Missbrauch im Erzbistum München Standesamt verdreifacht Kapazitäten für Kirchenaustritte
Nach der Vorstellung des Gutachtens zu sexueller Gewalt gegen Kinder im katholischen Erzbistum München und Freising schnellen die Austrittszahlen in die Höhe. Das Standesamt in München rüstet sich.
Das Gutachten im Missbrauchskomplex um das Erzbistum München und Freising zeigt Wirkung: Bayrische Standesämter wappnen sich für die hohe Anzahl an Kirchenaustritten.
Allein in München wurden nach Angaben des Kreisverwaltungsreferates (KVR) seit Veröffentlichung des Gutachtens am vergangenen Donnerstag rund 650 Termine für Kirchenaustritte gebucht. Das sind deutlich mehr als doppelt so viele wie üblicherweise zu erwarten gewesen wäre, wie ein KVR-Sprecher sagte.
Um diese Flut zu bewältigen, erweitert das Standesamt seine Öffnungszeiten und setzt zwei zusätzliche Beschäftigte für Kirchenaustritte ein. Insgesamt werde die Kapazität "durch Umschichtung" sogar verdreifacht, aber selbst das werde voraussichtlich nicht reichen. Das KVR weist darum darauf hin, dass der Kirchenaustritt auch schriftlich eingereicht werden kann – wenn die Unterschrift notariell beglaubigt wird.
In und um München: Standesämter wappnen sich mit mehr Personal und Terminen
Nicht weit von München entfernt, in Ebersberg, wo das Amtsgericht Ende der 1980er Jahre einen Priester wegen sexuellen Missbrauchs verurteilte, bevor der in einer anderen Gemeinde wieder eingesetzt und dort erneut rückfällig wurde, hat sich die Zahl der Austritte in den ersten Wochen des Jahres fast verdoppelt: Bis zum 26. Januar 2021 waren es 17, in diesem Jahr sind es nach Angaben der Stadt schon 31.
Auch die bayrischen Städte Regensburg, Ingolstadt und Würzburg bauen ihre Kapazitäten aus: In Würzburg sollen ab 1. Februar 22 zusätzliche Termine pro Woche angeboten. Dort seien seit Donnerstag fünfmal so viele Anfragen wie im gleichen Zeitraum 2021 eingegangen. In Ingolstadt sind alle Termine zum Kirchenaustritt bis Mitte März ausgebucht, aufgrund der großen Nachfrage wolle das Standesamt jedoch zusätzliche Terminkapazitäten schaffen. In Regensburg will das Standesamt ab Februar "das Terminangebot erweitern".
Bis zu 73 Prozent mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten
In Bamberg sind seit dem Tag nach der Präsentation der Studie nach Angaben eines Stadtsprechers 21 Menschen aus der Kirche ausgetreten, 17 davon katholisch. Insgesamt gab es dort im Januar 2022 bisher schon 83 Austritte, davon 71 katholisch. "Auch das ist signifikant mehr als in den Vorjahren", sagte der Sprecher. In Nürnberg müssen Termine zwei Wochen im Voraus gebucht werden. Wer dort also in dieser Woche aus der Kirche austritt, hat den Termin vor der Vorstellung des Gutachtens gebucht. Bislang liegt die Zahl der Kirchenaustritte bei Katholiken und Protestanten dort in diesem Jahr insgesamt schon bei 371. Das sind 73 Prozent mehr als im vergangenen Jahr bis zum 25. Januar.
Das Gutachten behandelte zahlreiche Missbrauchsfälle kirchlicher Würdenträger gegen Kinder und Jugendliche im Erzbistum München und Freising. Das vom Erzbistum selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden.
Es wirft den Kardinälen und ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger sowie dem aktuellen, Reinhard Marx, Fehlverhalten vor. Von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern sprechen die Gutachter, gehen aber von einem deutlich größeren Dunkelfeld aus.
- Nachrichtenagentur dpa