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München

Ukrainischer Generalkonsul: "Mehrheit der Russen für Krieg"


Diplomat in München
"Mehrheit der Russen unterstützt diesen Krieg"

InterviewVon Christof Paulus

Aktualisiert am 25.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Yuriy Yarmilko im Video-Interview mit t-online: Der Generalkonsul in München sieht die gesamte russischen Gesellschaft in der Verantwortung für den Krieg.Vergrößern des Bildes
Yuriy Yarmilko im Video-Interview mit t-online: Der Generalkonsul in München sieht die gesamte russischen Gesellschaft in der Verantwortung für den Krieg.
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Wenige Tage hat es gedauert, bis der Krieg auch in München spürbar war. Immer mehr ukrainische Flüchtlinge kommen nach Bayern, wo Yuriy Yarmilko sein Land als Generalkonsul vertritt. Um sie kümmert er sich nun – und benennt Probleme.

Diplomaten, das sind eigentlich unermüdliche Zahnräder im Maschinenraum der internationalen Politik. Zu sehen sind sie selten. Für die Ukraine gilt das inzwischen nicht mehr: Botschafter Andrij Melnyk sitzt in deutschen Talkshows und wird zum Star wider Willen, wie einst Virologe Christian Drosten in der Corona-Pandemie. Und auch der Generalkonsul in München hielt kürzlich eine Rede vor 45.000 Menschen auf dem Königsplatz. Nun spricht er im Interview mit t-online darüber, was seither passiert ist.

Damals protestierten die Münchnerinnen und Münchner gegen den Krieg, Yuriy Yarmilko bezeichnete die Rede als "den schwersten öffentlichen Auftritt" seines Lebens, eine Woche nach den ersten Bomben auf seine Heimat. Vier Wochen später ist klar: Die Ukraine macht Russland den Einmarsch schwerer, als das Regime in Moskau es jemals glauben wollte. Und doch – die Menschen aus der Ukraine stehen vor den Trümmern ihres Landes.

t-online: Herr Generalkonsul Yarmilko, in Ihrer Heimat herrscht Krieg, Tausende Ukrainerinnen und Ukrainer haben inzwischen München erreicht. Wie schlafen Sie im Moment?

Yuriy Yarmilko: Ruhig und gut habe ich zuletzt vor dem Krieg geschlafen. Natürlich sind die Nächte schlecht, das muss ich gestehen, denn es ist ein schlimmer Krieg. Es ist für uns ein persönlicher Krieg, wir sind alle involviert, haben Freunde und Bekannte in der Ukraine. Jeden Morgen muss man schauen, was in der Nacht passiert ist, und tatsächlich passiert leider jede Nacht etwas. Aber wir bleiben trotzdem optimistisch, alle sehen, wir kämpfen unerwartet hart und entschlossen. Deshalb dauert der Krieg nun schon vier Wochen, und nicht wie von Russland geplant nur zwei oder drei Tage wie ein Blitzkrieg.

Schauen wir auf Ihren Tag: Wie versuchen Sie im Moment, den Ukrainerinnen und Ukrainern in München und der Umgebung zu helfen?

Unsere Aufgaben zurzeit sind die gleichen wie immer, aber es sind noch viele Aspekte hinzugekommen. Unser Generalkonsulat ist zuständig für Bayern und Baden-Württemberg, für unsere Landsleute machen wir notarielle Angelegenheiten, stellen Pässe aus. Nun betreuen wir noch Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine und ich bedanke mich beim Freistaat Bayern dafür, dass er all diese Menschen aufnimmt.

Und was brauchen diese Menschen?

Die allererste Frage ist oft: "Wie ist hier alles organisiert?" Wir versuchen den Leuten zu erklären, wo man Informationen findet, wo die Ankerzentren sind, welche Papiere man braucht. Manche sind auch ohne gültige Pässe hergekommen, denn man weiß, dass Europa Flüchtlinge aus der Ukraine auch so zulässt. Zurzeit haben wir Generalkonsulate die Möglichkeit, Pässe zu verlängern. Und manche brauchen einfach nur einen guten Rat. Auch Lieferungen wie Medikamente oder Lebensmittel für die Ukraine laufen aktuell Tag und Nacht, die Solidarität ist enorm. Die Logistik ist da nicht so leicht, auch die Organisation ist eine unserer Sorgen.

Am Hauptbahnhof haben ukrainische Flüchtlinge auf dem Boden geschlafen, vor dem Amt für Wohnen und Migration stehen sie in langen Schlangen und frieren. Gleichzeitig engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich für die Flüchtlinge. Wie bewerten Sie die Hilfsbereitschaft der Münchner – und das Management der Stadt?

Ich weiß die Hilfsbereitschaft zu schätzen und ich möchte auch niemanden kritisieren, wenn es ums Management geht. Aber es gibt Probleme, das stimmt. Wir bekommen auch Beschwerden, dass Menschen lange warten müssen oder Unterkünfte nicht geeignet sind. Darüber sprechen wir auch mit der Bayerischen Staatskanzlei oder der Stadt. Aber wichtig ist, dass die bayerische Seite dazu bereit ist, uns zuzuhören und Probleme zu lösen. Deshalb hoffe ich, dass die Situation sich verbessern wird.

Das sind vermittelnde, verbindende Töne, die Sie anschlagen, wie man es von vielen Diplomaten gewohnt ist. Ihr Botschafter Andrij Melnyk wählt inzwischen häufig einen anderen Ansatz, er kritisiert teils klar die deutsche Politik und Öffentlichkeit für ihr Zögern, oder formuliert eindeutige Forderungen, wie etwa zum Thema Flugverbotszone oder Waffenlieferungen. Nehmen Sie uns mit in das Wesen der ukrainischen Diplomatie: Wieso dieser Weg der klaren Worte?

Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich das Vorgehen unseres Botschafters und meines Vorgesetzten nicht beurteilen kann. Er tut alles, um unserer Heimat zu helfen, kritisiert die Bundesrepublik, weil Unterstützung uns zu spät erreicht hat. Wir ukrainischen Diplomaten haben zum Beispiel immer wieder über Nord Stream 2 gesprochen.

Über die Pipeline hätte Russland direkt Gas nach Deutschland liefern können, was eine noch größere Abhängigkeit von russischer Energieversorgung bedeuten würde.

Wir haben gesagt, dass das ein politisches und kein wirtschaftliches Projekt ist, trotzdem wurde es erst nach den ersten Bomben gestoppt. Und ich verstehe auch, dass Waffenlieferungen ein sensibles Thema für Deutschland sind. Aber es geht nun um das Leben der Ukrainer, und wir sind zum lebendigen Schutzschild Europas gegen Russland geworden, und deshalb brauchen wir die Hilfe. Gleichwohl, als Generalkonsulat haben wir weniger politische Instrumente, auch wenn wir bei Vertretern der Bundesländer um Unterstützung bitten, Druck auf die Bundesregierung zu machen.

Auch wenn Deutschland viele Forderungen gerade nicht erfüllt, würden Sie dennoch zustimmen, dass die Ukraine und Deutschland befreundete Länder sind? Und sind Sie manchmal sauer auf Deutschland?

Deutschland ist unser strategischer Partner und Verbündeter, für uns der wichtigste Staat auf dem Weg in die Europäische Union. Natürlich sind wir manchmal schon ein bisschen sauer, wenn wir sehen, dass manche Unterstützung notwendig ist, und sie nicht geleistet wird. Natürlich haben wir nie gesagt, dass die Bundesrepublik uns nicht hilft, ganz im Gegenteil! Manchmal bräuchten wir aber mehr Unterstützung.

Zum Beispiel gibt es in der Öffentlichkeit gerade die Meinung, das sei Putins Krieg, nicht Russlands Krieg. Aber das kann ich nicht teilen. Ohne die große Unterstützung aus dem Volk wäre das alles nicht möglich. Unser Krieg dauert eigentlich nicht vier Wochen, sondern acht Jahre, seit die Krim völkerrechtswidrig annektiert wurde. Schon damals haben die Russen die brutalen Handlungen unterstützt. Und wo sind die mutigen Leute, die gegen den Krieg demonstrieren? Bei Demonstrationen in Russland gehen 5.000 Menschen auf die Straßen. 5.000 von 140 Millionen! Wo sind die Künstler, die Schriftsteller, Sportler, die protestieren? Wir sehen sie nicht. Und die Unterstützung wächst, die absolute Mehrheit der russischen Bevölkerung unterstützt diesen Krieg.

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Was können Sie als Diplomat in dieser Lage tun?

Ukrainische Soldaten kämpfen, aber es ist klar, dass man einen solchen brutalen Aggressor nicht alleine besiegen kann. Wir haben alle gehofft, dass die Diplomatie einen Krieg verhindern kann, aber es hat nicht geklappt. Und für jeden normalen Menschen auf der Welt ist klar, wer daran schuld ist. Wir versuchen viel, um Unterstützung für unser Land zu bekommen.

Welche Hoffnungen haben Sie dennoch für die Ukraine, für Europa, aber auch für Russland?

Ich habe die Hoffnung, nicht nur für die nächsten Monate oder Jahre, sondern für die nächsten Tage, dass Menschen nicht mehr sterben, der Krieg endet, und wir gewinnen, um unabhängig und frei zu bleiben – und das schaffen wir, glauben Sie mir, wir sind fest entschlossen. Es sind unsere Werte, auch europäische Werte, für die wir kämpfen. Für Russland sehe ich nichts Gutes.

Man kann nicht gegen den Willen der ganzen Welt antreten, sie [Russland, Anm. der Red.] haben kaum eine Perspektive. Und wenn sie behaupten, die Wirtschaftssanktionen würden nicht wirken – das stimmt nicht, die wirken, glauben Sie mir. Aber für die Ukraine sehe ich eine gute Perspektive, in der europäischen Familie. Dort sind wir inzwischen näher herangerückt. Vielleicht sind unsere Perspektiven sogar besser als früher. Und es bleibt uns nur eins: zu gewinnen.

Yuriy Yarmilko ist 61 Jahre alt und seit vier Jahren Generalkonsul der Ukraine in München. Die Behörde ist für rund 30.000 gemeldete Ukrainer in Bayern und Baden-Württemberg zuständig, rund 7.000 von ihnen haben ihren Wohnsitz in München. Seit Kriegsbeginn sind bisher über 70.000 Flüchtlinge aus der Ukraine nach Bayern eingereist. Das Generalkonsulat befindet sich in der Lessingstraße.

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