagen fast übereinstimmend, dass die im Krankenhaus dokumentierten Verletzungen von Boatengs Exfreundin mit ihren Schilderungen von der Tat Boatengs übereinstimmen würden. Dabei handelt es sich insbesondere um ein blaues Auge, eine Verletzung an der Kopfhaut, die durch einen Biss Boatengs entstanden sein soll, und Schmerzen an der Flanke im Nierenbereich.
Neben der Körperverletzung geht es immer wieder um den Sorgerechtsstreit um die Zwillingstöchter, in dem sich Boateng und seine Exfreundin seit 2015 befinden. Aktuell leben die beiden Töchter bei Boateng in Lyon. Der Vorwurf der Verteidigung: Boatengs Ex habe ihn nur angezeigt, um die Kinder zu sich holen zu können.
Richter wirft Boatengs Verteidigern "Prozessverschleppung" vor
Als der Vorsitzende Richter Forstner nach sechseinhalb zähen Stunden der Verhandlung sichtlich erleichtert die Beweisaufnahme schließen will, unterbricht ihn Boateng-Verteidiger Peter Zuriel ein weiteres Mal – mit neuen Beweisanträgen. Die meisten der Anträge sollen dazu dienen, Boatengs ehemalige Freundin als unglaubwürdige Zeugin zu identifizieren.
Wie den Großteil der Anträge lehnt der Richter auch diese Anträge ab. Die Anträge sind nach Sicht der Kammer zum Zwecke der "Prozessverschleppung" gestellt. "Irgendwann ist dann auch einfach Schluss", sagt der Richter in Richtung der Verteidigung.
Und dann ist auch Schluss: Um 19.05 Uhr verliest Richter Forstner das Urteil gegen Boateng. Eine niederschmetternde Niederlage für den Fußballstar: Laut des Urteils gilt er nun als vorbestraft, wegen zweifacher Körperverletzung.
Nach dem Urteil äußern sich Boatengs Verteidiger nicht mehr. Dafür spricht die Anwältin von Boatengs Ex-Freundin, die in dem Verfahren als Nebenklägerin aufgetreten ist. Sie spricht von einer "guten Entscheidung" und von einem Kampf "David gegen Goliath", den ihre Mandantin gegen den reichen und berühmten Ex-Freund habe kämpfen müssen.
Boateng hat noch die Möglichkeit, das Urteil mit einer Revision zum Bayerischen Obersten Gericht anzufechten, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Richter Forstner sagt dem Angeklagten, er solle sich das gut überlegen. "Irgendwann ist halt auch die Verteidigung mal am Ende", sagte er während des langen Gerichtstages einmal. "Das weiß der Herr Boateng als Verteidiger wahrscheinlich auch ganz gut."
- Reporterin vor Ort
- Mit Informationen der Nachrichtenagentur dpa