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München | Russlands Generalkonsulat soll schließen: Was steckt dahinter?


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Russisches Generalkonsulat in Bayern
Das passiert hinter den Türen von Putins Vertretung

Von Alexander Spöri, Christof Paulus

Aktualisiert am 01.09.2023Lesedauer: 7 Min.
Die Farbspuren am Eingang des Generalkonsulats (Archivbild): Unbekannte hinterließen sie im August 2022.Vergrößern des Bildes
Farbspuren von Randalierern am Eingang des russischen Generalkonsulats in München (Archivbild): Ende 2023 soll die Einrichtung geschlossen werden. (Quelle: Frank Hoermann/SVEN SIMON via www.imago-images.de)

Das russische Generalkonsulat in München soll geschlossen werden. Warum genau, bleibt ein Rätsel. So wie vieles, was hier vor sich geht. Es gibt Verbindungen zu echten Gangstern.

Ausgerechnet das Gebäude, das dem Friedensengel in München am nächsten liegt, steht so sehr wie kaum ein anderes in der Stadt für den Krieg. Von der beeindruckenden Statue, die am Ostufer über der Isar thront, sind es keine 100 Meter zu der Stadtvilla an der Prinzregentenstraße. Das russische Generalkonsulat, das offiziell die Adresse einer Nebenstraße hat, ist von einem hohen Zaun umgeben, an einigen Stellen finden sich Farbspuren, die Randalierer hier hinterlassen haben.

Der Grund für die Feindseligkeiten: Russlands kriegerischer Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Doch schon in wenigen Monaten wird es in der bayerischen Landeshauptstadt keine russische Vertretung mehr geben. Ende 2023 soll die Einrichtung geschlossen werden. Auch das hat mit dem Krieg zu tun, infolgedessen sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland massiv abgekühlt haben.

Wieso das russische Generalkonsulat in München schließt

Die Bundesregierung hat Russland den Betrieb von vier seiner insgesamt fünf Generalkonsulate in Deutschland untersagt. Das wiederum ist eine Reaktion darauf, dass Russland im Mai dieses Jahres rund 100 deutsche Bedienstete auswies. Welches Konsulat geöffnet bleibt, durfte Moskau selbst entscheiden. Es hat sich für den Standort in Bonn entschieden. Auch die Botschaft in Berlin soll weiter geöffnet bleiben.

Mit der Schließung des Münchner Generalkonsulats endet eine über 30-jährige wechselvolle Episode bayerisch-russischer Beziehungen hier oben auf dem Hügel über der Isar. In dieser Zeit gab es einen intensiven, auch freundschaftlichen Austausch. Doch zuletzt ist das Konsulat ein Ort von Spionage und spannungsreicher Diplomatie geworden. Wie unter einem Brennglas lässt sich am russischen Konsulat in München aufzeigen, wie feindlich Russlands Diplomatie in den vergangenen zehn Jahren zunehmend geworden ist.

Sergey Ganzha war hier seit 2014 als Generalkonsul in München tätig. Das ist eine ungewöhnlich lange Dienstzeit, denn die meisten Diplomaten wechseln nach dem sogenannten Rotationsprinzip alle drei bis vier Jahre ihren Einsatzort. Wieso es dann kürzlich zum Wechsel kam, kann oder mag niemand so recht beantworten. Ganzha hatte schon viele Skandale überstanden. Irgendwann wurde es dann wohl einer zu viel.

Der dubiose russische Ex-Generalkonsul in München

Nach dem Ende seiner Amtszeit sei Ganzha erst einmal in Urlaub gefahren, hieß es aus dem Generalkonsulat. Wohin und was er nun tut, blieb offen. Am 23. Januar wurde er abgesetzt, eine Woche später verlor er die Exequatur, also die Erlaubnis, diplomatische Funktionen im Freistaat Bayern auszuüben.

Aus dem Generalkonsulat heißt es, Ganzha sei ein "erfahrener Mann". Doch er gilt nicht nur als erfahren – sondern auch als dubios. Sein Amt als Generalkonsul in München durfte er antreten, obwohl er schon 2001 in Österreich als Nachrichtendienstoffizier enttarnt worden war. Damals wurde ein Geheimdossier des dortigen Innenministeriums öffentlich, in dem 100 Spione entlarvt wurden, die offiziell als Diplomaten in der Alpenrepublik arbeiteten.

Ganzha soll sogar von drei Spionen des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR bei der Arbeit unterstützt worden sein, wie es im Dossier heißt. Seine Diplomatenkarriere scheiterte daran indes nicht. Trotz der Vorwürfe landete er wenig später als Generalkonsul in Hamburg. Und danach schließlich in München. Ob er hierzulande seine Tätigkeiten als Spion weiter fortsetzte, ist nicht belegt. Auf Anfrage von t-online dementiert das Auswärtige Amt in Berlin nicht, dass Ganzha auch heikle Informationen aus Deutschland gesammelt haben könnte. Konkret nimmt auch das bayerische Innenministerium dazu nicht Stellung – und gibt dennoch vielsagende Hinweise.

Spionagefälle rund um das russische Generalkonsulat in München

Denn: Agenten sind häufig in Kontakt mit Botschaften oder Konsulaten, oder sogar dort angestellt – auch weil sie dann diplomatische Immunität genießen. "Spionageaktivitäten russischer Nachrichtendienste gehen häufig von sogenannten Legalresidenturen aus", heißt es in einer Antwort des Ministeriums an t-online. Legalresidenturen sind als offizielle Vertretungen getarnte Stützpunkte von ausländischen Geheimdiensten.

Das ist bei Weitem nicht nur in München so und auch kein Vorgehen, das nur Russland zuzuschreiben ist. Doch gerade, weil es so üblich ist, kann man davon ausgehen, dass auch oder gerade unter Ganzhas Führung aus dem russischen Generalkonsulat in München heraus spioniert wurde. Das passiere "mit konspirativen Methoden", aber auch durch "harmlos wirkende Kontaktpflege". Und dann gibt es eine jüngere Episode, die ebenfalls für Spionage im Generalkonsulat unter Ganzha spricht: Im Zentrum steht ein junger russischer Wissenschaftler.

Der arbeitete bis 2021 an der Universität in Augsburg, schrieb dort seine Doktorarbeit. Und hatte einen Nebenjob, den das Oberlandesgericht München vergangenes Jahr aufarbeitete: Angeheuert vom Generalkonsulat, belieferte er den Geheimdienst SWR mit Informationen über die Trägerrakete der Europäischen Weltraumorganisation Esa.

Was wusste der Augsburger Spion im Auftrag Russlands?

Dass er Informationen weitergab, bestritt er vor Gericht nicht. Dass er jedoch für einen Geheimdienst tätig gewesen ist, sei ihm nicht bekannt gewesen. Bei den Informationen, die er seinem Kontaktmann weitergab, handelte es sich zudem um öffentlich zugängliche Inhalte, die der Wissenschaftler wohl online gesammelt hatte – geheim war daran also nichts. Er wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Brisant ist jedoch, wer sein Kontaktmann war: der Vizekonsul in München, ein gewisser Leonid Struktow.

Im Prozessbericht der "Augsburger Allgemeinen" ist davon die Rede, dass deutsche Ermittler Struktow schon lange im Visier hatten, trotz seiner diplomatischen Tätigkeit. Denn er nutzte sie vermutlich als Tarnung.

Für die russischen Spionagetätigkeiten in Deutschland sei der Angriff auf die Ukraine dann wie ein "Katalysator" gewesen, schreibt der Verfassungsschutz. Für Deutschland seien damit einhergehend "die potenziellen Risiken im politischen Raum, in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft sowie auch im Cyber- und im Informationsraum deutlich gestiegen".

Auch einer der in Deutschland meistgesuchten mutmaßlichen Kriminellen soll möglicherweise für Russland spioniert haben: Jan Marsalek ging offenbar im Münchner Generalkonsulat ein und aus. Das ehemalige Vorstandsmitglied von Wirecard ist seit dem spektakulären Kollaps des Münchner Finanzdienstleisters verschwunden. Marsalek soll nach Recherchen der "Welt" und des österreichischen Onlinemagazins "Zack Zack" beste Kontakte zu Generalkonsul Ganzha und dessen Sohn gepflegt haben.

Wirecard und Russland: Jan Marsaleks Verbindungen in München

Marsalek wird vorgeworfen, in großem Stile betrogen und so die zentrale Rolle beim Zusammenbruch von Wirecard gespielt zu haben. Das Dax-Unternehmen hatte 2020 Insolvenz angemeldet, führende Köpfe stehen derzeit in München vor Gericht. Marsalek ist wohl geflüchtet, viele vermuten, er könnte in Russland sein. Kürzlich ließ er zum ersten Mal seit seiner Flucht wieder von sich hören, nahm über seinen Anwalt schriftlich zu den Betrugsvorwürfen Stellung. Seine Umtriebe geben weiter Rätsel auf.

So berichtete der "Spiegel" 2020, dass Marsalek auch für den österreichischen Geheimdienst in Deutschland spioniert haben soll. Für seine persönlichen Geschäfte hatte der Manager eigene Räumlichkeiten angemietet: die Villa Alfons. Das herrschaftliche Haus steht in der Prinzregentenstraße, ist das direkte Nachbargebäude des russischen Generalkonsulats.

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Und tatsächlich: Nach Marsaleks Abtauchen fanden deutsche Behörden heraus, dass er als Agent für Moskau tätig gewesen sein soll. Aus internen Mails und Ermittlungsakten aus dem österreichischen Bundeskriminalamt geht hervor, dass Marsalek dem Sohn Ganzhas bei seinem Studium half oder Geschäftsbeziehungen mit ihm pflegte.

Generalkonsul: Russland würde Marsalek ausliefern

Nach Marsalek gefragt, verwies der neue Generalkonsul Oleg Krasnitskiy in einem Gespräch mit t-online im Frühjahr auf Geschäfte der Bundesregierung mit dem ehemaligen Wirecard-Chef und signalisierte Russlands Bereitschaft, ihn auszuliefern – wenn er denn in Russland sei. Aufarbeiten müsse man seine undurchsichtigen Verbindungen zum Generalkonsulat aber nicht mehr, alles sei bekannt.

Im Anschluss an das Treffen mit den Reportern verweigerte der Generalkonsul trotz seiner ursprünglichen Gesprächsbereitschaft die Freigabe seiner Zitate. Die Aussagen geben wir hier aus Sicht der Reporter dennoch wieder, da das nicht als vertraulich vereinbarte Gespräch unserer Ansicht nach von öffentlichem Interesse ist.

So wie das, was im Buch "House of Wirecard" steht. Darin geht es um den Ablauf eines Treffens außerhalb des Generalkonsulats. Laut der Recherche lud ein russischer Geschäftspartner Ganzha und Marsalek während des Corona-Lockdowns in seine Villa in München ein. Mit dabei soll auch der österreichische Ex-Geheimagent Martin Weiss gewesen sein, der damals operativer Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) war.

Der Ex-Generalkonsul war, der Recherche zufolge, mit dem Ex-Geheimdienstler zu diesem Zeitpunkt bereits vertraut. Beide kannten sich aus der Zeit, als Ganzha noch in der Wiener Botschaft gearbeitet hatte. Weiss soll den damaligen Botschaftsmitarbeiter wegen angeblicher Spionageaktivitäten im Jahr 2001 in Österreich überwacht haben, schreibt Autor Dan McCrum.

Ganzha bestritt, ein Spion zu sein und habe Weiss die Schuld daran gegeben, dass er nicht russischer Botschafter in Deutschland wurde. Doch wie konnte er trotz der Vorwürfe überhaupt Diplomat werden, nachdem er bereits in Österreich enttarnt worden war? Das versuchten im August 2022 die Bundestagsabgeordneten Christian Görke, Gesine Lötzsch und Klaus Ernst sowie weitere Fraktionsmitglieder der Linken in einer Kleinen Anfrage herauszufinden.

In der Antwort der Bundesregierung heißt es, es habe "keine Bedenken" gegeben, als Ganzha 2014 zum Generalkonsul ernannt wurde. Allerdings könne die Bundesregierung keine weiteren Informationen öffentlich übermitteln, weil diese das Staatswohl berühren könnten.

Bundesregierung hatte keine Bedenken zu russischem Ex-Generalkonsul Sergey Ganzha

Fakt ist allerdings: Ganzha pflegte zahlreiche Verbindungen zu bayerischen Politikern, belegt sind Absprachen und Treffen mit hochrangigen Vertretern und Ministern der CSU, der Freien Wähler und der AfD – und zwar bis er Anfang 2023 von Krasnitskiy ersetzt wurde.

Im Frühjahr hieß es aus dem Generalkonsulat München noch, man beschäftige je zwölf Diplomaten und technische Mitarbeiter. Mit der Schließung dort verliert Russland nun wohl einen erfahrenen Mann in der deutsch-russischen Diplomatie: Krasnitskiy soll eigenen Angaben zufolge die Zwei-plus-Vier-Verträge 1990 mit verhandelt haben, in denen die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs die deutsche Wiedervereinigung absegneten. Danach soll er sich auch an den Verhandlungen zur Auflösung des Warschauer Paktes beteiligt haben. Anschließend arbeitete er für die russischen Vertretungen in Bonn und Berlin.

In der Berliner Botschaft beriet Krasnitskiy Spitzenpolitiker der AfD, darunter offenbar den damaligen Bundesvorstand Alexander Gauland und auch Ex-Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski. Die Russen boten der Partei laut einem Bericht des "Spiegel" strategische Beratung an. Gerüchte, dass der Kreml angeblich versucht habe, die Parteifunktionäre zu beeinflussen, wies die AfD zurück.

So arbeitet das russische Generalkonsulat in München

Ab 2018 war Krasnitskiy Vorsitzender des russischen "dritten Europadepartements". Dabei war er offenbar sogar in die Gespräche des "Normandie-Quartetts" involviert. Die Kontaktgruppe zwischen Frankreich, Russland, der Ukraine und Deutschland trug maßgeblich zum zwischenzeitlichen Waffenstillstand des Ukraine-Konflikts auf der Krim und im Donbas bei.

Im aktuellen Ukraine-Krieg betont Krasnitskiy, dass Russland nicht kapitulieren werde. Deutschland wiederum sei in diesen Konflikt allerdings involviert. Das erschwere die Diplomatie.

Im Gespräch mit t-online präsentierte sich Krasnitskiy als Putin-Bekannter, er habe ihn mehrmals getroffen, mit ihm verhandelt und als fachkundig sowie argumentativ stark erlebt. Von Spionagevorwürfen gegen sein Konsulat wollte er dagegen nichts wissen. Er bezeichnete sie als "deutsche Propaganda gegen Russland".

Zu tun gibt es im Generalkonsulat in seinen letzten Monaten nur noch wenig. Zwar wünscht Krasnitskiy sich offenbar engere Kontakte in München, doch die offiziellen Kanäle seien eingefroren. Inoffiziell bliebe der Austausch zwar bestehen, das müsse so sein, und auch der Austausch mit der Staatskanzlei – also dem Amtssitz von Ministerpräsident Markus Söder – funktioniere gut. Leugnen kann es Krasnitskiy jedoch nicht: Seit Februar 2022 geht es den russischen Diplomaten hier so wie überall im Westen – sie sind isoliert.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Oleg Krasnitsky
  • Format.at: "Geheimdossier des Innenministeriums enttarnt 100 russische Spione in Österreich"
  • Anfrage an Bayerisches Innenministerium und Auswärtiges Amt
  • Augsburger Allgemeine: "Überraschung: Russischer Spion an Uni Augsburg muss nicht ins Gefängnis"
  • Welt: "Jan Marsalek und der Russe aus dem Spionagenest"
  • Welt: "So gut waren die Beziehungen zwischen Jan Marsalek und dem russischen Generalkonsul"
  • fr.de: "Bundesregierung schließt russische Konsulate – Moskau reagiert"
  • Bundesamt für Verfassungsschutz: "Der russische Angriffskrieg und seine Folgen für das nachrichtendienstliche Agieren Russlands gegen Deutschland"
  • Oberlandesgericht München: Urteil vom 14. April 2022 - 3 StE 6/21
  • McCrum, Dan: "House of Wirecard", Econ, 2022
  • spiegel.de: "AfD will sich Ratschläge von den Russen holen"
  • muenchen-chronik.de: "AfD-Delegierte treffen russischen Generalkonsul und rechten verschwörungsideologischen Autor"
  • euronews.com: "Putin says Russia will follow up fast after Ukraine call with Biden" (englischsprachig)
  • Eigene Recherchen
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