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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Organisation ist das Wichtigste" Mit einem Paketboten auf Tour im Weihnachtswahnsinn
In der Vorweihnachtszeit haben Paketboten die meiste Arbeit. Das ist auch für Miroslav Prodanović so. Stressen lässt er sich davon aber nicht. t-online hat ihn einen Tag lang begleitet.
Rein optisch hat Miroslav Prodanović mit dem Weihnachtsmann nichts gemeinsam. Weder trägt er einen langen weißen Bart noch eine rote Robe. Auch ist er nicht mit einem von Rentieren gezogenen Schlitten, sondern einem gelben, von einem Dieselmotor angetriebenen Lieferwagen unterwegs.
In dem, was er tut, unterscheidet sich Prodanović hingegen kaum von der fiktiven Figur des Weihnachtsmanns. Denn er sorgt dafür, dass pünktlich zu Heiligabend alle Geschenke unter dem Tannenbaum liegen und die Kinderaugen funkeln. Den Dank der Jüngsten heimst in der Regel dennoch der alte Mann vom Nordpol ein. Den Stress wiederum haben Prodanović und seine Kollegen von der DHL und anderen Logistikunternehmen.
Wobei: Wirklich gestresst wirkt der 57-Jährige, den alle nur Miro rufen, nicht. Ganz im Gegenteil. Völlig entspannt steht er frühmorgens im DHL-Paketzentrum in Aschheim vor den Toren von München. Um 6.30 Uhr beginnt dort sein Arbeitstag. Miro ist allerdings gerne immer schon ein paar Minuten früher da. "Ich will erst einmal ankommen, Kaffee trinken, quatschen", sagt er.
Black Friday und Cyber Week führen zu Pakete-Rekord
Anschließend beginnt er damit, sein Zustellfahrzeug zu beladen. 170 Pakete hat er an diesem Tag auszuliefern. In der Vorweihnachtszeit ist das wenig. Eine Woche zuvor waren es täglich zwischen 250 und 300. Black Friday und Cyber Week sei Dank. Bis zu 40 Prozent mehr Pakete als beispielsweise während der Sommerferien habe er rund um Weihnachten, erzählt Miro.
Rekordtag war dabei der 2. Dezember, an dem die DHL laut eigenen Angaben erstmals über zwölf Millionen Pakete innerhalb von 24 Stunden in ihrem deutschen Paket- und Postnetz sortierte. Anschließend flachten die Zahlen wieder ab, bevor kurz vor Weihnachten noch einmal eine große Welle auf die Zusteller zurollt.
Der schlimmste Tag dürfte der 20. Dezember werden. Also der Freitag vor Heiligabend, prognostiziert Miro. Dann müssen die ganzen Pakete der Last-Minute-Shopper ausgefahren werden. "Da haben wir richtig viel zu tun", erklärt er. Vor allem für die Kollegen, die in der Innenstadt unterwegs sind, werde es dann noch einmal besonders stressig. "Aber da müssen wir durch. Wichtig ist es, immer einen kühlen Kopf zu bewahren."
28 Jahre Berufserfahrung in Washington, D.C. und München
Rund eine Stunde nach seinem Dienstbeginn steigt Miro schließlich in sein Zustellfahrzeug. Unterwegs ist er in Zamdorf im Osten Münchens. Eine ruhige Gegend, was für einen Paketboten dankbar ist. Das kennt Miro auch anders. Seit mittlerweile 13 Jahren fährt der gebürtige Bosnier für die DHL in München, zuvor lieferte er 15 Jahre für FedEx in Washington, D.C. aus. Ein weltengroßer Unterschied. "Dort war immer Stau", erzählt er.
Ein Problem, das auch die Münchner kennen. Aber dennoch kein Vergleich zur Situation in der Hauptstadt der USA. Dorthin war er vor 28 Jahren aus Berlin ausgewandert. Ein Jobangebot seiner Frau, die als Krankenschwester in Bogenhausen arbeitet, führte ihn schließlich zurück nach Deutschland und nach München.
22 Straßen umfasst das Gebiet, das Miro in Zamdorf beliefert. Nach welcher Reihenfolge er dabei vorgeht, ist ihm überlassen. "Da bin ich mein eigener Chef", sagt er lachend. Sobald er mehrere Adressen gut zu Fuß erreichen kann, lässt er sein Fahrzeug immer wieder stehen. Hinten in seinem Laderaum holt er sich dann die nächsten Pakete und stapelt sie auf einer Sackkarre.
Lange suchen muss er dabei trotz der 170 Pakete nicht. Diese hat er schon beim Beladen nach seinem eigenen System vorsortiert. "Organisation ist das Wichtigste", erklärt er. "Ich weiß immer, wo welches Paket ist." Das spart beim Ausliefern wichtige Zeit. 38,5 Stunden beträgt die Wochenarbeitszeit gemäß Tarifvertrag. Maximal eine Stunde darf Miro pro Tag über das im Dienstplan festgehaltene Ende hinaus arbeiten. Danach muss er seine Tour abbrechen.
Zustellerjob kommt Sportprogramm gleich
Mit der beladenen Sackkarre geht es schließlich von Haus zu Haus. Zwischen 12 und 14 Kilometer legt Miro so pro Tag zurück. In anderen Zustellbezirken können es auch schon mal 18 bis 20 Kilometer werden. Und das bei jedem Wetter – egal ob Regen, Sonne oder Schnee. Hinzu kommen die unzähligen Treppenstufen und Stockwerke, die er tagtäglich hoch- und wieder hinuntergehen muss. Ein Knochenjob. "Da braucht man nach Feierabend keinen Sport mehr", witzelt er.
Das Spiel beim Zustellen ist dabei stets dasselbe. Klingeln, warten und hoffen, dass die Tür aufgeht. Geschieht das nicht, muss Miro bei einem Nachbarn fragen, ob dieser das Paket entgegennehmen kann. Ansonsten muss er es wieder mitnehmen und zu einem Paketshop bringen, wo es der Besteller dann abholen kann. Einfach vor die Haustüre legen, geht dagegen nicht. Es sei denn, der Kunde hat eine Abstellgenehmigung erteilt.
Das ist Miro eigentlich am liebsten. "Es ist besser für mich und besser für die Leute, die auf ihr Paket warten." An einer Wohnung dauert es heute etwas länger. Weil das Paket nur von Personen über 18 Jahren entgegengenommen werden darf, kann Miro es auch nicht einfach ablegen. Dann geht doch noch die Tür auf. "Entschuldigung, ich musste mir erst noch eine Hose anziehen", sagt der Empfänger.
Ein einfaches "Danke" reicht oftmals schon
Eine kuriose Situation, die für einen kurzen Schmunzler sorgt, aber schnell abgehakt ist. Miro muss weiter, 170 Pakete liefern sich schließlich nicht von allein aus. Hetzen lässt er sich dabei aber nie. Überhaupt wirkt der 57-Jährige, als könne ihn so schnell nichts aus der Ruhe bringen. Für ein, zwei nette Wort hat er immer Zeit. "Ich liebe meinen Job wegen des Kontakts mit den Kunden", sagt er. Und die Kunden lieben ihn für seine freundliche Art.
"Er ist der Beste von allen", schwärmt die Mitarbeiterin einer Naturheilpraxis, der er heute zwei Pakete vorbeibringt. Andere wiederum bedanken sich mit Trinkgeld oder mit Plätzchen. In der Weihnachtszeit sei die Bereitschaft höher, etwas zu geben, erklärt Miro. Wobei er darauf nicht aus sei. "Wenn die Leute 'Danke' sagen, reicht das schon."
Und wer bringt bei ihm zu Hause die Weihnachtsgeschenke? Natürlich nicht der Weihnachtsmann. Aus diesem Alter sind seine drei Kinder längst heraus. Stattdessen setzt auch er auf die Dienste seiner Kollegen. Die heimlichen Weihnachtsmänner und -frauen. "Ich bestelle auch viel im Internet", gesteht er.
- Reporter vor Ort