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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorfälle in den Alpen Wolf reißt 30 Schafe – und macht sogar Tierschützer ratlos
Tierschützer sind im Zwiespalt: Die meisten Almen in den Alpen sind gegen den Wolf wohl nicht zu schützen. Ohne tote Tiere geht es nicht. Und nun?
Die Diskussion um den Wolf nimmt Fahrt auf, nachdem ständig neue Fälle von Wolfsrissen bekannt werden. Waren es in Garmisch-Partenkirchen zuletzt ein Dutzend, sind es nun 30 Schafe, die am Mittwoch in Kärnten in Österreich getötet und angebissen aufgefunden wurden. Im ganzen Alpenraum, von Südtirol bis Bayern, ist das neues Futter für die Wolfsdebatte.
Denn was Naturschützer freut, bereitet Weidetierhaltern mächtig Sorgen: Die Wolfspopulation wächst pro Jahr um 30 Prozent. Mehr als 300 Wolfsrudel soll es bereits in den Alpen geben. Allein im Schweizer Kanton Graubünden wurden in diesem Jahr bislang 422 Nutztiere durch Wölfe gerissen, berichtet etwa ein Lokalpolitiker.
Kaum ein Landwirt zeigt deshalb noch Verständnis für das geschützte Wildtier. Vielmehr haben sie Angst: Vor dem Verlust ihrer Tradition. Und ihrer Existenz.
Markus Söder wollte Wölfe abschießen, bislang tut sich nichts
Von der Politik fühlen die Bauern sich indes im Stich gelassen. Auch wenn Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei einer Almbegehung im August am Tegernsee meinte: "Der Wolf gehört nicht hierher, das ist nicht sein Lebensraum. Eine Entnahme, meist wohl ein Abschuss, muss möglich sein, wenn die Bestände wie im Moment zu stark werden."
Doch seine Agrarministerin Michaela Kanniber (CSU) verwies bei der Zuständigkeit für die Entnahme auf den Bund und Brüssel. "Allen uneingeschränkten Wolfsliebhabern dort will ich aber sagen: Wölfe sind nicht vom Aussterben bedroht, aber unsere Almbauern sind es bald". Dennoch sind alle Bemühungen darum, Wölfe leichter abschießen zu dürfen, bisher gescheitert.
Wenn die Wölfe nun auch auf den Schafweiden in den Tälern reißen, sei dies nach dem Ende der Almsaison ein Zeichen, dass sie den Nutztieren folgen würden, "um hier ihr blutiges Handwerk fortzusetzen", beklagt in Kärnten Siegfried Huber als zuständiger Präsident der Landwirtschaftskammer, als er die zahlreichen Schafkadaver im Gailtal zur Kenntnis nehmen muss.
Kärnten in Österreich will wolfsfrei werden – und Bayern?
Alle 30 Schafe weisen Kehlbisse auf, typisch für den Wolf. Huber fordert von der EU-Kommission, sein Bundesland als "wolfsfreie Zone" auszuweisen, damit ein umfassender und unbürokratischer Abschuss von Wölfen, ähnlich wie im EU-Land Schweden, möglich werde. Ähnlich drastische Forderungen von Politikern gibt es in Bayern bislang nicht. Noch nicht. Hier versucht man es eher mit einem Spagat zwischen Tierschutz und Herdenschutz.
Eine schier unlösbare Aufgabe angesichts von allein 2.000 Hektar Almweiden etwa im Wettersteingebirge rund um die Zugspitze. Zudem ist das Gelände dort sehr steil, der Boden felsig, es gibt Gräben und Mulden – einen wolfsabweisenden Zaun zu bauen, ist nahezu unmöglich. 122.000 Kilometer lang müssten in Bayern die Herdenschutzzäune sein, wollte man die Tiere auf den Almen und Weidegebieten schützen, teilt die Landesanstalt für Landwirtschaft mit.
Dies sei wegen des erheblichen Aufwands über weite Strecken überhaupt nicht möglich, befürchtet die Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbundes, die Garmischerin Tessy Lödermann, einst Mitglied der Grünen im Landtag. "Solche würden nicht nur die bayerischen Almen zerschneiden, auch für das heimische Wild stellen sie eine große Gefahr dar", so Lödermann zu t-online.
Auch der Tierschutzverein in Bayern grübelt über den Wolf
Man brauche eine vernünftige und umsetzbare Lösung, die "dem Tierschutz und der Almwirtschaft gerecht wird". Der Abschuss sei nur eine Option bei auffälligen Wolfsexemplaren, sagt die Vorsitzende des Tierschutzvereins Garmisch. "Auch Schafe unterliegen dem Tierschutz und haben einen Wert." Zwar gehöre der Wolf zur Biodiversität, "aber er ist nur ein Teil. Wir sollten den Wolf nicht über alles stellen".
Aber auch einen Einsatz der klassischen Helfer im Herdenschutz, Hunde, hält im bayerischen Alpenraum kaum jemand für praktikabel. Zu viele Naherholungssuchende und Touristen sind dort unterwegs – oft noch mit einem eigenen Hund. Da sind Konflikte vorprogrammiert, denn die Herdenschutzhunde sind große, relativ aggressive Hunde, darauf trainiert, eigenständig Gefahren von der Herde abzuwenden. Und verstärkt Hirten einzusetzen, scheitert zum einen an den hohen Kosten, aber auch daran, dass man die Hirten erst einmal finden müsste.
Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) sieht in der "Entnahme von Wölfen eine Einzelfallentscheidung, die von den Behörden immer offen kommuniziert" werden müsste. So würde es "weniger Misstrauen gegen diese Bescheide geben – oder fundierte Kritik". Ernüchtert stellt nun eine Weidekommission des bayerischen Landwirtschafts- und Umweltministeriums fest, dass die rund 1.400 Alpen und Almen und damit die meisten alpin gelegenen Weidegebiete "nicht mit einem zumutbaren Aufwand zu schützen" seien. Im Klartext: dem Wolf könnte es an den Kragen gehen.
- Eigene Recherchen
- Gespräch mit Tessy Lödermann