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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Protest gegen Flüchtlingsheim "Es geht nicht gegen die Flüchtlinge, sondern gegen den Standort"
Ein geplantes Flüchtlingsheim im Nordwesten Münchens sorgt für Unruhe. Die Bewohner der wollen den Bau mit allen Mitteln verhindern.
Zwei S-Bahn-Fahrten und eine Busfahrt später ist man nach rund einer Stunde von Münchens Mitte aus in Feldmoching-Hasenbergl angekommen. Hier, genauer gesagt im Stadtteil Ludwigsfeld im Nordwesten von München, hat sich am Mittwochvormittag eine Menschenmenge versammelt. Rund 50 Bürgerinnen und Bürger sind zusammengekommen, um eine klare Position zu dem Flüchtlingsheim zu beziehen, das auf dem Feld hinter ihnen gebaut werden soll.
"Keine Infrastruktur! Keine Inklusion!" oder "Ärzte und Schulen haben keine Kapazitäten" steht auf Schildern geschrieben, die an einem Zaun hängen, der den Gehweg von der dahinterliegenden Grünfläche abgrenzt. Links daneben hängen zwei Tafeln mit einem Gutachten der Stadt München. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung hat hier aufgeführt, dass die Fläche durch die nahegelegene Autobahn A 99 durch Lärm, Schadstoffe und Erschütterungen belastet sei und somit eine ungeeignete Wohnfläche für Geflüchtete darstelle.
Die dort geplante Flüchtlingsunterkunft soll Platz für 500 Geflüchtete bieten. In der angrenzenden Siedlung leben rund 450 Personen. Die meisten von ihnen besitzen ein Auto, auf die öffentlichen Verkehrsmittel, die hier lediglich aus Bussen bestehen, sei kein Verlass. Kindergärten und Arztpraxen seien am Limit, eine Infrastruktur kaum vorhanden. Für die Ludwigsfelder genügend Argumente, die gegen eine Flüchtlingsunterkunft sprechen – und gegen eine gelingende Integration.
Dem gegenüber steht eine rechtliche Unterbringungspflicht in Bayern, auf die sich Münchens OB Dieter Reiter (SPD) bezieht und er argumentiert: "Nach wie vor kommen jeden Tag viele Geflüchtete bei uns in München an und müssen untergebracht werden." Das Bayerische Aufnahmegesetz sieht demnach vor, dass Geflüchtete in staatlich organisierten Sammelunterkünften leben, solange sie sich noch im Asylverfahren befinden und nur geduldet sind."
Infrastruktur für Flüchtlingsheim sei nicht gegeben
Die Ludwigsfelder jedoch halten dem entgegen, dass ihre Kindergärten, Arztpraxen und Vereine bereits an ihrer Kapazitätsgrenze seien und somit eine Integration in die Gemeinschaft unmöglich sei. "Was sollen die Leute denn hier machen? Die langweilen sich doch zu Tode", heißt es beim Ortstermin am Mittwochmorgen von Seiten der Bürger, zu dem die CSU-FW-Stadtratsfraktion auch die Presse eingeladen hatte.
Vor Ort mit dabei waren unter anderem Stadtrat Hans Theiss (CSU) und der Landtagsabgeordnete Alexander Dietrich (CSU). Beide machten deutlich, dass sie auf der Seite der Bürger stünden und den Vorschlag vor dem Sozialausschuss am Donnerstag, 14. November, ablehnen wollen. "Der Platz alleine reicht nicht aus, wenn die Infrastruktur nicht vorhanden ist", sagte Theiss. Und Dietrich ergänzte: "Wir sind uns einig, dass wir diese Unterkunftspolitik nicht wollen."
OB Reiter reduziert Flüchtlingsanzahl auf 290 Personen
Von dem ursprünglichen Plan, 500 Personen in der geplanten Flüchtlingsunterkunft auf den Schrederwiesen einzuquartieren, sei man laut Reiter bereits abgewichen. Gemeinsam mit der Verwaltung habe man sich im Beschlussentwurf darauf geeinigt, die Zahl der Bewohner auf 290 zu reduzieren. Außerdem wolle man aufgrund des Umfeldes vornehmlich Familien mit kleinen Kindern sowie ältere Erwachsene dort einziehen lassen.
Die Bürger vor Ort betonen, dass sich ihr Protest nicht gegen die Menschen richte, sondern gegen das Bauvorhaben. Man wünsche sich, dass die Stadt für die Unterbringung von Geflüchteten bereits bestehende Häuser nutze. Als Alternatividee schlagen die Anwohner deshalb einen alten Hof vor, der bereits bebaut und erschlossen ist. "Eine in unseren Augen langfristige und nachhaltige Lösung", heißt es von Seiten der Bürger.
Die Diakonie München und Oberbayern weist noch einmal auf die geltende rechtliche Grundlage hin: "In einem anderen Land Schutz zu suchen und Asyl zu beantragen ist ein Menschenrecht, das auch fest in unserem Grundgesetz verankert ist. Als demokratische, rechtsstaatliche Gesellschaft müssen wir dieses Recht hochhalten", sagt Pressesprecherin Christine Richter auf Anfrage von t-online.
Diakonie setzt sich für kleinere, dezentrale Unterkünfte ein
Auch Richter ist, wie die Anwohner, der Meinung, dass geflüchtete Menschen die bestmögliche Chance auf Integration verdienen. Deshalb setze sich die Diakonie München und Oberbayern seit Langem für kleinere, dezentrale Unterkünfte ein, die den Zugang zu Arbeit und Bildung erleichtern und Begegnungen in der Nachbarschaft fördern. "Eine offene Nachbarschaft stärkt die soziale Integration – darum ist es wichtig, die Anwohner frühzeitig in die Planung neuer Unterkünfte einzubeziehen."
Den beiden CSU-Vertretern haben die Bürger zwei Petitionen mitgegeben. Einen mit der Bitte an den Stadtrat, "den rechtswidrigen Spuk zu beenden" und einen für den Landtag. Die Entscheidung über das Flüchtlingsheim sollte eigentlich am 14.November fallen. Sie wird jetzt aber vertagt.
- Reporterin vor Ort
- Statement per E-Mail von OB Dieter Reiter
- Eigene Recherche