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München

Megamarsch: 100 Kilometer in 24 Stunden wandern – so hart ist es


Megamarsch im Selbstversuch
100 Kilometer in 24 Stunden wandern – so hart ist es wirklich


22.05.2025 - 14:50 UhrLesedauer: 9 Min.
Endlich angekommen: Redakteur Sven Sartison im Ziel des Megamarschs von München nach Garmisch-Partenkirchen.Vergrößern des Bildes
Endlich angekommen: t-online-Redakteur Sven Sartison im Ziel des Megamarschs von München nach Garmisch-Partenkirchen. (Quelle: Lisa Deininger)
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Verschiedene Veranstalter machen Wandern zum Extrem-Event. Auch ab München gibt es einen 100 Kilometer langen Marsch. Eine brutale Herausforderung für Körper und Geist.

Extrem-Wandern liegt voll im Trend. Anders lassen sich die Tausenden Teilnehmer, die Veranstalter wie "Megamarsch" und "Mammutmarsch" mit ihren Events anziehen, wohl kaum erklären. Das Rad neu erfunden haben beide dabei freilich nicht. Die Schuhe an, den Rucksack auf und raus in die Natur – das machen die Menschen schließlich schon gefühlt seit Anbeginn der Zeit als Freizeitbeschäftigung.

Es ist vielmehr die Art, wie die Veranstalter das Wandern verpacken. Nämlich als extremes Event, eine Challenge, bei der man im wahrsten Sinne des Wortes über seine Grenzen hinausgehen muss. "Megamarsch" zum Beispiel bietet zwei unterschiedliche Distanzen an. So gibt es Wanderungen über 50 Kilometer mit einem Zeitlimit von 12 Stunden oder über 100 Kilometer in 24 Stunden. Insgesamt 23 Märsche umfasst der Veranstaltungskalender allein 2025.

Die nächste Herausforderung muss her

Bei einem von diesem bin ich in diesem Jahr dabei: 100 Kilometer von München nach Garmisch-Partenkirchen. Was mich antreibt? Vermutlich meine "Quarterlife Crisis". Drei Marathons bin ich gelaufen, habe die Zugspitze bestiegen und mit dem Eisbaden begonnen. Nun muss die nächste Herausforderung her. Ich will es mir selbst beweisen und vor allem wissen: Wie hart ist es wirklich?

Und so stehe ich nun am Samstagmittag am Vollmarpark im Stadtteil Harlaching und warte gemeinsam mit meinem Vater darauf, dass es losgeht. Der muss mit, weil der Kumpel, mit dem ich eigentlich wandern wollte, verletzungsbedingt ausgefallen ist. So richtig begeistert ist er zwar nicht, doch wie wichtig ein Begleiter ist, werden wir beide in den kommenden 24 Stunden noch merken. Gestartet wird in mehreren Gruppen im Abstand von jeweils 15 Minuten. Um 12.50 Uhr machen wir uns schließlich auf den Weg.

Als der Startschuss fällt, klatschen mein Vater und ich uns ab, winken noch meiner Freundin zu und marschieren los. Die Strecke führt uns zunächst durch den Perlacher Forst in Richtung der Großhesseloher Brücke. Unterwegs weisen Markierungen den Weg, außerdem konnte man sich die Tour vorab aufs Smartphone herunterladen. Die Stimmung und das Wetter sind gut, die Sonne scheint, es ist angenehm warm. All das wird sich im weiteren Verlauf noch ändern. Doch das wissen wir in diesem Moment noch nicht.

Erste Zweifel machen sich breit

Nachdem wir die Großhesseloher Brücke überquert haben, führt uns die Route immer entlang der Isar. Vorbei an Pullach und Baierbrunn bis zum Kloster Schäftlarn. Eine schöne Strecke durch die Natur, fernab des Trubels der Großstadt. Um uns herum unzählige andere Teilnehmer, wie viele es genau sind – unklar. Insgesamt sind aber sicher mehrere Tausend dabei. Es hat schon etwas von einer kleinen Völkerwanderung.

Unterteilt ist die Strecke in mehrere Etappen. Unser erstes Ziel: die Verpflegungsstation bei Kilometer 23 in Icking im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Auf dem Weg dorthin fällt uns ein Teilnehmer auf, der in Flip Flops unterwegs ist. Beim genauen Blick auf seine Füße wird auch klar warum – eine dicke Blase ziert seine Ferse, sein richtiges Paar Schuhe baumelt an seinem Rucksack.

Ein Anblick, der in meinen Kopf erste Zweifel und Sorgen auslöst. Habe ich die richtigen Schuhe an? Was ist, wenn ich mir eine solche Blase laufe? Denn eines steht fest: Ich tue mir das alles nicht an, um "nur" dabei zu sein. Ich will auch ankommen. "Wenn wir es ins Ziel schaffen, ist alles gut und das Thema abgehakt", sage ich zu meinem Vater: "Wenn wir es aber nicht schaffen, müssen wir nächstes Jahr noch mal ran." Große Freude scheint der Gedanke in ihm nicht auszulösen.

Am Starnberger See entlang der Nacht entgegen

Nach knapp fünf Stunden erreichen wir schließlich die erste von vier Verpflegungsstationen. Es gibt Käsebrote, Waffeln, Riegel, Obst, Brühe, Säfte und Wasser. Wir stärken uns etwas und versorgen unsere Füße. An meinen Fersen zeichnen sich bereits erste Druckstellen ab, doch der Laune und Motivation tut das keinen Abbruch. Um auf Nummer sicher zu gehen, klebe ich aber Blasenpflaster auf die Stellen. Dann geht es auch schon weiter.

Arg weit kommen wir zunächst aber nicht. Schon nach kurzer Zeit wird es grau am Himmel, Regen deutet sich an. Also schlüpfen wir in unsere Regensachen und ziehen die Schutzhüllen über unsere Rücksäcke. Eine weise Entscheidung. Denn kurz darauf fängt es mitten auf einem freien Feld an, wie aus Eimern zu schütten. Zwar hört es schon nach wenigen Minuten wieder auf. Doch das war nur ein kleiner Vorbote für das, was später noch kommen soll.

Unser Weg führt uns weiter Richtung Starnberger See. Dort erwartet uns nach 42 Kilometern der zweite Stopp an einem Campingplatz. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg, immer entlang des Seeufers und der Nacht entgegen. "Ich denke, bis Kilometer 60 wird es ganz gut gehen", sage ich zu meinem Vater. "Am schwierigsten dürfte der Abschnitt bis Kilometer 80 werden. Danach haben wir ja schon das Ziel vor Augen", sage ich. Ein Trugschluss.

Der Gedanke ans Ziel lässt mich durchhalten

Nach rund neun Stunden erreichen wir den zweiten Versorgungspunkt. Es ist mittlerweile dunkel und wir sind zunehmend erschöpft. Und dann beginnt es auch noch zu schütten. Der Regen wird die nächsten fünf Stunden anhalten. Unter einem Pavillon machen wir uns fertig für die Nacht, ziehen warme Kleidung an und holen unsere Stirnlampen heraus. Mit etwas Kuchen und Keksen im Magen und aufgefüllten Wasserflaschen nehmen wir die nächste Etappe in Angriff.

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Inzwischen ist es 23 Uhr und meine Motivation lässt zusehends nach. Es ist nass, ich bin müde und meine Waden, Oberschenkel und Fußsohlen schmerzen immer mehr. Zudem habe ich mir eine Blase gelaufen und in mir machen sich weitere Zweifel breit: Warum tue ich mir das eigentlich an, wenn ich jetzt doch genauso gut zu Hause in meinem warmen Bett liegen könne? Und: Schaffe ich das wirklich?

In diesem Moment versuche ich mir den Moment vorzustellen, in dem ich ins Ziel einlaufe. Wie ich juble und meine Finisher-Medaille entgegennehme. Was das für ein Gefühl sein wird. Also laufe ich weiter, Schritt für Schritt gegen den Schmerz in meinen Beinen. Ich versuche, nicht mehr auf meine Laufuhr zu schauen. Das würde mich zu sehr demotivieren, denn im Moment fühlen sich Minuten wie Stunden und Meter wie Kilometer an.

Ich bin am Ende – doch aufgeben ist keine Option

Meinem Vater, 30 Jahre älter als ich, geht es deutlich besser. "Du hast es so gewollt. Denk an den Spruch auf deinem T-Shirt", sagt er zu mir. "Laufen, auch wenn es weh tut" steht darauf. Also mache ich genau das. Ich denke an unser Motto und laufe weiter. Bis wir laut meiner Uhr 57 Kilometer zurückgelegt haben – dann geht es einfach nicht mehr. Irgendwo in einem Wald – wo genau wir gerade sind, weiß ich nicht – setze ich mich auf einen Stapel Baumstämme. Ich bin am Ende.

Da schickt mir eine Freundin eine Nachricht: "Let's go, ihr schafft das." Meine Antwort: "Ich sterbe." Natürlich ist das sehr übertrieben, doch gerade wünsche ich mir nichts mehr, als einfach hier an Ort und Stelle sitzen zu bleiben und keinen Schritt mehr weitergehen zu müssen. Nach ein paar Minuten reiße ich mich zusammen und stehe wieder auf. Denn Aufgeben kommt nicht infrage.

Sofort wird mir schlecht, mein Kreislauf macht kurz schlapp. Ich schließe die Augen und atme tief durch. Meine linke Wade ist mittlerweile ein einziger Krampf, meine Fußballen schmerzen, genau wie meine Knie, Schienbeine, Oberschenkel und Hüften. Auch mein Nacken sowie meine Schultern sind vom Tragen des Rucksacks total verspannt. In dieser Situation schießt mir ein Gedanke in den Kopf: "Schmerz vergeht, Erfolg bleibt." Ziemlich plakativ, doch es hilft.

Auf den größten Tiefpunkt folgt ein Hoch

Gegen kurz nach drei Uhr kommen wir schließlich am dritten Verpflegungsstopp an. Elf weitere Kilometer habe ich mich bis dahin geschleppt. Dieser ist zum Glück nicht im Freien, sondern in der Halle einer Firma. Drinnen ist es warm, aber auch brechend voll. Ich setze mich auf den Boden und lehne mich mit dem Rücken an einen Pfosten. Physisch bin ich zwar zu diesem Zeitpunkt anwesend, doch was um mich herum passiert, nehme ich nur entfernt wahr.

Wie in Trance ziehe ich meine Schuhe aus, trockne die nassen Füße und reibe mir die schmerzenden Sohlen mit Creme ein. Auf die Waden und Oberschenkel kommt ein kühlendes Gel. Neben mir legt sich ein Mann auf den Boden und schläft. Ich blicke in viele müde und völlig erschöpfte Gesichter. Wer nicht mehr kann, hat die Möglichkeit, sich mit einem Shuttle entweder ins Ziel nach Garmisch-Partenkirchen oder zurück nach München fahren zu lassen. Manch einer nimmt das Angebot dankend an. Für mich ist es keine Option, dafür ist mein Ehrgeiz zu groß.

Mein Vater kommt mit etwas zu Essen und einer Flasche Cola zu mir. Ich trinke einen halben Liter und nehme eine Schmerztablette. Gesund ist das nicht, aber anders geht es nicht. Und tatsächlich – beides zeigt Wirkung. Als wir die Halle verlassen, fühle ich mich wie ausgewechselt. "Jetzt bin ich mir sicher, dass wir es ins Ziel schaffen", sage ich zu meinem Vater. Der antwortet nicht, doch sein Blick lässt leichte Zweifel erahnen.

Mein ganzer Körper ist ein einziger Schmerz

Während die Sonne langsam aufgeht und es endlich wieder hell wird, laufen wir entlang des Ufers am Riegsee. Inzwischen haben wir zumindest schon den Landkreis Garmisch-Partenkirchen erreicht. Und doch ist es noch immer ein weiter Weg. Bei Kilometer 70 – laut meiner Uhr sind wir sogar schon 77 Kilometer gelaufen – treffen wir einen jungen Mann aus Hannover. Er begleitet uns die nächsten drei Kilometer, erzählt, dass er erst in der Vorwoche in seiner Heimatstadt die 50 Kilometer in 12 Stunden gewandert ist. Für ihn keine große Herausforderung, sagt er.

Kurz vor der letzten Verpflegungsstelle bei Kilometer 80 beschließen wir, diese auszulassen. Denn um zu dieser zu gelangen, ist ein kleiner Umweg von zwei bis drei Kilometern nötig. Und wir wollen uns jeden Meter sparen. Auch mein Vater hat mittlerweile zu kämpfen, das sieht man ihm bei jedem Schritt an. So machen wir auf einer kleinen Bank am Wegesrand nur einen kurzen Stopp. Etwas trinken, die Füße pflegen. An der Fußsohle entdecke ich eine große Blase. Den Schmerz habe ich kaum wahrgenommen, denn mir tut einfach alles weh.

Während wir auf der Bank sitzen, kommt ein älterer Mann zu uns, fragt, ob er sich setzen darf. Wir kommen ins Gespräch, erzählen, dass wir zum ersten Mal dabei sind. "Und es wird auch das letzte Mal sein", sagt mein Vater. Das würde er sich auch jedes Mal denken, entgegnet der Mann – mittlerweile sei das schon sein neunter Megamarsch.

Quälende letzte 20 Kilometer

Die letzte Etappe ist dann eine einzige Tortur. Entlang der Loisach geht es über Ohlstadt, Eschenlohe, Oberau und Farchant Richtung Garmisch-Partenkirchen. Nun ist es nicht mehr mein Vater, der mich motiviert, sondern andersherum. Denn so quälend jeder Schritt auch ist, ich möchte unbedingt das Ziel erreichen: in unter 24 Stunden anzukommen. Dafür dürfen wir unser Tempo nicht verlangsamen.

Auf den Weg haben die Veranstalter nun vermehrt motivierende Sprüche gesprüht. "Nur noch 20 Kilometer" steht da, oder "Wir sehen uns schon bald im Ziel" und "Aufgeben? Keine Option!". Stimmt. Also ziehen wir weiter durch. Nach 22 Stunden und 55 Minuten zeigt meine Uhr 100 Kilometer an. Irgendwo im Nirgendwo. Zwar hatten die Veranstalter schon vorab angekündigt, dass die Strecke dieses Mal rund 102 Kilometer lang ist, doch wie weit es wirklich noch ist, scheint niemand um uns herum so genau zu wissen.

So wandern wir noch fast eine Stunde weiter, bis wir endlich in Garmisch-Partenkirchen sind. Durch die historische Ludwigstraße, die Fußgängerzone des Ortsteils Partenkirchen, geht es auf das Olympia-Skistadion zu. Dort, am Fuß der Skisprungschanze, ist das Ziel. Mit Blick auf die Uhr, die sich immer mehr den 24 Stunden nähert, geben wir noch einmal Gas und holen die letzten Reserven aus uns heraus.

Die Challenge meines Lebens

Und dann, nach 23 Stunden und 56 Minuten und 105 zurückgelegten Kilometern laufen wir unter dem Jubel meiner Freundin und der anderen Zuschauer im Ziel ein. Völlig fertig, gezeichnet von der körperlichen Anstrengung, nehmen wir unsere Medaillen und Urkunden entgegen. Der Moment, den ich mir unterwegs immer wieder vor Augen geführt habe, er ist nun Realität.

Ich falle meiner Freundin in die Arme, muss eine Träne verdrücken. Vor Stolz und in dem Wissen, dass all die Strapazen, die ich freiwillig auf mich genommen habe, nun vorbei sind. "Einmal und nie wieder", sage ich zu ihr und meinem Vater, ohne den ich wohl nicht bis hierhin durchgehalten hätte. Die Veranstalter des Megamarschs werben mit der "Challenge deines Lebens". Damit haben sie ganz sicher nicht zu viel versprochen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Erfahrung
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