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Falsche Polizei: Rentnerin in aus München bringt Betrüger hinter Gitter


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Falsche Polizeibeamte in München
Wie eine Rentnerin ihren Betrüger hinter Gitter brachte


17.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Ingrid Appel in ihrer Wohnung in München: Inzwischen schult sie andere Senioren.Vergrößern des Bildes
Ingrid Appel in ihrer Wohnung in München: Inzwischen schult sie andere Senioren. (Quelle: t-online)

Ingrid Appel aus München ist 82 Jahre alt. Sie hat Angst, als eines Nachts die Polizei anruft und vor Einbrechern in der Nachbarschaft warnt. Allein 2021 haben falsche Polizisten in Bayern über sechs Millionen Euro erbeutet. Appels Fall lief anders.

Es ist schon fast Mitternacht, als bei Ingrid Appel das Telefon klingelt. Die Rentnerin aus München wohnt allein in einer 1,5-Zimmerwohnung im Westen von München. Sie geht ans Telefon. Am anderen Ende meldet sich eine junge Frau. Eine Polizistin. Was folgt, ist eine lange Nacht, die das Leben der 82-jährigen Ingrid Appel verändern wird.

Das ist jetzt zwei Jahre her. Ingrid Appel sitzt an ihrem Wohnzimmertisch und erzählt. Sie kramt in einem Stapel alter Zeitungsartikel, der vor ihr auf der weißen Häkel-Tischdecke liegt. Die Schlagzeilen lauten: "Vorsicht, Abzocke!" oder "Die neuen Gauner-Tricks". "So was vergisst man nicht", sagt sie. Es geht um Trickbetrug an Senioren.

Falsche Polizei in München: "Angstzustände und Depressionen"

Allein 2021 haben Kriminelle in Bayern rund sechs Millionen Euro gestohlen, indem sie sich als falsche Polizisten ausgaben. Die Opfer? Senioren, die nicht nur ihr Vermögen verlieren. Justizminister Georg Eisenreich (CSU) wies auf einer Pressekonferenz im Mai 2022 auf die gesundheitlichen Folgen für die Opfer hin: "Es drohen Angstzustände und Depressionen."

Auch Ingrid Appel hat Angst, als um 23 Uhr eine Polizistin anruft und vor Einbrechern warnt, die in der Nachbarschaft unterwegs seien. Frau Appel solle am Telefon bleiben, solange der Täter noch nicht gefasst sei, sagt die Polizistin. Appel wird am Ende über drei Stunden mit der Frau am anderen Ende telefonieren. Bis sie irgendwann eine gefüllte Reisetasche vor die Tür stellt.

Falsche Polizisten und Enkeltrick: "riesige Sauereien"

Der Münchner Kriminalhauptkommissar Hans-Peter Chloupek kennt den Fall Appel genau. Seit 2017 leitet er eine Einheit, die eigens gegründet wurde, um falsche Polizisten und Enkeltrick-Betrüger zu überführen. Während die Täter ihre Taten oft mit der Begründung relativieren, dass sie ja keine körperliche Gewalt anwenden würden, spricht Chloupek von "riesigen Sauereien". Die Opfer gehörten zu den "Schwächsten in der Gesellschaft".

"Die seelischen Schäden, die die Senioren davontragen, kann man sich nicht vorstellen", sagt er. Die meisten Senioren, die auf Betrüger hereingefallen sind, tragen ein Trauma davon. Und sie schämen sich. Sie schämen sich so sehr, dass sie den Betrug der eigenen Familie verschweigen. Manchmal sogar der Polizei. Es ist nicht leicht, einen Rentner zu finden, der offen sprechen möchte.

Lange Telefonate zermürben die Opfer

Ingrid Appel spricht. Das hat einen Grund. Die Polizistin, die eigentlich Angestellte in einem türkischen Callcenter ist, ahnt nicht, wen sie an diesem Abend anruft. Ja, Ingrid Appel ist Rentnerin, ja, sie lebt allein – ideale Voraussetzungen für Betrüger, die ihre Opfer mittels langer Telefonate zermürben, und ihnen nach und nach wichtige Informationen entlocken.

Ingrid Appel ist jedoch Sicherheitsberaterin des Seniorenbeirates der Stadt München. Sie weiß genau, wie die Betrüger vorgehen. Sie erklärt es Monat für Monat anderen Senioren auf Informationsveranstaltungen – in Zusammenarbeit mit der Polizei.

Bis heute bekommt die Rentnerin Angst

Doch obwohl sie alle Alarmzeichen kennt, braucht sie an jenem Abend einige Minuten, um zu verstehen, was gerade passiert. Diesmal ist sie das Opfer. Betrüger haben ihren Namen und ihre Adresse aus dem Telefonbuch gewählt. Was sie dann macht, ist entscheidend.

Sie ruft mit ihrem Handy die Polizei, die echte. Die falsche Polizistin am Festnetztelefon ahnt nichts. Als die echten Beamten bei ihr eintreffen, ist sie erleichtert. "Was hätte ich denn gemacht, wenn die Polizei nicht gekommen wäre?" Diese Vorstellung macht der Rentnerin bis heute Angst. Denn sie weiß, dass jemand in ihrer Nähe lauerte, um ihre Wertsachen abzuholen.

Callcenter im Ausland

Hans-Peter Chloupek hat den Fall Appel betreut. Er erklärt den Ablauf des Betrugs an ihrem Beispiel: Appel wird von einer deutschen Festnetznummer angerufen und gewarnt, dass Einbrecher in ihrer Nähe sein. Am anderen Ende eine falsche Polizistin, die Appel so lange am Telefon hält, bis der Mittelsmann die Wertsachen abgeholt hat. Eigentlich stammt der Anruf aus einem Callcenter in der Türkei.

Dort sitzt ein Anrufer – der falsche Polizist – und ein Logistiker, der alles koordiniert. Die falschen Polizisten fordern die Senioren auf, am Telefon zu bleiben, bis die angeblichen Einbrecher geschnappt seien. Das verschafft ihnen zwei Vorteile: Die Senioren haben keine Zeit, die echte Polizei zu rufen, zum anderen können sie in einem langen Telefonat erfragen, wie viel Vermögen bei den Senioren zu Hause liegt. Das Telefonat gehe meist über Stunden, sagt Chloupek, "diese Taktik ist zermürbend."

Gegen Ende wird Druck aufgebaut

Auch Appel telefoniert über drei Stunden mit einer Frau, die behauptet, aus Köln zur bayerischen Polizei versetzt worden zu sein. Aber sie hat Unterstützung. Neben ihr sitzen zwei Beamte und schieben ihr Zettel mit Anweisungen zu. Trotzdem ist Ingrid Appel irgendwann erschöpft.

Sie nennt den Betrügern am Telefon eine hohe Bargeldsumme, die sie zu Hause habe. Gegen Ende des Telefonats, mittlerweile ist es nach ein Uhr Mitternacht, wird die Frau am anderen Ende ungehalten, schreit beinahe ins Telefon. Der Logistiker im Callcenter informiert den Betrüger vor Ort: Zugriff.

Kleinkriminelle und professionelle Hinterleute

Vor Frau Appels Tür steht eine prall gefüllte Tasche. Der falsche Polizist fährt mit dem Aufzug bis in den fünften Stock. Vor Appels Tür angekommen, greift nach der Tasche, gefüllt mit Zeitungspapier. Er ahnt nicht, dass um die Ecke echte Polizisten warten. Sie schnappen ihn.

Es ist ein Kleinkrimineller aus Baden-Württemberg. Die professionell organisierten Hinterleute sitzen im Ausland. Sie werben ihre Handlanger zum Teil über Ebay Kleinanzeigen an, mit dem Versprechen auf schnelles Geld.

Bayerischer Justizminister fordert höhere Mindeststrafen

Der falsche Polizist, der Frau Appel über 47.000 Euro stehlen wollte, wurde zu über zwei Jahren Haft verurteilt. Die Annahme, die deutsche Polizei käme nicht an die Strippenzieher im Ausland heran, ist falsch. Mittlerweile wurden in Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden mehrere Callcenter enttarnt.

Trotzdem häufen sich die Fälle in Bayern. Der bayerische Justizminister fordert darum härtere Strafen für diejenigen, die gezielt ältere Menschen ins Visier nehmen. Für Fälle von organisiertem Callcenter-Betrug schlägt er eine erhöhte Mindeststrafe von zwei Jahren statt wie bisher einem Jahr vor. "Die altersbedingte besondere Verletzbarkeit von Senioren muss im Strafgesetzbuch ausreichend berücksichtigt werden."

Und Appels Rat an gefährdete Rentner? Die Polizei ruft nie zu Hause an, wenn sie in der Nähe im Einsatz ist. Die Polizei fragt auch nicht nach Vermögenswerten. Deswegen einfach auflegen!

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Ingrid Appel
  • Gespräch mit Kriminalhauptkommissar Hans-Peter Chloupek
  • Pressemitteilung des Justizministeriums
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