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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sieben Jahre nach OEZ-Anschlag "Es ist viel unter den Teppich gekehrt worden"
Sieben Jahre ist der rassistische Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München her. Noch immer kämpfen die Hinterbliebenen um mehr Achtung vor den Opfern.
Unter dem Porträt von Can – auf der Zeichnung hat er seine Kappe nach hinten gedreht, im Gesicht strahlt ein breites Lächeln – steht ein goldener Fußballpokal mit der Aufschrift "E-Junioren Saison 2010/11". Daneben sieht man ein Foto des kickenden Buben und ein Trikot von Fenerbahçe Istanbul, seinem Club.
Der Fußball war allgegenwärtig im Leben von Can Leyla, der auch am 22. Juli 2016 eigentlich Training gehabt hätte. Doch weil selbiges ausfiel, ging er ins Olympia Einkaufszentrum (OEZ) im Münchner Norden, um mit Freunden bei McDonald’s ein Eis zu essen. Dort eröffnete David S. um 17.51 Uhr mit einer Pistole vom Typ Glock 17 das Feuer und schoss gezielt auf Personen, die er als nicht-deutsch erachtete – darunter der 14-jährige Can.
Anschlag fordert zehn Menschenleben
Zehn Menschen starben an jenem Abend bei dem rassistischen Anschlag im OEZ: Neben dem Täter selbst waren dies Dijamant Zabërgja (20), Armela Segashi (14), Sabina Sulaj (14), Giuliano Josef Kollmann (19), Sevda Dağ (45), Hüseyin Dayıcık (17), Janos Roberto Rafael (15), Selçuk Kılıç (15) und eben Can Leyla. Von allen Opfern hängen im Gedenkraum der Initiative "München erinnern!" nahe dem Rathaus Porträts an der Wand. Darunter liegen persönliche Erinnerungsstücke wie Fotos und Plüschtiere, aber auch ein Koran und ein Fußballtrikot.
Der Raum soll ein Ort der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer sowie ein Treffpunkt für deren Angehörige sein. Sie haben die Initiative "München erinnern!" gegründet – nicht zuletzt aus Frustration über den öffentlichen Umgang mit dem Anschlag. "Das Gedenken ist immer wieder ein Kampf gewesen", kritisiert Samet Leyla. "Es ist viel unter den Teppich gekehrt worden." Leyla hat damals im OEZ sein Patenkind verloren: seinen Cousin Can.
Täter verehrte Massenmörder Anders Breivik
Wenn sich der 27-Jährige heute an jenen Julitag erinnert, dann hört man seinen Schilderungen an, dass er sie oft hat wiedergeben müssen – und dennoch gehen die Worte unter die Haut. Wie er damals in den Semesterferien bei BMW am Band stand und dort von Kollegen hörte, im OEZ seien Schüsse gefallen. Wie er daraufhin – schließlich arbeitet seine Mutter in dem Einkaufszentrum – erst nach Hause und dann zum Tatort eilte. Wie er dort stundenlang bangte, ohne eine Nachricht zu erhalten. Und wie ihm um 2 Uhr nachts schließlich ein Polizist mitteilte: Sein Cousin Can, zu dem er ein so enges Verhältnis hatte, ist tot.
"In den ersten Wochen und Monaten danach habe ich erst mal gar nichts gecheckt", sagt Samet Leyla. Zu groß war der Schock, zu überwältigend die Trauer. Er selbst, sagt er heute kopfschüttelnd, habe noch lange nach der Tat von einem Amoklauf gesprochen – so wie es anfangs auch die Ermittlungsbehörden und der Bayerische Verfassungsschutz taten.
"Es kann nicht sein, dass in dem McDonald’s, in dem sechs Kinder hingerichtet wurden, heute wieder Burger gebraten und Pommes gegessen werden. Ich sage immer: Da ist keine Cola verschüttet, sondern Blut vergossen worden."
Samet Leyla
Dabei stand die rechtsextreme Gesinnung von David S. außer Frage: In einem auf seinem Computer gefundenen "Manifest" schrieb er von "ausländischen Untermenschen", die er exekutieren werde. Für seine Tat suchte sich der 18-jährige Deutsch-Iraner den fünften Jahrestag der Anschläge des norwegischen Rechtsextremisten Anders Breivik aus, den er verehrte. Und dennoch dauerte es bis 2019, ehe das Landeskriminalamt das OEZ-Attentat als rechtsextrem motiviertes Verbrechen einstufte.
Forderung nach Ehrengräbern und Straßennamen
Ungeachtet dieser Bewertung steht für Samet Leyla fest: "Dem Anschlag in München wird immer noch nicht die nötige Aufmerksamkeit zuteil. Das war rechter Terror und steht in einer Reihe mit den Taten von Hanau und Halle." Für eine solche Anerkennung setzt sich die Initiative "München erinnern!" ein, die zum siebten Jahrestag des Anschlags am Samstag einen Gedenkmarsch zum OEZ plant. Dort wird sich den Angehörigen ein Anblick bieten, der für viele unerträglich ist.
"Es kann nicht sein", erklärt Samet Leyla, "dass in dem McDonald’s, in dem sechs Kinder hingerichtet wurden, heute wieder Burger gebraten und Pommes gegessen werden. Ich sage immer: Da ist keine Cola verschüttet, sondern Blut vergossen worden." Daher müsse die Stadt es einrichten, dass das Schnellrestaurant zu einem Gedenkort werde.
Zudem sollten die Opfer des Anschlags Ehrengräber erhalten und Straßen nach ihnen benannt werden. "Es geht darum, dass sie im Stadtbild sichtbar bleiben", betont er – so wie es aktuell im Gedenkraum in der Dienerstraße geschieht, der Anfang des Jahres eröffnet wurde.
Gedenkraum muss bald geräumt werden
In diesem stehen der Initiative freilich nur wenige Quadratmeter zur Verfügung; überdies muss der Raum schon bald wieder geräumt werden. Ob diese Form des Gedenkens danach an einem anderen Standort fortgeführt wird, so wie es die Initiative fordert, ist offen. "Dass wir am siebten Jahrestag noch über so etwas verhandeln, sagt eigentlich alles", betont Samet Leyla, der am Samstag zunächst mit seiner Familie das Grab von Can besuchen wird, ehe sie sich dem Gedenkmarsch anschließen.
"Nach wie vor kämpfen die Angehörigen und Überlebenden darum, dass der politische Hintergrund der Tat anerkannt und benannt wird", heißt es im Aufruf zu der Veranstaltung. "Und sie kämpfen gegen die Stille um diesen Anschlag in München und bundesweit."
- Eindrücke vor Ort
- Gespräch mit Samet Leyla
- muenchen-erinnern.de: "Informationen zur Initiative"