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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sex, Drogen und der tiefe Fall Die wilde Zeit von Milli-Vanilli-Sänger Rob Pilatus
Frank Farian produzierte einst das Disco-Popduo Milli Vanilli. Zum Kinofilm über die Band spricht der beste Freund des verstorbenen Sängers Robert Pilatus über Drogen, Sex und den tiefen Fall.
In einem geflochtenen Korb bewahrt Robert Wittl all seine Erinnerungen auf. Der 59-Jährige hat sich davor gesetzt, auf einen Stuhl inmitten seines Wäschezimmers, kramt Stapel um Stapel hervor. Irgendwo müssen sie sein, die Bilder mit seinem besten Kumpel. Er wühlt zwischen seinen alten Fotos, den Fotos seiner Eltern, wischt Staub von den Bildern. Es sei ja nun doch etwas her, dass Robert Pilatus gestorben ist – der Sänger des Popduos Milli Vanilli, einer der bekanntesten Stars der 1990er-Jahre, Wittls bester Freund seit Jugendtagen.
Ende der 80er-Jahre wurden Milli Vanilli weltbekannt, der Song "Girl You Know It's True" zum Ohrwurm. Das Duo tourte um die Welt, gewann sogar einen Grammy. Jeder kannte Robert Pilatus und Fabrice Morvan, "Rob" und "Fab". Musikproduzent Frank Farian, der am Dienstag im Alter von 82 Jahren in Miami starb, hatte maßgeblichen Anteil am großen Erfolg der Band.
Seit Dezember im Kino
Der Film "Girl You Know It's True" erzählt die Geschichte des Popduos Milli Vanilli. Regisseur Simon Verhoeven und Produzent Quirin Berg verfilmten die Karriere der beiden Musiker aus München. Am 21. Dezember kam der Film in die deutschen Kinos. Anfang Dezember feierte die Filmcrew Weltpremiere in München.
Doch Wittl war schon mit Robert befreundet, als die Bühne ein ferner Traum war. Sie begegneten sich, als ihr Leben noch gewöhnlich war, als 15-Jährige in der Münchner Disco "Annabelle" im Stadtteil Schwabing. Genauer gesagt bei einem Tanzwettbewerb an einem Sonntagnachmittag – der einzige Tag, an dem sie als Minderjährige eine Disco betreten konnten, ohne dass der Türsteher sie davongejagt hätte.
"Er benahm sich schon früh, als wäre er ein großer Star"
Das Tanzen sei Robs große Leidenschaft gewesen. "Er trug diesen Overall, als ich ihn das erste Mal sah", sagt Wittl. Rot oder blau sei er gewesen, er erinnert sich nicht mehr. Aber auf jeden Fall einfarbig. Er habe wie Bobby Farrell von Boney M. getanzt. "Und er konnte Spagat." Überall, wo Trubel war, war auch Pilatus. Er war immer im Zentrum der Aufmerksamkeit, sagt Wittl. "Er benahm sich schon früh, als wäre er ein großer Star."
Der Grund dafür war laut Wittl Robs Familie. Robert Pilatus wurde als Sohn eines US-amerikanischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren. Mit drei Jahren wurde er von einem Münchner Ehepaar adoptiert. "Damals gab es kaum Schwarze in München", sagt Wittl. Rob sei sich als Kind manchmal vorgekommen wie ein Hund, wenn Passanten seine Adoptivmutter fragten: "Der ist aber süß, darf ich den mal streicheln?" Wittl sagt: "Rob hatte wahnsinnige Energie, wie ich sie danach nicht mehr erlebt habe".
Von München über London bis hin nach Los Angeles
Als Robert Pilatus berühmt wurde, studierte Wittl gerade noch Immobilienwirtschaft in München. Er erlebte Robs und Fabs Karriere von Anfang an: Wittl erzählt von ihrer Jugend in München, von Reisen nach London, Los Angeles und von Frauen. Diese hätten bei seinem besten Kumpel, dem Popstar, Schlange gestanden.
So beispielsweise bei der Golden-Globe-Verleihung in Los Angeles, wo Wittl Rob besuchte. "Manchmal waren wir zu zwanzig unterwegs", sagt Wittl, "Rob, Fab, ich und 17 Mädels". Nach und nach habe Pilatus die Frauen in sein Zimmer gerufen. Die "Audienz", wie Wittl sie nennt, habe teilweise nur 15 Minuten gedauert. "Ich glaube nicht, dass die Mädels davon viel hatten."
Wittl erzählt auch von Drogen. "Ich war immer der konservative Part von uns beiden, aber das ist mit Robert nicht schwer", sagt er. Immer wieder habe sein bester Freund gekokst. "Das passte irgendwie zu seinem Überholspurcharakter", sagt Wittl. Am Ende waren es auch die Drogen, die ihn das Leben kosteten.
Nachdem bekannt geworden war, dass Robert Pilatus und Fabrice Morvan gar nicht die richtigen Sänger von Milli Vanilli waren, sondern lediglich Playback zu den Stimmen einer Band sangen, war es vorbei mit Ruhm und Reichtum. Es folgte einer der größten Musikskandale der 90er-Jahre. Zu diesem Zeitpunkt trennten sich die beiden Musiker und gingen ihren Weg jeweils allein: Morvan verschwand aus der Öffentlichkeit, Pilatus betäubte sich mit Kokain. Zu seiner Familie hatte Rob keinen Kontakt mehr, seine Adoptiveltern starben Anfang der 90er, und von seiner Schwester Carmen habe Rob auch kaum gehört, erzählt Wittl.
An Weihnachten erschien "Rob" nicht bei Wittl
An Weihnachten 1997 hatte Wittl seinen besten Freund zu sich und seiner Mutter eingeladen, um das Fest gemeinsam zu feiern. "Er hatte keine Familie mehr, ich war wohl seine Familie", sagt er. Doch Rob kam nie. "Er war so frustriert, und dann ist er zu irgendeinem Mädchen gefahren". Oft hätten Prostituierte Rob Drogen gebracht. "Zahlen musste er für Liebesdienste natürlich nie, da er immer noch sehr gut aussah und witzig war", sagt Wittl.
Einen Tag vor seinem Tod hatten sich Pilatus und Wittl noch in München gesehen, erzählt er. Das hatten sie immer getan, wenn Rob mal wieder in der Stadt war. Immer sei er zu Wittl gekommen. Sowohl während seines Popstar-Lebens als auch nach dem Aus. Und wenn er einen Freund an seiner Seite brauchte. "Ich war wohl sein konservativer Anker", sagt Wittl, "deswegen hat er mich auch oft aus den USA angerufen, zum Beispiel während seiner Entzüge".
Tot in Frankfurter Hotel aufgefunden
Nach ihrem letzten Treffen in München fuhr Pilatus nach Frankfurt und übernachtete in einem Hotel. Dort wurde er am 3. April 1998 nach einer Überdosis tot aufgefunden. "Robert nahm damals schon eine Ersatzdroge für Kokain", sagt er, vermutlich habe die Kombination zum Tod geführt. Genau weiß er es allerdings bis heute nicht.
Wenn sich Wittl heute an die Freundschaft mit Pilatus erinnert, sprudeln die Geschichten nur so aus ihm heraus. Fußballspielen am Ungererbad, Cliquen-Kämpfe am Goetheplatz, das Abholen vor den Puffs der Stadt. "In München ist es schwer, abzurutschen", sagt Wittl. "Rob" sei es dennoch passiert.
"Ich war immer auf der Sonnenseite des Lebens", sagt Wittl, "ich habe nie so überdreht wie Robert, aber es war lustig mitanzusehen". Sein Freund Rob sei ein Mensch gewesen, der nie nachgedacht habe, immer gemacht. Und vielleicht sei es das, was ihm letztendlich zum Verhängnis geworden ist.
- Eigene Recherche