Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Deutschrusse vor Gericht Warum spähte ein Mann aus Franken sensible US-Ziele aus?

Dieter S. soll mehr als nur beobachtet haben: Auch eine Bahnstrecke spielt in der Anklage eine Rolle. Doch das ist nicht alles.
Heinersreuth ist eine kleine Gemeinde bei Bayreuth, ein mit 3.500 Einwohnern beschaulicher Ort. Eigentlich. Doch am 17. April 2024 spielen sich dort Szenen wie aus einem Agentenfilm ab – was wiederum gut zum Anlass des Aufruhrs passt. Mehrere Beamte des Bundeskriminalamts stürmen an diesem Tag eine Wohnung in einem unscheinbaren Mietshaus.
Wenige Minuten später wird ein Mann abgeführt und davongefahren – Dieter S. Gut ein Jahr später ist jener 40-jährige Deutschrusse erneut im festen Griff von zwei Polizisten, die ihn dieses Mal in den Hochsicherheitssaal auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim führen.
Laut Anklage sollten Anschläge in Deutschland vorbereitet werden
Zur rasierten Glatze trägt Dieter S. einen Rauschebart, der bis zur Brust hinabreicht – dazu Jeans und einen blassen Pullover, am Hals baumelt eine Kette mit Kreuz. Der 40-Jährige muss sich vor dem Oberlandesgericht München verantworten, weil er nach den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft in der Ukraine für eine prorussische Einheit gekämpft hat. Obendrein soll Dieter S. auch als Spion für den russischen Geheimdienst tätig gewesen sein – unter anderem mit dem Ziel, Sabotageaktionen und Anschläge in Deutschland vorzubereiten.
Neben ihm sind zwei weitere Deutschrussen angeklagt, beides mutmaßliche Helfer, die anders als die Hauptfigur in diesem Verfahren derzeit auf freiem Fuß sind und den Gerichtssaal daher über den Besuchereingang betreten. Die Bundesanwaltschaft wirft allen drei Männern vor, für einen russischen Geheimdienst gearbeitet zu haben.
Bei Dieter S. kommen außerdem eine Agententätigkeit zu Sabotagezwecken sowie das Verabreden zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und zu einer Brandstiftung hinzu. Und wegen seines Kampfs für die sogenannte Volksrepublik Donezk in der Ostukraine: die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Bei jenem Einsatz in den Jahren 2014 bis 2016 lernte Dieter S. laut Anklage auch einen russischen Geheimdienstmitarbeiter kennen, mit dem er sich ab Herbst 2023 über mögliche Sabotageaktionen in Deutschland ausgetauscht haben soll.
Fotos und Videos von US-Armee in Grafenwöhr
Demnach spähte der 40-Jährige unter anderem Einrichtungen der US-Armee in Grafenwöhr in der Oberpfalz aus, aber auch eine Ölraffinerie und den Standort eines Werkzeugherstellers, der Munition produziert. Neben Informationen soll Dieter S. dem russischen Geheimdienst Fotos und Videos geliefert haben, die wiederum teilweise von seinen zwei Komplizen stammen. Das Auffliegen der drei mutmaßlichen Spione schlug seinerzeit in Deutschland hohe Wellen; die damalige Außenministerin Annalena Baerbock bestellte gar den russischen Botschafter ein.
Seither sind noch weitere Fälle von sogenannten "Wegwerf-Agenten" bekannt geworden. Gemeint sind damit nicht ausgebildete Spione, die der russische Geheimdienst anwirbt, damit sie Sabotageakte in Deutschland und anderen europäischen Ländern verüben. Der Vorteil dieser Methode ist zum einen, dass derlei Agenten nur wenig Geld kosten. Zum anderen kann Russland jegliche Beteiligung an von ihnen verübten Aktionen dementieren – auch weil der Kontakt meist über Mittelsmänner verläuft.
Informationen über einen Zug zwischen Nürnberg und Regensburg
Dieter S. soll unter anderem Informationen für einen möglichen Anschlag auf einen Zug entlang der Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Regensburg gesammelt haben. Zudem habe er "seine Bereitschaft zur Durchführung einer solchen Aktion" erklärt, heißt es in der Anklageschrift. Deren Verlesung im Gerichtssaal verfolgt Dieter S. regungs-, fast teilnahmslos. Mal flüstert er mit seinem Verteidiger, mal sinkt er tief in seinen Stuhl, mal lässt er seinen Blick gelangweilt durch den Zuschauerraum schweifen.
In der Folge lassen alle drei Angeklagten über ihre Verteidiger erklären, dass sie den Vorwurf der Spionagetätigkeit zurückweisen. Dieter S. sei rein aus privaten Gründen in der Ostukraine gewesen, sagt sein Anwalt. Dort habe er sich weder einer Miliz angeschlossen noch gekämpft. Zurück in Deutschland sei ihm aufgefallen, dass er offenbar aufgrund einiger Facebook-Posts zum Krieg in der Ukraine vom deutschen Nachrichtendienst beobachtet wurde.
Da er zu jener Zeit hoch verschuldet gewesen sei, habe er daraus Profit schlagen wollen, sagt sein Verteidiger. "Er wollte ein bisschen schauspielern und einen auf Spion machen und sich auf diese Art und Weise den deutschen Sicherheitsbehörden als V-Mann anbieten." An diesem Freitag wird der Prozess fortgesetzt. Anschließend sind weitere 42 Verhandlungstermine anberaumt. Ein Urteil könnte demnach kurz vor Weihnachten fallen.
- Reporter im Gericht