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Zum journalistischen Leitbild von t-online.1860 München vor Derby gegen Unterhaching Blamage auf dem Platz, Chaos abseits des Rasens
Der TSV 1860 München droht mehr und mehr im Chaos zu versinken. Nicht nur auf dem Platz läuft derzeit vieles schief. Am Wochenende steht das Derby gegen Unterhaching an.
Nicht einmal zehn Kilometer voneinander entfernt liegen die Stadien des TSV 1860 München und der SpVgg Unterhaching – und doch trennen beide Fußballvereine eigentlich Welten. Auf der einen Seite die Löwen: Deutscher Meister 1966, zweimaliger DFB-Pokalsieger, ehemaliger Champions-League-Teilnehmer, langjähriger Bundesligist. Ein Klub mit weit zurückreichender Tradition und großer Fangemeinde. Fast 26.000 Mitglieder zählen die Sechzger derzeit, die sich selbst als "Münchens große Liebe" bezeichnen.
Auf der anderen Seite die Spielvereinigung aus der 23.000-Einwohner-Gemeinde vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt. Große sportliche Erfolge auf deutscher oder gar europäischer Ebene sucht man hier vergeblich. Wenngleich man die beiden Bundesligaspielzeiten Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre nicht unterschlagen darf. In Unterhaching – immerhin die zweitgrößte Kommune im Landkreis – geht alles ein wenig kleiner, fast schon dörflich zu.
Der Ruf des "Vorort-Klubs" eilt dem Verein voraus, die Löwen-Fans skandieren bei den Duellen gerne einmal "Kühe, Schweine – Unterhaching". Doch vor dem erneuten Aufeinandertreffen beider Teams an diesem Samstag im altehrwürdigen Stadion an der Grünwalder Straße (Anpfiff: 14 Uhr) haben sich die Vorzeichen gedreht. Welten trennen beide Vereine dieser Tage nicht mehr, lediglich die wenigen Kilometer zwischen den Stadien, die vom Giesinger Bahnhof in ein paar Minuten per S-Bahn zurückgelegt werden können, und sechs Tabellenplätze in der 3. Liga.
Absturz aus der Bundesliga in die Regionalliga
Das dürfte die Hachinger weit mehr erfreuen als den Rivalen aus Giesing. Denn während im Uhlsport Park nach dem Aufstieg aus der viertklassigen Regionalliga im Sommer derzeit alles nach Plan läuft, droht der TSV mehr und mehr im Chaos zu versinken. Der einstige Glanz ist verloren gegangen, lebt nur noch in den Erinnerungen der älteren Generationen. Vor mittlerweile 19 Jahren stieg Sechzig aus der Bundesliga ab und kehrte seitdem nie wieder ins deutsche Oberhaus zurück.
Daran konnte auch der bei den Fans unbeliebte Investor Hasan Ismaik nichts ändern. Nach der Übernahme durch ihn im Jahr 2011 hatte er in einem "Spiegel"-Interview noch großspurig getönt, man wolle "in zwei, spätestens drei Jahren" wieder in der Ersten Bundesliga sein. Stattdessen folgte der zwischenzeitliche Absturz bis in die Regionalliga. Inzwischen stecken die Blauen seit sechs Jahren in der 3. Liga fest. Und so manch einer befürchtet, dass es auch in Zukunft nicht eine Etage nach oben, sondern eher nach unten gehen könnte.
Als "brandgefährlich" schätzte Vereinslegende Benjamin Lauth jüngst die Situation bei seinem Herzensklub im Gespräch mit der "Bild" ein. Und das sowohl auf als auch neben dem Platz. "Wenn man so weitermacht, versinkt man im Mittelmaß der 3. Liga." Worauf der Ex-Nationalspieler, der mittlerweile als Experte für den Streaminganbieter "DAZN" arbeitet, anspielte: Bei 1860 München passt derzeit wenig bis gar nichts zusammen. Sportlich läuft es wie so oft in der Vergangenheit alles andere als rund, dazu kommen Nebenschauplätze abseits des Rasens.
Machtkampf wird zur öffentlichen Schlammschlacht
Erst diese Woche veröffentlichte die "Welt" einen Artikel mit dem Titel: "Die schmutzige Akte 1860". Es geht um den Machtkampf, der hinter den Kulissen an der Grünwalder Straße tobt. Die Protagonisten sind einerseits der Präsident des Muttervereins, Robert Reisinger. Andererseits die beiden Vizepräsidenten Heinz Schmidt und Hans Sitzenberger sowie Athanasaos "Saki" Stimoniaris, seines Zeichens Aufsichtsratsboss und Statthalter von Ismaik.
Auslöser der Schlammschlacht ist die seit Mitte Juni andauernde Suche nach einem Nachfolger von Günther Gorenzel als Geschäftsführer Sport. Reisinger wollte offenbar "auf eigene Faust gegen alle Widerstände" Horst Heldt einstellen. Das wirft ihm zumindest Aufsichtsrat Yahya Ismaik, Bruder von Hasan Ismaik, vor. Schmidt und Sitzberger hätten sich hingegen gegen den 53-Jährigen ausgesprochen, heißt es.
Reisinger selbst hatte in einem Interview Anfang September mit der "Bild" Finanzgeschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer für das Scheitern der Verhandlungen mit Heldt verantwortlich gemacht. Die Gespräche seien damals in seinen Augen "gezielt verschleppt" worden, um Zeit zu gewinnen und die Kaderplanung in eigener Regie durchführen zu können.
Sponsoren drohen mit dem Ausstieg
Gegen die Vorwürfe seines Alleingangs wehrte sich Reisinger Ende September in einer Mail an Martin Gräfer, Vorstandschef von Hauptsponsor "Die Bayerische" entschieden. "Ein Miteinander, wie es HAM (Ismaiks Unternehmen, Anm. d. Red) vorschwebt, heißt andernorts Alleinherrschaft", schrieb er laut dem "Welt"-Bericht. Gemeinsam mit dem Investoren-kritischen Verwaltungsrat plante Reisinger daher, den zum Saisonende auslaufenden Vertrag mit Pfeifer nicht zu verlängern und ihn dadurch zu stürzen.
Dies wiederum löste einen Aufstand der Sponsoren aus, die hinter Pfeifer stehen. Bei einem Ausscheiden des 42-Jährigen befürchten diese nicht nur einen Schaden für die eigene Marke, sondern auch eine Gefahr für das sportliche Ziel – die Rückkehr in die 2. Bundesliga. Der Streit eskalierte so sehr, dass "Die Bayerische" und 18 weitere Werbepartner ihren Rückzug androhten.
Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete schließlich am Mittwoch, dass sich das Präsidium des Vereins mit 2:1-Stimmen gegen eine Verlängerung mit Pfeifer ausgesprochen habe. Reisinger stimmte demnach mit Schmidt gegen eine weitere Zusammenarbeit über den Sommer hinaus, Sitzberger sprach sich dafür aus. Damit scheint der nächste Streit programmiert. Sollte der Verein "durch das Fehlverhalten bestimmter Personen Schaden erleiden", würden diese zur Verantwortung gezogen, hatte Ismaik, der sich pro Pfeifer positioniert hatte, vorab bei der "Welt" betont.
Aufstieg in weiter Ferne – Blamage im Pokal
Zu den Querelen neben dem Feld kommen die durchwachsenen Leistungen auf dem Rasen. Im engen Tableau der 3. Liga rangieren die Löwen derzeit mit 20 Punkten aus 15 Spielen auf Rang zwölf. Der Rückstand auf die direkten Aufstiegsplätze beträgt bereits 14, der Vorsprung auf die Abstiegszone hingegen nur sieben Zähler. Zum selben Zeitpunkt der Vorsaison waren die Sechzger Zweiter, träumten vom Aufstieg, den sie durch eine schlechte Rückrunde schlussendlich noch verspielten.
Nicht nur wegen der Situation in der Liga gilt Trainer Maurizio Jacobacci, der erst im Sommer die Geschicke in Giesing übernommen hatte, als umstritten. Am vergangenen Wochenende verzockte sich der 60-jährige Schweizer im bayerischen Toto-Pokal gegen Fünftligist FC Pipinsried, tauschte im Vergleich zum jüngsten Ligasieg gegen Saarbrücken gleich auf neun Positionen. Kapitän Jesper Verlaat stand gar überhaupt nicht im Kader. Das Ende vom Lied: Die Löwen schieden nach einem frühen Gegentor in Minute fünf sang- und klanglos aus.
Dabei stand einiges auf dem Spiel. Denn der Gewinner des Landespokals darf in der kommenden Saison am DFB-Pokal teilnehmen. Satte Einnahmen garantiert, die auch dem Geldbeutel der Münchner gutgetan hätten. Jacobacci zeigte sich nach dem Schlusspfiff ratlos. "Mir fehlen die Worte. Wie wir gespielt haben, ist nicht zu erklären. Wir müssen uns schon ein wenig schämen."
Deutlich drastischer formulierte es Werner Lorant. Der Ex-Trainer hatte 1860 in den 1990er-Jahren aus der damals drittklassigen Bayernliga bis in die Champions League geführt. "Die kriegen nichts mehr gebacken. Da stimmt es hinten und vorne nicht", sagte er im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" anlässlich seines 75. Geburtstags am Dienstag. Die Sechzger seien in einer Abwärtsspirale gefangen, aus der sie so schnell nicht wieder herauskommen würden.
Euphorie in Unterhaching nach Aufstieg groß
Ganz anders sieht die Lage ein paar Kilometer weiter südlich aus. Nach zwei Jahren in der Regionalliga ist die SpVgg Unterhaching seit dieser Saison zurück im Profifußball. Dorthin geführt hatte sie der frühere Bayern-Profi und Nationalspieler Sandro Wagner, der mittlerweile als Assistent von Bundestrainer Julian Nagelsmann für den DFB arbeitet.
In der Tabelle liegen die Hachinger aktuell auf dem sechsten Rang, im DFB-Pokal scheiterte man nach dem sensationellen Erstrundensieg gegen Bundesligist FC Augsburg in Runde zwei erst in der Verlängerung an Zweitligist Fortuna Düsseldorf. Die Euphorie vor dem sogenannten S-Bahn-Derby gegen die Löwen ist groß, im Vorort wittert man die Chance auf den ersten Sieg gegen den großen Rivalen seit fast 17 Jahren.
Haching heiß auf den Derbysieg
Anfang Dezember 2006 hatte Unterhaching den TSV, bei dem unter anderem die beiden Bender-Zwillinge Sven und Lars in der Startaufstellung standen, mit 5:1 aus dem heimischen Stadion gefegt. Anschließend gab es noch ein Remis in der 3. Liga, die anderen sechs Duelle in Liga und Toto-Pokal gingen allesamt verloren.
Wie heiß Unterhaching auf das Derby ist, unterstreichen die Aussagen der vergangenen Tage. "Gegen 1860 München wird das spannendste Spiel. Das ist ein Fußballfest, bei dem wir endlich mal bestehen wollen", sagte Trainer Marc Unterberger im Gespräch mit der "tz". Stürmer Patrick Hobsch sprach vom "Highlight-Spiel für Haching". Und Kapitän Josef Welzmüller machte im "Merkur" klar: "Wir wollen endlich mal einen Dreier im Derby."
In Giesing hielt man sich dagegen zuletzt mit großen Kampfansagen zurück. Eine Niederlage gegen den oft belächelten Nachbarn aus dem Vorort – das hätte den kriselnden Löwen gerade noch gefehlt.
- Eigene Recherchen
- spiegel.de: "'In zwei, drei Jahren in der Bundesliga'"
- bild.de: "Große Sorgen um seine Löwen"
- welt.de: "Die schmutzige Akte 1860"
- bild.de: "Zündstoff-Aussagen von 1860-Präsident Reisinger"
- sueddeutsche.de: "Pfeifers Vertrag wird nicht verlängert"
- tsv1860.de: "Löwen verlieren 0:1 in Pipinsried & verabschieden sich aus dem Toto-Pokal"
- pnp.de: "Kulttrainer Lorant schimpft zum 75. Geburtstag über 1860 – und will 100 Jahre alt werden"
- tz.de: "Haching heiß aufs S-Bahn-Derby: 'Gegen 1860 wird das spannendste Spiel. Das ist ein Fußball-Fest'"
- merkur.de: "Unterhaching verbucht Nullnummer als Erfolg - Gute Ausgangssituation für Derby gegen Sechzig"