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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Interview über Baustellen Bürgermeisterin spricht von "Desaster für München"
München versinkt in Baustellen. Doch trotz Milliardenausgaben kommen Fahrrad und Bahn immer noch zu kurz. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden greift Söders Regierung scharf an.
1,5 Millionen Menschen leben in München, und das auf einer Fläche, die kaum größer ist als Münster. Keine Stadt in Deutschland ist so eng bebaut, und jährlich wird der Platz knapper. Wer in der Stadt unterwegs ist, merkt das: Autos stehen oft im Stau, Busse stecken im Verkehr fest, U- und S-Bahn sind ständig voll und verspätet. Einige Bauprojekte könnten den Münchnern Hoffnung machen. Doch viele in der Stadt haben das Gefühl: Es geht nicht voran.
Nach dem Radentscheid, einem Bürgerbegehren aus dem Jahr 2019, beschloss die Stadt etwa, eine zehn Kilometer lange Radstrecke zu bauen – fertig sind erst einige Hundert Meter. Und der Bau der 2. Stammstrecke, die den S-Bahn-Verkehr in der Stadt entlasten soll, verzögert sich ebenfalls massiv. Das ärgert auch Katrin Habenschaden, zweite Bürgermeisterin der Stadt. Im Interview mit t-online sagt sie, wer ihrer Meinung nach die Hauptschuld daran trägt: die CSU und ihre Landesregierung um Markus Söder.
t-online: Frau Habenschaden, in München gibt es das geflügelte Wort, die Stadt sei eine einzige Baustelle.
Katrin Habenschaden: Ich kenne den Satz. Auch mir fällt die Häufung an Baustellen auf. Egal, wie ich unterwegs bin. Wenn man länger für seinen Weg braucht, ärgert einen das natürlich. Als Bürgermeisterin ist es für mich umgekehrt ein Zeichen, dass wir den Investitionsstau aktiv angehen. Dass eine große Baustelle wie am Sendlinger Tor pünktlich 2023 fertig wird und im Kostenplan liegt, freut mich.
Zuvor wurde bei notwendigen Investitionen gezögert?
Es gibt viele Zukunftsfragen, die vorangetrieben werden müssen. Dabei geht es nicht nur um den Verkehr, sondern auch um Energiewende, Schulen, Digitalisierung. All das verursacht Baustellen. Baustelle heißt immer auch, dass sich etwas zum Besseren wendet. Baustelle bedeutet Fortschritt.
Ein Großteil des U-Bahn-Netzes stammt aus der Zeit der Olympischen Spiele 1972. Warum ist seither so wenig passiert?
München ist über Jahrzehnte nicht gewachsen, der enorme Zuzug begann erst in den 2000er Jahren. Zu dieser Zeit wurde versäumt, den ÖPNV und die Infrastruktur generell fit für die Zukunft zu machen. Die S-Bahn, für die der Freistaat zuständig ist, ist praktisch genau auf dem Niveau von 1972. Die Stadt hat wieder angefangen, U-Bahnen zu bauen, wenn Sie an die Fortführung der U3 im Norden denken. Wir haben jetzt die U5- und die U9-Innenstadtspange auf den Weg gebracht. Eine gewaltige Investition in die Zukunft Münchens.
Nur an dieser Stelle?
Es ist wichtig, dass wir nicht nur auf die U-Bahn setzen, weil Planung und Bau viel Zeit brauchen. Wir haben mehrere Trambahnlinien in Auftrag gegeben und schauen, dass wir den Verkehr mit Bussen beschleunigen. Durch neue Busspuren, zum Beispiel.
Zur Person
Katrin Habenschaden ist seit 2020 zweite Bürgermeisterin der bayerischen Landeshauptstadt und in dieser Funktion unter anderem für das Thema Mobilität zuständig. Die 45-jährige Fränkin unterlag bei der letzten Oberbürgermeisterwahl als Grünen-Spitzenkandidatin Amtsinhaber Dieter Reiter (SPD). Sie setzt sich in der Stadtpolitik vor allem für klimafreundliche Verkehrsmittel, bezahlbares Wohnen sowie ein feministisches und queeres München ein.
Drücken Sie aufs Tempo, weil die Stadt rasant wächst? Es gibt eine städtische Studie, wonach es 2030 rund 1,85 Millionen Einwohner sein könnten, statt bislang 1,6 Millionen.
Genau. Die Zahlen des Planungsreferates zeigen, dass die Stadt weiterwächst. In der Fläche hat München kaum Potenzial, um sich auszudehnen. Das gilt auch für den Straßenraum. Wenn wir nicht gegensteuern, droht auf Münchens Straßen ein Verkehrskollaps. Deshalb setzen wir auf platzsparende, klimaschonende Verkehrsmittel.
Bei den Baumaßnahmen läuft offensichtlich nicht alles nach Plan. Prominentes Beispiel ist die 2. Stammstrecke. Deren Kosten sollen laut Landesregierung von geplanten 3,7 auf geschätzt 7,2 Milliarden Euro explodieren. Und sie soll erst 2038 fertig sein, elf Jahre später als geplant.
Ich weise ganz dezidiert auf die Zuständigkeit hin. Der Freistaat ist für die 2. Stammstrecke verantwortlich. Das ist ein Desaster für München und auf Landesebene vergeigt worden. Die Pendler müssen die Zeche zahlen. Was mich wirklich sehr, sehr ärgert, ist, dass diese Entwicklung einige Zeit absehbar war. Wir als Stadt wussten aber überhaupt nichts. Die Staatsregierung hat der Stadt München nicht die Wahrheit gesagt und die desaströse Lage verschwiegen. Jetzt sind bereits immense Kosten wortwörtlich verbuddelt worden. Deshalb halten wir an der 2. Stammstrecke fest. Alles andere wäre ein nicht zu verkraftender Rückschlag für den ÖPNV Münchens. Wir haben keine Alternative.
Was werfen Sie als Grüne der CSU-geführten Landesregierung vor?
Als Landeshauptstadt München wussten wir bis Anfang des Jahres nicht, dass sich die 2. Stammstrecke massiv verzögern wird und massiv teurer wird. Die Bürger unterscheiden nicht, wer verantwortlich ist. Ich werde immer wieder darauf angesprochen, was jetzt eigentlich mit der S-Bahn ist. Wir wurden von der Deutschen Bahn und von der CSU jahrelang nicht informiert.
Ärgert das einen persönlich?
Ja, das ist ein Ärgernis. Es ist nicht schön, wenn man auf die Zuständigkeit verweisen muss. Und wenn man einer Bürgerin oder einem Bürger ins Gesicht sagen muss, dass wir als Landeshauptstadt nicht Bescheid wussten und keinen Einfluss auf den Baufortschritt haben.
Was erwarten Sie von der Landesregierung?
Ich erwarte von der Landesregierung und der Bahn endlich verlässliche Zahlen sowie einen verlässlichen Zeitplan. Und ich wüsste gerne, woran es gelegen hat. Das konnte bislang niemand erklären.
Nicht nur die 2. Stammstrecke wird im Stadtrat diskutiert, sondern auch der Mangel an Fahrradwegen.
Es geht um Flächeneffizienz, um eine Neuaufteilung des Straßenraums. In der Fraunhoferstraße konnten wir zum Beispiel keinen neuen Straßenraum schnitzen, sondern mussten den vorhandenen neu aufteilen. Hier haben wir uns für mehr Verkehrssicherheit in einer gerade für Radfahrer tückischen Straße entschieden. Sowohl die Polizei als auch die Menschen vor Ort sind sehr zufrieden. Die Unfallzahlen gehen zurück.
Werden Fahrräder und Lastenräder in München bald dominieren?
Die Münchner entscheiden selbst, welches Verkehrsmittel sie nutzen möchten. Im innerstädtischen Bereich ist das sehr oft das Fahrrad. Immer mehr Münchnerinnen und Münchner steigen auf das Radl, Corona hat diesen Trend beschleunigt. Wir ziehen mit dem Ausbau der Radinfrastruktur nach.
In Konstanz am Bodensee gibt es Fahrradstraßen mitten in der Stadt und Bürger können günstig städtische Lastenräder anmieten. Welche Pläne liegen in München in der Schublade?
Der Altstadt-Radl-Ring ist sicherlich das populärste Thema. Unser Ziel ist, ein sehr gutes Radwegenetz über die ganze Stadt zu legen. Eine Forderung des Radentscheids ist auch, Gefahrenstellen zu entschärfen, notfalls mit einer baulichen Abtrennung. Und es geht darum, zusätzliche Abstellplätze zu schaffen, auch für Lastenräder, die von der Landeshauptstadt bezuschusst werden.
Damit München eine Radl-Stadt wird?
Ich erhoffe mir viel von den Radschnellwegen, da auf diesen auch längere Strecken von Pendlerinnen und Pendlern mit dem Rad zurückgelegt werden können. Der erste wird gerade gebaut, von der Innenstadt über die Ludwig- und Leopoldstraße bis zum Campus nach Garching. Als Nächstes wird der Radlschnellweg in Richtung Markt Schwaben geplant. Dieser wird nicht über irgendwelche Nebenstraßen führen. Dann kann das Radl wirklich zeigen, was es kann.
- Interview mit Katrin Habenschaden