Keine Zuschauergarantie München riskiert die Fußball-EM – und das ist auch gut so
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Uefa will von München tausende Zuschauer bei der Fußball-EM erzwingen. Doch der Rathauschef blockt souverän ab. Die Stadt gewinnt damit sehr viel mehr: Vertrauen in der Corona-Krise.
Der Gärtnerplatz ist vielen Münchnern heilig. An lauen Sommerabenden sitzen sie zu Hunderten auf dem bunt bepflanzten Kreisverkehr. Mehr noch. Seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie ist dieser ein Symbol für ein Stück gefühlte Normalität. Bei einem kühlen Hellen aus der Flasche oder einem knallbunten Spritz-Getränk, hier im Szeneviertel, wo zwischen Hipster-Bars und urigen "Boazn" normalerweise bis tief in die Nacht gefeiert wird.
Doch Ende April ist die Inzidenz einmal mehr besorgniserregend hoch, wieder greift ein Alkoholverbot. Und wenn es doch zu viele hierher verschlägt, kommt die Polizei zum Wegzitieren. Manche junge Beamte würden sich mittlerweile entschuldigen, wird sich erzählt, "sie würden ja gerne selber hier sitzen". In dieser bajuwarischen Zerreißprobe reiste jüngst ein mächtiger Fußball-Funktionär nach München: Aleksander Ceferin, Boss der Uefa.
Er wurde bei Ministerpräsident Markus Söder (CSU) vorstellig. Mutmaßlich mit der Bitte, er möge doch bei der Stadt darauf hinwirken, dass bei der paneuropäischen Fußball-EM (11. Juni bis 11. Juli) auch in München tausende Zuschauer zugelassen werden. Am besten so viele wie möglich. Andere Gastgeberstädte ließen schließlich auch mit sich reden. Corona hin oder her. Nur hat Herr Ceferin offenbar nicht mit dem Münchner Stadtfunk gerechnet. Fragen machen die Runde. Eine lautet: "Haben wir keine anderen Sorgen als eine Fußball-EM?"
Freiheitsgefühl über Fußball
Und Ceferin hat offensichtlich seine Rechnung ohne Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gemacht. Der Reiter, "des is' a Hemdsärmeliger, koa Bazi, der schaut nach seine Leit", heißt es nicht umsonst. "Derzeit sind Veranstaltungen mit Zuschauern nicht zulässig. Ob das im Juni der Fall sein wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar", erklärte der Rathauschef t-online in stilsicherem Behörden-Deutsch.
Und erteilte der Forderung der Uefa nach einer verbindlichen Zusage bis Ende der Woche eine überdeutliche Absage. Es kann sein, dass München seine vier EM-Spiele jetzt verliert. Vertrauen in der Bevölkerung haben Reiter und seine Mitentscheider dagegen umso mehr dazu gewonnen. Sie alle sehnen sich nach einem Ende der Pandemie – und nach ihrem Freiheitsgefühl. Dafür kann man auch mal eine Fußball-Europameisterschaft riskieren.