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Obdachlosenhilfe München: "Auf der Straße gibt es keine Freundschaften"


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Obdachlosenhilfe in München
"Auf der Straße gibt es keine Freundschaften"


22.12.2024 - 07:00 UhrLesedauer: 5 Min.
Mit der "Aktion Brücke" möchte Initiatorin Anja Sauer bedürftigen Menschen in München helfen und die Bevölkerung im Umgang mit ihnen sensibilisieren.Vergrößern des Bildes
Mit der "Aktion Brücke" möchte Initiatorin Anja Sauer bedürftigen Menschen in München helfen und die Bevölkerung im Umgang mit ihnen sensibilisieren. (Quelle: Carla Gospodarek)
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Ein Herz für die Heimatlosen – Anja Sauer und ihre Organisation "Aktion Brücke" kämpfen in München für die Obdachlosen. Sie wollen helfen – und aufklären.

München. Die bayerische Landeshauptstadt ist bekannt für Wohlstand, Lebensqualität – und ihre enorm hohen Lebenshaltungskosten. Abseits der Schickeria-Szene und der prunkvollen Fassaden kämpfen viele Menschen aber ums Überleben. Besonders im Winter wird die Kälte für obdachlose Frauen und Männer zur lebensbedrohlichen Gefahr. Schlafplätze fehlen, Hilfsangebote stoßen an ihre Grenzen, und die Zahl der Menschen ohne festen Wohnsitz steigt seit Jahren. Mittlerweile liegt sie laut offiziellen Angaben bei 550 – die Dunkelziffer soll weit höher sein.

Wie kann diesen Menschen geholfen werden, wenn staatliche Strukturen nicht ausreichen? Hier setzt der Münchner Verein "Aktion Brücke e.V." an. Anja Sauer hat das Hilfsprojekt für Obdachlose vor rund vier Jahren ins Leben gerufen. Die Organisation liefert mit rund 120 Helfern an vielen Standorten in der Stadt nicht nur wöchentlich warme Mahlzeiten aus, sondern verteilt auch warme Kleidung, Decken und Camping-Ausrüstung an Obdachlose.

Im Interview mit t-online erzählt Anja Sauer schonungslos vom Leben auf Münchens Straßen, von Kriminalität, Anfeindungen – und größer Not.

Frau Sauer, es ist Winter. Haben Sie selbst schon einmal eine Nacht auf der Straße verbracht?

Nein, habe ich noch nicht. Ich habe zuletzt öfter mit dem Gedanken gespielt, es mal auszuprobieren, um besser nachempfinden zu können, was Obdachlose erleben. Aber ich habe mich dagegen entschieden.

Warum?

Weil ich es vermutlich nicht aushalten würde.

Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Obdachlosen derzeit im Stadtgebiet?

Wir betreuen jede Woche 550 Obdachlose, das ist auch die offizielle Zahl. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer etwa doppelt so hoch liegt.

Welchen Gefahren sind diese Menschen in München ausgesetzt?

Zum einen leiden viele Obdachlose an Hunger, außerdem kommt es untereinander zu Streitigkeiten, und es gibt Kriminalität. Zum anderen sind da die Witterungsbedingungen. Vor allem jetzt im Winter wird es nachts bitterkalt. Weil die Menschen das zum Teil ohne Winterkleidung oder warme Decken monatelang ertragen müssen, kommt es auch immer wieder zu Kältetoten.

Aber es gibt doch Angebote für Obdachlose wie den Kälteschutz, wo sie Zuflucht in der Nacht finden können.

Ja, gibt es. Früher befand sich der Kälteschutz in der alten Bayernkaserne. Von vielen hörten wir damals, dass die Zustände dort unzumutbar wären. Meine Kollegin Frau Aichinger und ich haben uns die Notschlafstelle nach den vielen Beschwerden der Obdachlosen selbst angesehen: Zwölf-Bett-Zimmer, keine Privatsphäre, nicht ausreichend Spinde für Wertsachen, Sammelduschen, kalte, lieblose Wände und auch die Behandlung der Obdachlosen seitens des Wachschutzes fand nicht immer auf Augenhöhe statt. Inzwischen ist ein neues Gebäude in der Lotte-Brandt-Straße gebaut worden. Da waren wir allerdings noch nicht, aber es soll dort wohl besser sein.

Wenn es diese Unterkunft gibt, warum schlafen so viele Obdachlose trotzdem auf der Straße und riskieren insbesondere im Winter den Kältetod?

Vielen Menschen ist die Sammelstelle zu bürokratisch oder zu teuer. Ein Schlafplatz kostet dort sieben Euro – das ist eine Menge Geld für einen Obdachlosen. Selbst wenn sie diese Summe aufbringen können, müssen sie vor Ort ein bis zwei Stunden anstehen, bis sie ein Bett zugewiesen bekommen. Morgens muss die Unterkunft zwischen sieben und acht wieder geräumt werden. Haustiere sind verboten. Viele Obdachlose entscheiden sich deshalb lieber dafür, auf der Straße zu schlafen. Das ist kostenlos und weniger kompliziert. Aber dafür auch gefährlicher.

Zuletzt wurde vor dem Münchner Landgericht ein Fall verhandelt, bei dem ein Obdachloser einen anderen erst ausgeraubt und dann angezündet hat. Ist das ein Einzelfall?

Auf der Straße gibt es keine Freundschaften. Es gibt Zweckgemeinschaften, aber auch hier muss sich jeder der Nächste sein. Einen so schrecklichen Fall wie diesen gab es bislang zwar noch nicht, aber zwischen den Obdachlosen herrschte schon immer viel Gewalt. Und es wird viel gestohlen, der Ton untereinander ist rau. Allerdings ist auch der Umgang der Münchner Bevölkerung mit den Menschen von der Straße nicht immer respektvoll. Im Gegenteil.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Es gab einmal ein paar Jugendliche, die sich einen Spaß daraus gemacht haben, einem Obdachlosen im Schlaf die Haare abzuschneiden und ihn danach anzupinkeln. Aber auch im Alltag häufen sich Beleidigungen und Anfeindungen. Zuletzt gab es einen Zwischenfall während einer unserer Essensausgaben. Ein Anwohner öffnete sein Fenster und brüllte heraus: "Na, füttert ihr die Ratten von der Straße?" Das war erschreckend. Zum Glück gibt es aber auch Münchner, die den Obdachlosen mit Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnen.

Ein Vorurteil, das viele Menschen gegenüber Wohnungslosen haben, lautet: Selbst schuld. Was denken Sie darüber?

Das finde ich schwierig. Natürlich gibt es Systemaussteiger, die sich aus freien Stücken dazu entscheiden, dauerhaft auf der Straße oder in der Natur leben zu wollen. Aber das sind vielleicht 0,1 Prozent. Alle anderen Obdachlosen stecken in einem Teufelskreis fest, der auch auf unsere Bürokratie zurückzuführen ist. Hast du keinen Ausweis, kannst du kein Konto eröffnen. Ohne Konto und Ausweis bekommst du keinen Job. Hast du keinen Job, findest du keine Wohnung. Zu diesen Hürden kommt dann oft noch eine Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Je länger du in dieser Spirale feststeckst, desto schwieriger ist es, da wieder herauszukommen.

München ist bekannt für seine hohen Mietpreise und den angespannten Wohnungsmarkt. Wie wirkt sich das zusätzlich auf die Situation von Obdachlosen aus?

Das macht alles noch schlimmer. Denken Sie nur mal an die gängigen Sammeltermine für eine Wohnungsbesichtigung, wenn in einer Schlange 30, 40 Menschen anstehen. Da stellt sich kein Obdach- oder Wohnungsloser an, weil er genau weiß, dass er keine Chance hat. Diese Schmach tut sich keiner freiwillig an.

Was kann die Münchner Bevölkerung tun, um obdachlosen Menschen zu helfen?

Mit ihnen ins Gespräch kommen. Nicht aufdringlich sein, sondern respektvoll mit ihnen umgehen. Viele haben ganz tolle Persönlichkeiten und freuen sich einfach, wenn da jemand ist, der sie wahrnimmt und ihnen zuhört. Am besten ist es immer zuerst zu fragen, was er oder sie gerade braucht. Ein nettes Gespräch, etwas zu Essen oder doch lieber ein wenig Kleingeld – das wird Ihnen der Mensch schon sagen. Wie viel Geld Sie geben, ist Ihre Entscheidung. Was Ihr Gegenüber dann mit dem Geld macht, seine.

Wie kann man Ihre Organisation konkret unterstützen?

Wir freuen uns sowohl über Sach- und Geldspenden als auch über ehrenamtliche Hilfe. Gerade im Winter brauchen wir alle helfenden Hände, die wir bekommen können. Für die Arbeit im Spendenlager, aber auch für die Essensausgabe vor Ort. Wer Jacken, Schuhe oder Schlafsäcke spenden möchte, ist gern gesehen. Das benötigen unsere Obdachlosen im Moment am dringendsten.

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Was muss sich in der Politik ändern, damit sich die Situation für die Münchner Obdachlosen verbessert?

Da liegt ein langer Weg vor uns. Obdachlosigkeit zur Gänze ausmerzen, das wird meiner Meinung nach nie funktionieren. Aber man könnte zumindest in kleinen Schritten anfangen, etwas zu tun. In München haben wir zum Beispiel viele Gewerbeflächen, die leer stehen. Das wäre sicherlich eine Möglichkeit, mehr sichere Schlafplätze für die Menschen zu schaffen. Ich würde mir wünschen, dass die Stadt nicht nur nobles Image als "Zuhause der Schönen und Reichen" pflegt. Denn in dieser Stadt wohnen auch Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben. Und um die muss sich in Zukunft besser gekümmert werden.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Anja Sauer
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