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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weggefährte erinnert sich Die Affäre Tuchel
Der eine Bayer spannt dem anderen offenbar den Trainerjob aus. Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann verbindet vieles, auch in der Heimat – gerade das macht es brisant.
Wie eine Bombe platzte es am Donnerstagabend in die Länderspielpause der Bundesliga. Thomas Tuchel soll Julian Nagelsmann als Trainer des FC Bayern ersetzen. Selbst viele Experten waren davon überrascht, dass Nagelsmann abgelöst werden soll. Und das ausgerechnet, so muss man es sagen, von Tuchel. Denn die beiden verbindet viel – und eine ganz besondere Geschichte.
Wie Nagelsmann kommt Tuchel aus Bayern, musste aufgrund einer Verletzung seine Karriere als Spieler früh beenden, stieg jung als Trainer in die Bundesliga auf und landete schnell bei Spitzenvereinen im internationalen Geschäft. Und dann war es auch noch Tuchel, der Nagelsmann einst zum Trainer machte. Doch der Reihe nach.
Die Anfänge von Julian Nagelsmann in Bayern
Nagelsmann kommt aus der Nähe von München, geboren in Landsberg am Lech, spielte in Issing Fußball und ging dort zur Schule. Sein Lehrer am Landsberger Gymnasium beschreibt ihn als einen, der zielstrebig sei und ganz genau wisse, was er wolle, wie er der "Mindelheimer Zeitung" einst verriet. Und das war: Fußballprofi werden. Von seinem Plan, das Gymnasium zu verlassen, sei der gute Schüler Nagelsmann nicht abzubringen gewesen.
Mit zwölf Jahren war er von seinem Heimatverein nach Augsburg gewechselt, dann zu 1860 München und zurück nach Augsburg. Der Traum vom Leben als Fußballprofi endete hier. Stattdessen begann ein neues Kapitel: das mit dem Ziel Bundesligatrainer. Acht Jahre dauerte es von damals, dem Jahr 2008, bis Nagelsmann der Sprung auf die große Bühne, die Bank der TSG Hoffenheim, 2016 gelang.
Wie es dazu kam? Da gibt es eine Geschichte beim FC Augsburg, die ganz danach klingt, als sei Tuchel die entscheidende Person in Nagelsmanns Laufbahn gewesen. Nach fünf Jahren in der Jugend von 1860 München war er zum FCA zurückgekehrt, in die zweite Mannschaft, die der Krumbacher Tuchel in der Landesliga Süd trainierte. Man habe große Hoffnungen in Nagelsmann gehabt, sagte der damalige Kapitän Mario Schmidt im Gespräch mit t-online.
Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann beim FC Augsburg 2008
Doch immer wieder wurde Nagelsmann von Verletzungen gestoppt, trainierte schon früh in der Saison kaum noch mit der Mannschaft und befand sich meist im Aufbautraining, wie Schmidt erzählt. Und da muss Tuchel eine Idee gekommen sein: Er schickte Nagelsmann zu einem anderen Spiel in der Landesliga, zum TSV Gersthofen in einer Augsburger Vorstadt. Nagelsmann sollte die Konkurrenz scouten, kam mit einem Zettel und ein paar Videos zurück und sagte: "Ich weiß jetzt nicht, ob es das ist, was du dir erhofft hast."
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Doch das war es offenbar. In der Geschichte, die die Autoren Daniel Meuren und Tobias Schächter in einer Tuchel-Biografie erzählen, beobachtete Nagelsmann fortan wöchentlich die kommenden Gegner seiner Mannschaft. Bis dahin habe er sich überhaupt keine Gedanken gemacht, "wie ein Trainer denkt". Dann wurde er erst Trainer in der Jugend von Augsburg, später 1860, danach von Hoffenheim. "So schlecht kann das Verhältnis der beiden also nicht gewesen sein", lautet Schmidts Fazit.
Normalerweise erwarte ein Trainer von seinem Spieler, dass er fit sei und eingesetzt werden könne. Tuchel habe aber schnell erkannt, dass der verletzungsgeplagte Nagelsmann körperlich nicht in der Lage war, auf dem Feld zu unterstützen. Und womöglich fühlte Tuchel sich an seine eigene Vita erinnert.
Wie Thomas Tuchel in Bayern zum Fußball kam
1979 hatte er mit sechs Jahren begonnen, beim TSV Krumbach Fußball zu spielen, auf dem bayerisch-schwäbischen Land zwischen Augsburg und Ulm. Wie Nagelsmann war er talentiert, wie Nagelsmann machte er schon als Spieler Station beim FC Augsburg, und wie er strebte er in die Bundesliga, bevor eine Verletzung im Alter von nur 24 Jahren, nach dem Aufstieg mit dem SSV Ulm in die zweite Liga, die Karriere früh beenden sollte.
Und nun deutet alles darauf hin: Nagelsmann, der mit den Bayern Deutscher Meister wurde, mit Chancen auf drei Titel in den Endspurt der Saison ging und erster bayerischer Trainer seit Jahrzehnten war, wird ersetzt. Warum, das ist bisher bloß Spekulation. Mangelnder Erfolg kann es nicht gewesen sein. Ist intern etwas vorgefallen? Oder haben sich die Bayern umgeschaut und jemand gefunden, den sie besser finden, nämlich Thomas Tuchel?
Es ist gut denkbar, dass Nagelsmann sich wie ein betrogener Ehemann fühlt, ausgebootet im Kampf um den begehrtesten Trainerstuhl der Bundesliga von einem ehemaligen Weggefährten und Mentor. Bayerns Affäre mit Tuchel wird spätestens dann zur Beziehung, wenn der Verein die Personalie bestätigt. Nur ist das Profigeschäft keine Ehe. Und Ex-Mitspieler Schmidt muss ohnehin lachen, als er den Vergleich hört.
Was Ex-Mitspieler über Julian Nagelsmann sagen
"Ob man das so sagen kann, da bin ich viel zu weit weg", sagt er. Mit Nagelsmann habe er beim FCA II immer "ein sehr gutes Verhältnis" gehabt. "Julian war immer für einen Spaß gut, ohne dabei den Ernst zu verlieren." Auch wenn er verletzungsbedingt meist etwas abseits trainiert habe, sei er voll in die Mannschaft integriert gewesen. Von Tuchel hat Schmidt ebenfalls eine hohe Meinung – die jedoch ein wenig anders klingt.
"Er ist eine absolute Autoritätsperson", sagt Schmidt über seinen ehemaligen Trainer. Beim FC Augsburg habe man eine sehr starke Mannschaft gehabt, aus der Landesliga-Truppe schafften es später satte drei Spieler bis in die dritte Liga oder höher. Doch in der gemeinsamen Saison lief es nicht so wie erhofft. Statt des Aufstiegs in die Bayernliga landete man auf Rang vier. "Wir konnten unser Potenzial nicht so umsetzen", erzählt Schmidt. "Und so gab es natürlich auch Reibungspunkte zwischen Mannschaft und Trainer."
Dabei sei es allerdings immer um die Sache gegangen, betont er. Tuchel habe merklich gelernt. Einst soll er sich gewundert haben, warum die Mannschaft die starken Trainingsleistungen nicht ins Spiel übertragen konnte. Dann habe er eine Partie Tennis gespielt und der Mannschaft berichtet: "Im Wettkampf, da blockiert man manchmal", berichtet Schmidt. Tuchel habe erkannt, dass man zuweilen etwas lockerer bleiben müsse. Eigentlich heißt es über ihn oft, dass er immer mehr als 100 Prozent von seinen Spielern fordere.
Thomas Tuchels Problem mit den Ersatzspieler
Das bestätigt auch Eduard Kreil, der ebenfalls Teil der Augsburger Reservemannschaft von 2007/08 war. "Er hat ein unfassbares Wissen und kann eine Mannschaft entwickeln." Charakterlich sei Tuchel aber "nicht immer einfach" gewesen. Man merke: "Spieler sind für ihn nur eine Nummer". Die erste Elf bringe er zwar immer hinter sich, vor allem Ersatzspieler seien jedoch häufig unzufrieden gewesen. Und Kreil ist sicher: Tuchel hat seither sicher viel hinzugelernt.
Gut ausgekommen sei er persönlich aber mit beiden – zu Nagelsmann habe er jedoch auch nach der Saison noch lange locker Kontakt gehalten und immer einen besseren Draht gehabt. Tuchel und Nagelsmann indes hätten nach dem Abschied aus Augsburg keinen Kontakt mehr gepflegt, berichtet Kreil. Und obwohl Tuchel seinem Spieler den Startschuss für die spätere Trainerkarriere gegeben hatte, seien sie nie so etwas wie beste Freunde gewesen.
Zu der harten Gangart, für die der spätere Champions-League-Sieger Tuchel mit dem FC Chelsea bekannt ist, passt eine Anekdote aus seiner Biografie. Da heißt es, dass Nagelsmann häufig auf der Rückfahrt nach München im Zug eingeschlafen sei, weil Tuchels Training auch für den Kopf besonders anstrengend gewesen sei.
FC Bayern: Was Julian Nagelsmann von Thomas Tuchel gelernt hat
Gelernt hat Nagelsmann von Tuchel sicher viel, vor allem, dass er überhaupt Trainer sein kann. Er sei es gewesen, der zu Nagelsmann gesagt habe, er solle Trainer werden. Dazu habe er Talent, sagt er in der Tuchel-Biografie. Dabei sei ihm der Gedanke erst fremd gewesen, doch letztlich könne man sagen: "Thomas hat mich konkret darauf gebracht." Und das, obwohl beide nicht nur in Schmidts Erzählungen so verschieden wirken, wie es nur geht.
"Mir fehlt beim ihm einfach das Menschliche", zitierte die "Augsburger Allgemeine" 2021 Tuchels ehemaligen Ulmer Mannschaftskameraden Oliver Unsöld. In dem Text unter dem vielsagenden Titel "Ein Fremdling in der Heimat" ging es um die Spuren des berühmten Sohns der Region in Bayerisch-Schwaben. Zu finden waren nur wenige. Tuchel und seine Heimatstadt schienen und scheinen sich fremd. Er ist offenbar verwurzelt in den Metropolen Europas und dem Fußballkosmos, nicht auf dem schwäbischen Land.
Ganz anders Nagelsmann: Als Bundesligatrainer in der Jugend von Hoffenheim lief er für seinen Heimatverein Issing fünfmal in der Kreisklasse auf, besuchte noch als Bayern-Trainer seine ehemalige Grundschule. Und so wundert es nicht, dass viele enttäuscht und verwundert über das Aus in München sind, sie mit ihm leiden.
"Von außen betrachtet kann ich die Entscheidung nur schwer nachvollziehen", sagt Ex-Mitspieler Schmidt. Nagelsmann habe einen guten Job bei Bayern gemacht. Das werde allerdings auch Tuchel tun, ist er sich sicher. Denn immerhin, an dessen Qualitäten als Trainer zweifelt keiner der Weggefährten.
- Augsburger Allgemeine: "Ex-Lehrer über Julian Nagelsmann: 'Hatte seinen ganz eigenen Kopf'"
- Tagesspiegel: "Vor dem Duell in der Champions League: Wie Thomas Tuchel die Karriere von Julian Nagelsmann gefördert hat"
- Augsburger Allgemeine: "Thomas Tuchel ist ein Fremdling in der Heimat"
- Transfermarkt.de: Profile von Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann
- Gespräch mit Mario Schmidt
- fupa.net: Profile von Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann
- Daniel Meuren,Tobias Schächter: "Thomas Tuchel: Die Biografie"