Polizeigewerkschafter "Die Uniform ist in der Corona-Krise zur Zielscheibe geworden"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In München kommt es vermehrt zu Fällen von Gewalt gegen Polizisten. Im Interview mit t-online erklärt ein Beamter, wie sich die Gefahr für seine Kollegen in der Corona-Krise stark erhöht hat.
Es waren Bilder, die in München, Bayern und weit darüber hinaus in Deutschland für Aufsehen und Entsetzen sorgten. Anfang Mai attackierten Dutzende Jugendliche auf der Karl-Theodor-Wiese im idyllischen Englischen Garten Polizisten mit Flaschen – 19 Beamte wurden verletzt.
Woher kommt diese enthemmte Gewalt gegen die Polizei, was hat die Coronavirus-Pandemie damit zu tun, und was wollen die Münchner Beamten dagegen tun? Im Interview mit t-online bezieht Peter Pytlik von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Bayern Stellung.
t-online: Herr Pytlik, ein Vorfall in München hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt: Dutzende Jugendliche griffen Einsatzkräfte der Polizei mitten im Englischen Garten an.
Peter Pytlik: Das kannten wir in dieser Dimension nicht: Dass sich Jugendliche solidarisieren, ohne zu wissen, worum es geht, und dann auf die Polizisten losgehen und diese mit Flaschen bewerfen. Diese Vorfälle haben uns als Polizei sehr betroffen gemacht. Uns als Gesellschaft sollten solche Szenen zum Umdenken bewegen.
Ist sowas völlig neu in München?
Es ist eine neue Erscheinung. Ähnliche Vorfälle hat es immer mal wieder gegeben. Aber in so einer Intensität und dieser Größenordnung ist das was Neues. Für uns als Polizei war das überraschend. Die Kollegen gehen in einen alltäglichen Einsatz, wollen eine mutmaßliche sexuelle Nötigung aufklären. Und plötzlich sehen die Jugendlichen und jungen Menschen auf der Wiese Polizei, rotten sich zusammen und gehen auf die Beamten los. Das ist sehr bedenklich.
Nehmen diese Angriffe in München und Bayern zu?
Das Ausmaß im Englischen Garten war schon ungewöhnlich groß. Aber: Szenen, dass sich Menschen gegen die Polizei zusammentun, haben wir immer öfter. Dabei geht es nicht nur um Jugendliche. Wir haben das auch bei den "Querdenker"-Demos gesehen. Demokratiefeinde solidarisieren sich auf diesen Demos. Die Corona-Maßnahmen haben viele Menschen sensibel gemacht. Sie haben teils Existenzängste. Da ist die Hemmschwelle gering, sodass manche auf Polizeikräfte losgehen. Nicht auf den Polizisten oder die Polizistin, die in der Uniform steckt, sondern auf "die Polizei" schlechthin. Die Uniform ist in der Corona-Krise mitunter zur Zielscheibe geworden.
Die Corona-Regeln haben zu mehr Gewalt gegen Polizisten geführt? Schließlich war es die Polizei, die diese auf der Straße durchsetzen musste.
Ja, das spielt eine große Rolle. Das steht außer Frage. Die Corona-Pandemie hat dazu beigetragen. Weil viele gesagt haben: "Ich verstehe die Welt nicht mehr." Viele Maßnahmen wurden von politischer Seite getroffen, die für den Normalbürger nicht mehr nachvollziehbar waren. Dann hat sich Frust aufgeladen. Plus die Einschränkung, dass man sich im Freien nicht mehr bewegen durfte. Das macht die Leute wütend und aggressiv.
Befürchten Sie, dass die Polizei in der Bevölkerung Respekt eingebüßt hat?
Insgesamt glaube ich das nicht. Wir als Polizei haben im großen Teil der Bevölkerung Rückhalt. Es gibt vereinzelte Polizeigegner, ja sogar Polizeihasser. Das sind aber für mich auch Demokratiegegner, die ganz bewusst versuchen, uns als Polizei zu diskreditieren. Sei es durch irgendwelche Handyaufnahmen. Diese werden ganz bewusst geschnitten und ins Internet gestellt. Wie es zu diesen Vorfällen kam, wird bewusst weggelassen, um die Polizei als Schläger hinzustellen. Das hat in den letzten beiden Jahren massiv zugenommen.
Wie ist die Stimmung unter den Kollegen? Äußern sie Sorgen?
Natürlich geht das an den Kolleginnen nicht spurlos vorbei. Man darf nicht vergessen: Hinter jeder Uniform steckt ein Mensch! Sie haben Familie, Kinder und Freunde. Sie wollen von ihrer Arbeit unverletzt nach Hause kommen. In letzter Zeit ist die Gefahr für sie viel höher geworden. Der Fall im Englischen Garten hat gezeigt, wie unberechenbar die Einsätze geworden sind. Damit konnte ja niemand rechnen, dass mehrere Dutzende auf die Polizei losgehen. Das erzeugt Ängste bei den Eltern unserer jüngeren Kollegen. Sie sagen: "Mensch, jetzt muss er oder sie schon wieder auf eine Demo, hoffentlich geht das alles gut."
Leistet die Polizei in München und Bayern jetzt explizit Aufklärungsarbeit, dass man ein Partner der Bevölkerung ist?
Ja! Die Aufklärungsarbeit ist ganz wichtig. Gerade für Diskussionen in sozialen Netzwerken sind wir beim Polizeipräsidium München gut aufgestellt. Wir sprechen und schreiben mit den Leuten. Und wir als Gewerkschaft der Polizei haben in Bayern die Aktion gestartet: "Ich bin nicht dein Feind." Damit wollen wir die Bevölkerung animieren, uns nicht als Gegner oder Spielverderber zu sehen. Zum Beispiel jetzt während der Fußball-EM. Wir sind diejenigen, die solche Großereignisse schützen. Wir sind diejenigen, die für Sicherheit sorgen.
- Gespräch mit Peter Pytlik, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft (GdP) in Bayern
- Eigene Recherche