Milliarden-Debakel in München "Und alles nur, weil Söder Bundeskanzler werden wollte"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die 2. Stammstrecke wird in München zum Milliarden-Grab: Im Interview mit t-online erhebt FDP-Verkehrspolitiker Sebastian Körber schwere Vorwürfe gegen Markus Söder.
Sebastian Körber steht im bayerischen Landtag dem Verkehrsausschuss vor. Hier, im Maximilianeum oberhalb der Isar, gilt der 42-jährige Oberfranke als scharfer Kritiker der Politik von Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Im Interview erklärt Körber, was er Söders Regierung vorwirft. Und weshalb die CSU mit Blick auf die Landtagswahl 2023 als Koalitionspartner dennoch attraktiv ist.
Herr Körber, die 2. Stammstrecke in München sollte 2028 fertig sein und 3,8 Milliarden Euro kosten. Jetzt wird es wohl 2037 – und die Kosten steigen laut Bahn auf mehr als sieben Milliarden Euro. Wer trägt die Verantwortung?
Sebastian Körber: Der Freistaat Bayern ist der Auftraggeber des Projekts und zahlt den größten Anteil der Kosten. Die Bahn hatte das Verkehrsministerium und die Staatskanzlei frühzeitig informiert. Es hatte sich abgezeichnet, dass die 2. Stammstrecke viel teurer wird und die Steuerzahler Milliarden mehr kosten wird. Milliarden, die woanders in Bayern fehlen werden. Wenn die ganzen Bundesförderungen von der Söder-Regierung jetzt nach München gepumpt werden, bleibt für die ländlichen Räume nicht mehr viel Geld für Infrastrukturprojekte. Das ist ein Dilemma. Und das alles nur, weil Markus Söder Bundeskanzler werden wollte.
Wie meinen Sie das?
Das ist ja kein Geheimnis. Es sind Vermerke aufgetaucht, so war es in den Medien zu lesen, dass die 2. Stammstrecke zum Wahlkampfthema werden könnte. Wenn Beamte des Freistaates Wahlkampfplanung für die CSU machen, wirft das noch ganz andere Fragen auf. Deshalb hat der bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt.
Irgendjemand wird die Mehrkosten tragen müssen. Die Baustelle läuft.
Der Verkehrsverbund München hat mit 900.000 Pendlern am Tag mit das höchste Verkehrsaufkommen in ganz Deutschland. Alles, was aus dem Münchner Umland kommt, geht irgendwann über die Stammstrecke. Deswegen ist es richtig, einen Bypass zu legen. Dass die Kosten dafür so sehr steigen, wurde aber unter dem Tisch gehalten. Es gilt aufzuklären, wer dafür die politische Verantwortung trägt.
Und wer bezahlt. Das Bundesverkehrsministerium in Berlin wird von Ihrer Partei verantwortet.
Der Bund hat eine ganz klare Regel: 60 Prozent der förderfähigen Kosten werden übernommen. Jetzt wurde versucht, Bundesverkehrsminister Volker Wissing die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das war ein plumper Versuch. Wenn der sogenannte Nutzen-Kosten-Faktor über eins liegt, bekennt sich der Bund zu seiner Zusage. Der Nutzen-Kosten-Faktor war Medienberichten zufolge wohl zwischenzeitlich auch mal unter eins. Da gingen in der Staatskanzlei die Alarmglocken an. Im Untersuchungsausschuss werden wir jetzt Zeugen befragen, wie der Faktor hingedreht wurde, dass er wieder über eins liegt. Alle anderen Kosten, die jetzt anfallen, trägt der Freistaat Bayern.
Der "Münchner Merkur" hatte berichtet, dass es im Juni ein internes Papier gab, wonach die Landesregierung wusste, dass zeitweise nicht einmal die Finanzierung für 2022 gesichert war. Auch dafür kritisieren Sie Markus Söder sehr.
Markus Söder regiert Bayern aus der CSU-Landesleitung heraus. Die Adresse der CSU-Parteizentrale ist aber eigentlich nicht die der Staatskanzlei. Verschiedene Medien berichteten von Vermerken der Staatskanzlei, wie bei der 2. Stammstrecke vorzugehen sei. Ich dachte immer, dass das Ressortprinzip gilt und das Verkehrsministerium entscheidet. Unter Markus Söder arbeitet schon der vierte Verkehrsminister in den vergangenen fünf Jahren. Er tauscht diesen Ministerposten ständig aus. Es herrscht keine Kontinuität im Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr.
Glauben Sie, dass sich Söder einfach über alles und alle stellt?
Söders Regierung kommt mit dem Wohnungsbau nicht so voran wie angekündigt. Stichwort Bayernheim-Desaster. Dann haben Sie noch das Museumsthema in Nürnberg, wo zufällig ein CSU-Parteispender eine völlig überzogene Miete bekommen hat. Gerade im Wahljahr wird alles aus der Staatskanzlei heraus regiert. Innerhalb der CSU ist Markus Söder anscheinend unumstritten, da widerspricht ihm öffentlich niemand. Dann trägt Söder auch die Verantwortung für all diese Themen.
Wie würden denn Sie die Problemlösung bei der 2. Stammstrecke angehen?
Es ist eines der größten Infrastrukturprojekte Deutschlands, das zur Chefsache gemacht werden muss. Da muss man jeden Tag wissen, was los ist, was die Fakten sind, ob es teurer wird, wo man sparen kann. Dafür braucht es jede Woche einen Jour fixe. Unterhalb meines Verkehrsausschusses wurde der Unterausschuss gegründet. Böse Zungen behaupten, unterhalb, damit nicht ich vorsitze. Jetzt steht dem Ausschuss ein CSUler vor. Ich hätte mir stattdessen Berichte im Verkehrsausschuss gewünscht. Zudem würde ich mir eine Controlling-Abteilung als Stabsstelle direkt unter der Ägide des Verkehrsministers innerhalb des Staatsministeriums wünschen. Mit Experten, die im ständigen Austausch mit den Verantwortlichen der Bahn stehen. Die Verteidigungslinie der Landesregierung war bisher, dass es keine belastbaren Zahlen gegeben habe. So ein Blödsinn. Ich kann doch mittels einer Software nachvollziehen, wie der Kostenstand ist.
Zuletzt gab es auf Bundesebene Differenzen zwischen Ihrer FDP und der Union. Was eine Lösung bei der 2. Stammstrecke erschwert.
Es sind verschiedene Ebenen. In Bayern haben wir natürliche Schnittmengen zwischen der CSU und der FDP, zum Beispiel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Mit der CSU als Partei, weniger mit der CSU eines Markus Söder. Wenn ich die Bau- und Verkehrspolitik nehme, gibt es zum Beispiel weniger Schnittmengen mit den Grünen. Strengere Energievorschriften für Häuser; alles elektrisch fahren, koste es, was es wolle; mehr Radwege und dafür Autos weg - das wird nicht funktionieren.
Im Herbst ist Landtagswahl. Weil Sie Söder so sehr kritisieren: Eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen käme für Sie in Bayern nicht infrage? Es wäre ein Novum.
Ich sehe für eine Ampel im Freistaat weder eine Mehrheit noch eine inhaltliche Schnittmenge. Die Kollegen von den Grünen grenzen sich mit total überzogenen Klima- und Umweltfragen ab. Egal, ob das nun beim Bauen, in der Mobilitäts- oder der Landwirtschaftspolitik ist. Da sehe ich ganz große Unterschiede. Die CSU macht ja nicht alles falsch in Bayern. Bayern kann aber auf jeden Fall mehr.
- Interview mit Sebastian Körber, verkehrspolitischer Sprecher der FDP im bayerischen Landtag
- br.de: "Zweite Stammstrecke viel teurer und später" vom 29.9.2022