Angriffe auf Ehrenamtliche "Politikern wird daheim aufgelauert"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Hass und Hetze gegen Kommunalpolitiker erreichen in Bayern ein dramatisches Ausmaß. Ein Freisinger Abgeordneter berichtet – wer die Täter sind, überrascht oft.
Nötigung, Bedrohung, Erpressung – Straftaten gegen Kommunalpolitiker haben zuletzt in Bayern immens zugenommen. Das geht aus Antworten des bayerischen Innenministeriums auf parlamentarische Anfragen der Grünen im Münchner Landtag hervor.
Wie sieht die Hetze konkret aus? Wie werden die Lokalpolitiker angegangen? Und von wem? Im Gespräch mit t-online gewährt der Landtagsabgeordnete Johannes Becher (Die Grünen) Einblicke und erzählt von "krassen Fällen".
t-online: Herr Becher, Sie kritisieren Hass und Hetze gegen Politiker auf regionaler Ebene. Gehören solche Anfeindungen bereits zum Alltag eines Lokalpolitikers dazu?
Johannes Becher: Die Statistiken sind eindeutig. 2020 wurden 127 Straftaten gegen Amtsträgerinnen und Amtsträger in Bayern registriert, 2021 waren es allein im Freistaat mit 267 mehr als doppelt so viele Straftaten. Davon kamen 119 registrierte Straftaten aus der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter. Der Rechtsstaat muss hier dagegenhalten. Das Phänomen von Angriffen auf kommunaler Ebene gibt es in ganz Bayern.
Welche Erfahrungen machen Ihre Kolleginnen und Kollegen? Wie sieht die Hetze konkret aus?
Becher: Ich kenne einige Fälle persönlich, die krass sind. Politikern wird daheim aufgelauert, Hass-Botschaften werden an Hauswände geschmiert, geparkte Autos werden beschädigt, Verwandte werden angesprochen und angegangen. Was zum Beispiel weibliche Landtagsabgeordnete in München an Mails bekommen, geht gar nicht. Hier kommt noch eine sexistische Komponente dazu. Teilweise ist es jenseits von Gut und Böse. Bei mir im Landkreis wird Bürgermeistern persönlich oder im Internet gedroht. Die unappetitlichste Geschichte, die ich kenne, ist, dass ein Auto mit Kot beschmiert wurde. Der Fantasie der Täter ist keine Grenze gesetzt.
Woher kommt dieser Hass? Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie?
Becher: Es ist eine Mischung aus verschiedenen Aspekten. 50 von 267 registrierten Straftaten gegen Lokalpolitiker in Bayern stehen tatsächlich in Verbindung mit Corona. Das bedeutet einen signifikanten Anstieg. Die Enthemmung ist aber grundsätzlich ein gesellschaftliches Phänomen. Im Internet werden Sachen geschrieben, die man sich nicht persönlich sagen würde. Auf kommunaler Ebene heißt es dann auch mal: "Du hättest dich ja nicht wählen lassen müssen, das musst du aushalten." Nein, ich bin anderer Meinung. Sowas muss man nicht aushalten. Es geht jetzt darum, dass die Täter ermittelt werden.
Die Reichsbürger-Szene macht besonders Ärger?
Becher: Diese Szene taucht immer wieder auf. Man hat sie Jahre lang nicht ernst genommen. Doch das hat sich geändert. Die Ermittlungsbehörden sind aufgefordert, bei Reichsbürgern sehr wach zu sein. Gerichtsfeste Anklagen sind notwendig. Es handelt sich um teils schwerste Straftaten.
Wie äußert sich die Hetze auf dem bayerischen Dorf, wo jeder jeden kennt?
Becher: Dort kommen mutmaßliche Täter aus der Mitte der Gesellschaft, wenn jemand ein Anliegen hat und nicht Recht bekommt. Oft geht es um Baurechtsfragen, wenn jemand bauen möchte und dafür keine Genehmigung erhält. Laienhaft hatte ich früher angenommen, dass auf dem Land die Welt mehr in Ordnung sei. Einige Beispiele aus kleinen Dörfern, in denen es nicht mal eine Partei, sondern nur Bürgerlisten gibt, widersprechen diesem Eindruck.
Was macht die Hetze mental mit Ihren Kolleginnen und Kollegen?
Becher: Es geht jeder anders damit um. Wer in die Politik geht, braucht ein Stück weit ein dickes Fell. Wenn man solche Mails liest, tangiert das einen aber. Ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die versuchen, Mails vorher zu löschen, bevor sie sich diese überhaupt reinziehen. Wenn man sowas zu nahe an sich ranlässt, ist das nicht ideal für die persönliche Gesundheit. Es gibt wohl noch einen größeren Graubereich, in dem solche Fälle gar nicht angezeigt werden. Ich werbe für eine wissenschaftliche Analyse, dass Rathäuser anonym befragt werden, wie krass die Bedrohungslage wirklich ist.
Wie kann die Gesellschaft entgegensteuern?
Becher: Es braucht mehr Prävention und mehr Verständnis. Das beginnt in der Schule, dass beigebracht wird, wie Menschen Streit auf vernünftige Art und Weise austragen. Für Lokalpolitiker braucht es zudem eine Anlaufstelle für Prävention und Beratung, wo ich als Mandatsträgerin oder Mandatsträger anrufen kann und unterstützt werde. Dass sich ausgetauscht wird: Wie geht es anderen Bürgermeistern? Wie geht es anderen betroffenen Frauen?
Millionenmetropole München, der Landkreis in Oberbayern, ein kleiner Ort – wird die Konfliktlösung umso schwieriger, je näher Täter und Opfer leben?
Becher: Gerade in einem kleinen Dorf sollten sie versuchen, die Dinge geradezurücken. Wenn man das nicht schafft, kann man sich externe Hilfe dazuholen. Ich bin selbst Mediator. Aber: Straftaten muss niemand hinnehmen. Die Anzeige ist notfalls das richtige Mittel. Im Ergebnis wird es sonst dazu führen, dass sich Leute fragen, ob sie sich ein öffentliches Amt noch antun wollen. Ich mache mir Sorgen um unsere Demokratie vor Ort.
Zur Person
Johannes Becher, Jahrgang 1988, ist seit 2018 Abgeordneter für die Grünen im Bayerischen Landtag. Bereits seit 2008 ist der gebürtige Oberfranke Stadtrat in Moosburg an der Isar und Kreisrat im Landkreis Freising. Der Jurist sitzt in den Landtagsausschüssen "Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport" sowie "Arbeit, Soziales, Jugend und Familie". Außerdem arbeitet er als Sprecher seiner Fraktion für kommunale Fragen.
- Gespräch mit Johannes Becher