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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hintermänner in Polen Schockanruf-Betrüger hofft auf milderes Urteil
Mit Schockanrufen hat eine Verbrecherbande in Südbayern fast eine halbe Million Euro erbeutet. Einer der Kriminellen steht zum wiederholten Mal in München vor Gericht.
Es ist ein milder Maivormittag, als im Haus von Sieglinde Gerber (Name geändert) in Dachau das Telefon klingelt. Am Apparat ist ein Mann, der sich als Polizist ausgibt und der 88-Jährigen eine Lügengeschichte auftischt. Ihre Tochter, so erzählt er, habe einen Verkehrsunfall verursacht und brauche nun dringend Geld. Daher solle die Seniorin schleunigst 15.000 Euro in bar übergeben – ein Betrag, den sie später von der Versicherung zurückerhalten werde, versichert der Anrufer.
Die mutmaßlich völlig verunsicherte Sieglinde Gerber will ihrer Tochter helfen und stimmt daher zu, das Geld bereitzustellen. Einige Stunden später steht ein Herr Steiner vor ihrer Tür, so nennt er sich zumindest. Ihm übergibt Sieglinde Gerber das bereitgelegte Geld, von dem die 88-Jährige danach nie wieder etwas sehen oder hören wird.
Drei Männer sind bereits 2023 verurteilt worden
Gut zweieinhalb Jahre später sitzt jener Mann, der sich in Dachau als Herr Steiner ausgegeben hat, auf der Anklagebank im Landgericht München I. Der 47-Jährige hat erreicht, dass sein Fall erneut verhandelt wird. Er und sein Verteidiger sind der Ansicht, dass das Gericht bei der Strafzumessung die Aussagen des 47-Jährigen zu den Hintermännern der Bande nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Der Buchhändler, das gibt er vor Gericht als seinen Beruf an, hat sich mit einer Handvoll anderer Verbrecher zusammengetan. Sie haben neben Sieglinde Gerber gut ein Dutzend weitere Opfer um stattliche Geldbeträge zwischen 15.000 und 64.000 Euro erleichtert – stets mit der Masche der sogenannten Schockanrufe.
Geld und Schmuck wurden ausgehändigt
Drei der Männer sind Ende 2023 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs verurteilt worden: der 47-Jährige zu sechs Jahren und elf Monaten Haft; seine zwei Kollegen zu Gefängnisstrafen von dreieinhalb Jahren sowie sechs Jahren und drei Monaten. Während die beiden anderen die inzwischen rechtskräftigen Urteile akzeptierten, ging der 47-Jährige in Revision.
Nachdem der Bundesgerichtshof das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben hat, nimmt der Mann an diesem Montagvormittag nun also ein zweites Mal auf der Anklagebank im Münchner Landgericht Platz. Dem 47-Jährigen kam innerhalb der Bande die Aufgabe als Abholer zu. Das heißt, er fuhr mit einem Komplizen zu den Opfern und nahm von ihnen das Geld entgegen. Zuvor hatten die meist älteren Menschen einen Schockanruf erhalten, in dem ihnen – vom sogenannten "Keiler" – vorgegaukelt wurde, dass ein Angehöriger in einer Notlage stecke und daher dringend eine größere Summe Bargeld benötige.
Mal war dabei von einer Tochter die Rede, die angeblich einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht hatte; mal forderte der "Keiler" eine Kaution, um eine Enkelin vor einer drohenden Untersuchungshaft zu bewahren. Von Angst und vermutlich auch Panik überwältigt, stimmten die Angerufenen zu, Geld sowie mitunter auch Schmuck und andere Wertgegenstände auszuhändigen. Bei mehr als einem Dutzend Taten in ganz Südbayern im Jahr 2022 erbeutete die Bande rund um den 47-Jährigen insgesamt gut 470.000 Euro, die sie anschließend an ihre in Polen sitzenden Hintermänner weitergaben.
Einem von ihnen ist die Polizei offenbar auf die Spur gekommen. Ihm werde derzeit in Polen der Prozess gemacht, teilt der Vertreter der Staatsanwaltschaft München mit. Derweil hofft der 47-Jährige, dass seine Aussagen beim zweiten Anlauf vor Gericht zu seinen Gunsten gewertet werden und er somit ein milderes Urteil als noch Ende 2023 erhält. Nach derzeitigem Stand sind für den Prozess lediglich zwei Verhandlungstage angesetzt; ein Urteil könnte demnach schon an diesem Donnerstag fallen.
- Reporter vor Ort